Man wird diesen Film nicht sehen können, ohne stets daran zu denken, dass er die letzte Arbeit der Kamerafrau Halyna Hutchins war. Hutchins kam bei den Dreharbeiten durch einen aus Versehen aus einer Requisiten-Pistole gelösten Schuss des Hauptdarstellers Alec Baldwin ums Leben. Selbst wenn man diesen Hintergrund vergessen wollte – der Film macht es unmöglich, feuert er doch einen Schuss nach dem anderen ab. Jeder Knall erinnert an das Geschehene.
„Rust“ ist – mehr noch als andere Western – ein Film übers Schießen. Es geht um verpasste Schüsse, fehlgeleitete Schüsse, tödliche Schüsse, Schreckschüsse, Schüsse ohne Patrone, Schüsse auf Tiere, Hüte, Feinde und Freunde. „Rust“ ist ein Film darüber, mit welcher Leichtigkeit sich Menschen im Kansas des Jahres 1880 Pistolen vor die Brust hielten – und es heute noch tun.
Die Dreharbeiten wurden nach dem Unfall 2021, bei dem auch Regisseur Joel Souza an der Schulter getroffen wurde, im Jahr 2023 fortgesetzt – mit einer neuen Waffenmeisterin und ohne die Szene, in der es zu dem tödlichen Schuss kam. Die 28-jährige Waffenmeisterin Hannah Gutierrez-Reed, die den Revolver mit scharfer Munition lud, wurde wegen fahrlässiger Tötung zu 18 Monaten Haft verurteilt. Der zweite Prozess gegen Baldwin wurde im Juli 2024 eingestellt, da entlastende Beweise zurückgehalten wurden. Baldwin kann strafrechtlich nicht erneut angeklagt werden.
Der Witwer von Halyna Hutchins einigte sich außergerichtlich mit Baldwin und der Produktionsfirma. Er entschied, dass der Filmdreh fortgeführt werden sollte, um die Arbeit seiner Frau zu würdigen. Viele ihrer Kameraaufnahmen wurden erhalten, die restlichen von Bianca Cline aufgenommen. Das Ergebnis ist eine atemberaubend bildgewaltige Fahrt durch die Wildnis. Die Erlöse des Films, der Hutchins gewidmet ist, kommen ihrer Familie zu – neben ihrem Mann hinterließ die 42-Jährige einen Sohn.
Die Schuld-Frage wird ausgeklammert
Wie gelungen ist also dieser Film, der letztendlich doch noch das Licht der Welt erblicken durfte und unfreiwilligerweise seine eigenen Drehbedingungen thematisiert? Jede in Richtung Publikum und damit in Richtung Kamera geschmetterte Kugel lässt einen zusammenzucken. Am Anfang zielt Lucas (Patrick Scott McDermott) auf einen Wolf – aber das Gewehr ist nicht geladen. Dann versucht er es noch einmal – aber trifft einen unschuldigen Rancher. Zur Strafe soll der 13-Jährige gehängt werden. Tatsächlich war dies das Alter des jüngsten Menschen, der im amerikanischen Westen zum Tod durch den Strick verurteilt wurde. Dieser historische Hintergrund inspirierte, so Baldwin in einem Interview mit dem „Hollywood Reporter“, den sonst fiktiven Film.
Die Behörden trennen Lucas von seinem kleinen Bruder, den er alleine großzieht, und stecken ihn bis zu seiner Hinrichtung ins Gefängnis. Doch plötzlich taucht sein ihm unbekannter Großvater Harland Rust (Alec Baldwin) auf, um ihn zu entführen und zu befreien. Eine Flucht auf Pferden durch die USA bis nach Mexiko nimmt ihren Lauf, auf deren verschiedenen Stationen sich das Duo gegen Kopfgeldjäger, Polizei (Josh Hopkins als Marshal Wood Helm) und Indianer behaupten muss.
Zunächst misstraut Lucas dem alten Mann, von dem seine verstorbene Mutter nie ein Wort erzählt hat. Doch je mehr Hindernisse sie gemeinsam überwinden, desto näher kommen sie sich. Regisseur und Drehbuchautor Souza begleitet neben den Flüchtenden auch ihre Verfolger, was ihm schillernde Bösewichte und großartige Szenen beschert. Wenn Kopfgeldjäger Fenton Lang (Travis Fimmel) etwa bei einer alleinlebenden Mutter anklopft und lange in der Schwebe lässt, was er von ihr will – Informationen oder Sex –, bis auf einmal deutlich wird, dass es eigentlich die Frau ist, die in diesem virtuos inszenierten Versteckspiel die Zügel in der Hand hält.
„Rust“, dessen Ausgangslage – Buddy-Roadtrip eines älteren Mannes mit einem 13-Jährigen – einiges mit Clint Eastwoods letztem Western „Cry Macho“ gemein hat, interessiert sich wenig für die Schuld oder Unschuld des Jungen. Im Zentrum steht das Mitfiebern, wie der Täter dem Gesetz und damit seiner Strafe entkommt. „Du bist ein Mörder“ wirft Lucas einmal seinem Großvater – und damit Alec Baldwin – vor. Der widerspricht nicht. Sagt nur: „Du auch“.
Der Film „Rust“ läuft ab dem 1. Mai im Kino.
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