Wenn Menschen heute beim Anblick von Vogelschwärmen oder in Duschkabinen Gänsehaut bekommen, liegt das an Alfred Hitchcock. Der "Master of Suspense" und seine Filme genießen Kultstatus. Den hat auch Jens Wawrczeck inne. Er spricht mit ntv.de über die Regie-Ikone, über die Filme und was sie mit einer Hörbuch-Kultreihe verbindet.

ntv.de: Herr Wawrczeck, der Mehrheit der Deutschen sind Sie vermutlich besser bekannt als Peter Shaw von den "Die drei ???". Wie lange "leihen" Sie dieser Hörspielfigur bereits Ihre Stimme?

Jens Wawrczeck: Ich habe vor rund 45 Jahren mit "Die drei ???" begonnen. Aber ich habe davor schon Hörspiele gesprochen, mit elf Jahren, für den NDR beispielsweise. Aber ganz allgemein ist das natürlich eine wahnsinnig lange Zeit, in der ich mit "Die drei ???" verbandelt bin, eine wunderbare Zeit!

An mir, als Kind des Ostens, sind "Die drei ???" nahezu komplett vorbeigegangen. Ich kenne Sie, vielmehr Ihre Stimme, aus der Comedyserie "King of Queens", in der Sie die Figur Spence synchronisieren …

(lacht) Dann packen Sie mich zumindest nicht in "Die drei ???"-Schublade.

Nein, das nicht, aber "Spence" ist natürlich auch irgendwie eine Schublade: sympathisch, tollpatschig, lustig. Welche "Schublade" liegt Ihnen denn mehr?

(lacht) Da gibt es keine großen Unterschiede. Krimi, Tragödie, Komödie: Meistens wird ja über Situationen gelacht, die für diejenigen, die sie erleben, ganz und gar nicht komisch sind. Insofern konnte ich mich auch mit "Spence" sehr gut identifizieren, weil seine Figur in der Serie ständig in Not ist. Ich mag Komödie ebenso wie das Tragische, das Melodramatische, denn es gehört alles zu unseren Leben. Es sind gewissermaßen verschiedene Perspektiven auf die gleiche Sache.

Das klingt auch irgendwie nach Alfred Hitchcock …

Das stimmt! In seinen Werken findet sich neben dem Thrill auch ganz viel Humor, schwarzer Humor, denn er war ja Engländer (lacht). Das gefällt mir auch so an Hitchcock: Hitchcock ist nicht eindimensional, er ist vielschichtig. Er sieht die Komik in den scheußlichsten Situationen ebenso wie die Tragik im Komödiantischen.

Sie sind Hitchcock-Fan, "Suspense"-Enthusiast sozusagen. Sie haben eine eigene Hörbuchreihe gestartet: "Verfilmt von Hitchcock". Wie kam es dazu?

Ich habe meinen ersten Hitchcock-Film bereits als Kind gesehen, als Zwölfjähriger, "Bei Anruf Mord". Ich klebte damals regelrecht am Bildschirm, als der versuchte Mord von Grace Kelly gezeigt wurde. Danach war der Name Hitchcock in meinem Gehirn eingebrannt. Ich habe versucht, weitere Filme zu sehen, die Bücher zu lesen, die ihm zumeist als Vorlage gedient haben. Ich habe auch versucht, Bücher über ihn selbst zu bekommen, was in den 1970ern aber noch sehr schwer war.

Neben der bereits angesprochenen Vielschichtigkeit: Was zeichnet die Filme des "Master of Suspense" noch aus?

Für mich ganz klar: Sie reifen mit. Sie verändern sich. Heute, mit 61 Jahren, sehe ich "Bei Anruf Mord" mit ganz anderen Augen. Der Blickwinkel ist ein anderer, als der, den ich mit zwölf beispielsweise hatte. Man kann Hitchcocks Filme immer wieder neu entdecken! Hitchcock-Filme werden immer besser mit der Zeit! Das ist großartig, deshalb bin ich Fan.

Wie kam es dann zu der Hörbuchreihe?

Bei meiner Recherche um die Person Alfred Hitchcock habe ich festgestellt, dass 42 seiner rund 50 Filme auf literarischen Vorlagen basieren. Mein eigenes Hörbuchlabel gab es bereits, weil ich auch Sachen lesen wollte, die mir so nicht angeboten wurden. Und irgendwann hat es dann klick gemacht und ich habe mich gefragt: Warum kombinierst du nicht deine Hitchcock-Leidenschaft mit deinem Hörbuchlabel? Und so war "Verfilmt von Alfred Hitchcock" geboren.

Wie stellte sich denn die Rechtslage dar?

(lacht) Das ist sozusagen eine Geschichte für sich. Aber na klar, die Rechte musste ich mir alle besorgen. Das ist meistens ein Kampf, aber den fechte ich zum Glück nicht allein, sondern an der Seite einer wirklich großartigen Mitarbeiterin. Die zuständigen Verlage sitzen in Frankreich beispielsweise, wie bei "Vertigo", oder in England oder den USA. Manchmal gestaltet sich das Ganze einfach, meistens ist es aber zeitaufwendig, man braucht sehr viel Geduld. So wie beim aktuellen Hörbuch "Psycho".

Es ist bereits das 19. in Ihrer Reihe …

Stimmt. Und auch da brauchte ich Geduld, musste jahrelang warten, weil die Rechte nicht frei gewesen sind. Ob es wirtschaftlich eine gute Idee war? Keine Ahnung. Aber ich dachte mir: "Psycho" gehört einfach zu Hitchcock und muss daher unbedingt in meine Reihe! Der Roman ist extrem spannend. Der Film bewegt sich eng an der Vorlage. Das stellt bei Hitchcock-Verfilmungen eine Ausnahme dar. Der Großmeister hat sich sonst immer sehr viele Freiheiten herausgenommen. Vielleicht lag es daran, dass der Film bereits kurz nach dem Buch in die Kinos gekommen ist.

"Psycho" mit Anthony Perkins und Janet Leigh ist ein Klassiker. Dabei sticht im wahrsten Sinn des Wortes die Duschszene heraus. Im Buch kommt sie aber eher minimalistisch daher.

Absolut. Beides verfehlt die Wirkung nicht. Im Film fesselt die Szene, sorgt dafür, dass er nach wie vor Gesprächsthema ist, nach mehr als 60 Jahren! Der Film ist brillant, ganz allgemein. Die Schnitte, die unglaublich ikonische Filmmusik von Bernhard Herrmann, die geniale Besetzung - wegen alldem ist "Psycho" in die Filmgeschichte eingegangen.

Einer Ihrer Lieblinge?

Ganz sicher, aber ich habe eine Menge (lacht). Was mir an "Psycho" so gefällt, ist diese unterschwellige Trostlosigkeit, die einem da entgegenschwappt. Die Einsamkeit der beiden Hauptfiguren, die Isolation, in der sie leben, wie Ratten in einem Käfig. Opfer und Täter sitzen dadurch gewissermaßen im gleichen Boot, was die Zuschauer und, ich hoffe, auch die Zuhörer in einen moralischen Konflikt bringt: Der Täter ist auch irgendwie ein Opfer - und umgekehrt. Das funktioniert im Film und hat mich als Interpret des Buches fasziniert. Ich hoffe, man hört es!

Mit Jens Wawrczeck sprach Thomas Badtke

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