Der Rücken von Kiki de Montparnasse: Zwei auf ihre Taille gemalte schwarze F-Löcher verleihen dem Körper die Anmutung eines Saiteninstruments. Eine nackte Frau als Cello? Heute würden viele die von Ingres-Gemälden inspirierte Fotografie als sexistisch „lesen“. Vor gut hundert Jahren, als das berühmte Bild entstand, sah man Surrealismus at its best. Man Ray war der Künstler, Kiki seine Muse und Geliebte. Seit die Aufnahme von 1924 im Jahr 2022 beim Auktionshaus Christie’s in New York für 12,4 Millionen Dollar versteigert wurde, gilt sie als teuerstes Foto der Welt.

Das Bild verdrängte damit ein Werk, das mehr als zehn Jahre die Rangliste angeführt hatte: „Rhein II“ von Andreas Gursky. Die am Computer bearbeitete Fotografie des Flusses, mit ihren parallelen Streifen in Grau und Grün, wirkt fast wie ein abstraktes Hard-Edge-Gemälde. 2011 war sie bei Christie’s für 4,3 Millionen Dollar verkauft worden.

Die Liste der wertvollsten Fotokunst ist heterogen: Neben Digitalcollagen und retuschierten Schwarz-Weiß-Fotografien finden sich unter den Top-Ten kolorierte Platin-Gummidrucke (Edward Steichens „The Flatiron“, 1905) und inszenierte Selbstporträts (Cindy Shermans „Untitled Film Stills“, 1981). Appropriation Art, also die Verwendung bereits existierender Fotos, ist vertreten (Richard Princes „Cowboy“, 2015), ebenso Fotoinstallationen wie „To Her Majesty“ von Gilbert & George, eine Architekturaufnahme von Thomas Struth, ein Gruppenakt von Helmut Newton sowie ein arrangiertes Pseudo-Dokumentarfoto von Jeff Wall.

Das Ranking offenbart zweierlei: Erstens ist die Fotografie zweihundert Jahre nach ihrer Erfindung fast so vielfältig wie die bildende Kunst insgesamt. Zweitens erreicht sie weiterhin nicht jene astronomischen Marktpreise, die Käufer etwa für Gemälde von Gustav Klimt oder Pablo Picasso zahlen.

Fotografie gilt nach wie vor als Nischenmarkt, in dem sich Entdeckungen machen lassen – der aber auch für Überraschungen gut ist. So akquirierte Diandra Donecker, die Leiterin der Fotoabteilung und heutige Mitgeschäftsführerin des Auktionshauses Grisebach in Berlin, ein Fotogramm von László Moholy-Nagy, das 2017 für fast eine halbe Million Euro versteigert wurde – Rekord für ein Foto in Deutschland.

Auch das Berliner Auktionshaus Bassenge betreibt eine eigene Fotosparte und versteigert zweimal jährlich Fotografie mit einem eigenen Katalog. Höhepunkt der Auktion Ende November 2025 war das Fotoalbum „Panorama von Moskau“ mit 16 Albuminabzügen aus dem Jahr 1867 (30.000 Euro). Lempertz in Köln veranstaltet ebenfalls regelmäßig Spezialauktionen für Fotografie. Und noch bis zum 15. Dezember 2025 versteigert das Wiener Auktionshaus Dorotheum die „fotografischen Schätze“ der Galerie von Daniel Blau online. Der Münchener Kunsthändler (und Sohn des Künstlers Georg Baselitz) hat sein Geschäft in diesem Jahr geschlossen. Viele der 144 Lose sind mit äußerst niedrigen Preisen gestartet, darunter französische Daguerreotypien aus dem 19. Jahrhundert, Vintage-Prints von Weegee und Robert Capa und Aufnahmen aus dem Archiv der Nasa.

Überblick bieten die Spezialmessen

Sammler werden aber auch bei Fotogalerien fündig. Allen voran die Kölner Galerie Zander: Sie vertritt namhafte zeitgenössische Fotokünstler wie Candida Höfer, Mitch Epstein oder Andrea Geyer, aber auch historische Positionen wie Robert Frank, Diane Arbus oder Tata Ronkholz – deren Nachlass wiederum vom Kölner Auktionshaus Van Ham betreut wird. In Berlin engagiert sich die Galerie Kicken seit über fünf Jahrzehnten für Fotografie als Sammelobjekt und bot in jüngster Zeit vor allem Fotografinnen eine Bühne. In der Reihe „Sheroes of Photography“ wurden Werke von Lucia Moholy, Aenne Biermann, Barbara Klemm oder Jitka Hanzlová gezeigt. Auch Camera Work in Berlin ist eine feste Größe: Die Galerie macht traditionell keinen Unterschied zwischen den Gattungsgrenzen der Disziplin und zeigt sowohl Modefotografen wie Herb Ritts und Ellen von Unwerth als auch Fotoreporter wie Robert Polidori und Thomas Hoepker.

Den umfassendsten Überblick bieten jedoch die spezialisierten Messen. Als weltweit führende Messe für Fotografie gilt die Paris Photo, die jedes Jahr im Grand Palais stattfindet (2026 vom 12. bis 15. November). Hier werden nicht nur einige der besten und teuersten Fotografien gehandelt (ein Höhepunkt war ein Werk von Zofia Kulik, das von der Berliner Galerie Persons Project für 200.000 Euro verkauft wurde); die Messe ist auch Treffpunkt für Kuratoren und Fotohistoriker.

Im globalen Kunsthandel, der sich wieder stärker regionalisiert, gewinnen kleinere spezialisierte Messen an Bedeutung. Angebot und Nachfrage sind jedenfalls vorhanden: Im kommenden Jahr zieht etwa die Photo London, die größte Spezialmesse in Großbritannien, in die viktorianische Ausstellungshalle Olympia (13. bis 17. Mai 2026). Parallel zur Art Basel findet zudem erneut die Photo Basel statt (16. bis 21. Juni 2026).

Höchste Aufmerksamkeit erhält die Fotografie allerdings, wenn der Auktionshammer fällt. In diesem Jahr war es erneut Man Ray, der für ein Spitzenlos sorgte, diesmal bei Sotheby’s. „Noire et blanche“ von 1926 (abgezogen spätestens 1935) zeigt wiederum Kiki de Montparnasse. Sie legt ihren Kopf auf den Tisch; ihr hell geschminktes Gesicht kontrastiert mit der scharf geschnittenen afrikanischen Maske, die sie aufrecht neben sich hält. Exotismus? Surrealismus? In jedem Fall das teuerste versteigerte Foto des Jahres 2025: 2,1 Millionen Pfund.

Dieser Artikel stammt aus der Guest Edition der WELT AM SONNTAG von Andreas Gursky, einem der berühmtesten Fotografen der Welt. Sie können dieses einzigartige Sammlerstück hier bestellen.

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