Man kann zu Beginn dieses Textes entschuldigend die Hände heben und schreiben, Frauen würden zu oft auf Ihre Hülle reduziert und seien Bewertungen ausgesetzt, die sich Männer kaum vorstellen können. Man könnte sagen, dass doch alle Menschen auf ihre Weise schön sind. Könnte man.

Es wäre aber in der Welt, in der wir leben, nur eine Illusion. Vielleicht sogar eine Lüge, die wir unseren Kindern erzählen. Denn weibliche Schönheit ist nichts Individuelles mehr. Wer Netflix öffnet, Werbung anglotzt, bevor er sie wegklickt, im Reality-TV hängen bleibt, durch Instagram scrollt oder sich in der Bahn umschaut, der bemerkt: Alle sehen gleich aus.

Die Lippen schnutig gespritzt. Die Mundpartie gleicht einem Schnabel, das Hyaluron schoppt die Stelle zwischen Nase und Lippen so aus, damit dort wirklich keine Falte entstehen kann. Die Lachfalten sind weggepolstert und die Stirn dank Botox so eingefroren, dass am Ende so viel Mimik vorhanden ist wie bei einer ausgestopften Ente.

Die großartige Kate Winslet sagte in einem Gespräch mit der britischen „Times“ neulich, dass „junge Frauen keinerlei Vorstellung mehr davon haben, was Schönheit eigentlich ist“. Recht hat sie, wenn sie sagt: „Alle sind besessen davon, einer Idee von Perfektion hinterherzujagen, um mehr Likes auf Instagram zu bekommen“.

Das Ideal, dass Schönheit Perfektion bedeutet, stammt aus der Antike. Schön ist das Symmetrische, Aufgeräumte, die Harmonie. Die innere Ordnung muss nach außen gekehrt werden.

Dieses Konzept kann bei Häusern, Zitadellen und Gemäuern funktionieren. Doch Menschen sind übermütige, impulsive, wütende, zerrissene Wesen, deren Innerstes durch Mimik nach außen gekehrt wird. Nasenflügelzucken, Augenverdrehen, Stirnrunzeln, Augenbrauenheben.

Wie es aussieht, wenn jegliche Mimik fehlt, ist in der Netflix-Erfolgsserie „Nobody Wants This“ zu sehen. Die Hauptdarstellerin Kirsten Bell verliebt und trennt sich, streitet, weint, ist betrunken, verletzt und überglücklich. Nur sieht man das als Zuschauer nicht. Denn ihr vom Dermatologen geglättetes und gepolstertes Gesicht zeigt kaum eine Regung. Ihre Emotionen lassen sich nur durch die Dialoge und ihre Co-Darsteller erschließen.

Stört das noch jemanden? Oder ist es das neue Normal? Die gesellschaftliche Toleranz für Schönheitseingriffe wächst, es gibt Botox an jeder Ecke. Gleichzeitig wächst proportional die Intoleranz gegenüber echten Gesichtern. Der Druck auf Schauspielerinnen und Frauen in Sozialen Netzwerken, am Arbeitsplatz oder im Fitness-Studio ist immens. Ist die Lösung wirklich, sich ein Allerweltsgesicht antackern zu lassen, um nicht mehr aufzufallen?

Die Ästhetik der Gegenwart ist standardisiert. Das Problem ist nicht der Eingriff per se, schließlich gehört es zu den feministischen Errungenschaften, mit seinem Körper anstellen zu dürfen, was man will. Das Problem ist das Streben nach Austauschbarkeit. Wie bei einem Ikea-Billy-Regal soll alles erwartbar, symmetrisch, unauffällig sein: gleiche Nase, gleiche Lippen, gleiche Stirn. Eine Welt voller Ikea-Gesichter.

Auch wenn die Schönheitsindustrie von Empowerment spricht, ist es das Gegenteil: Frauen sollen gleich aussehen, subtil, freundlich, ästhetisch. So wird Anpassung erzwungen. Die Schönheitsindustrie liebt Frauen, wie ein Metzger seine Kühe liebt. Es werden Frauen nicht mehr in ihrer Individualität gestärkt, sondern in ihrem Unbehagen, sie selbst zu sein.

Warum haben junge Frauen keine Vorstellung mehr, was Schönheit ist? Weil die Gesellschaft die Definitionshoheit digitalisiert hat, sie wird von Instagram-Filtern und Algorithmen bestimmt.

Dabei ist Schönheit erlebbar. Schönheit ist Ausdruck, Haltung, Stil. Monica Bellucci, Kate Moss, Bobbi Brown, Christy Turlington, Julianne Moore, Keri Russell, Kate Winslet. Schönheit ist ein Erlebnis. Ein Lachen, ein Fluchen, eine Stimme, eine Aura; aber kein abbildbarer Gegenstand für einen Handy-Screen.

Wir leben in Zeiten einer schizophrenen Körperpolitik: Je größer die individuelle Freiheit, desto schmaler die ästhetischen Korridore, in die sich Frauen zwängen. Kate Winslet sagte im Interview: „Das ist das Leben, in deinen Händen. Am besten gefällt mir, wenn die Hände alt werden.“

Ausgerechnet die Hände! Jener Körperteil, der sich nicht glätten, füllen, wegspritzen lässt.

Der Text stammt aus dem Kulturschock-Newsletter von Marie-Luise Goldmann und Franziska Zimmerer.

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