Vorschusslorbeeren waren es nicht, mit denen in den vergangenen Monaten der Zustand des Kunstmarkts bedacht wurde. Vielfach realitätsfremd, aber im Brustton der Überzeugung, wurde ein Katastrophenszenario aufgebaut. Dabei hat der seit dem Jahr 2024 einsetzende Umsatzeinbruch lediglich die Erwartungen heruntergeschraubt.
Auf ein erträgliches Maß. Wirklich schmerzhafte Einbußen gab es vorwiegend im Spitzensegment (angefangen bei hohen einstelligen und den zweistelligen Millionenwerten). Das schadet der Statistik – ob es dem Kunstmarkt auf Dauer schadet, ist absolut fraglich.
Ausgerechnet London, das im Vergleich mit Paris in jüngster Zeit einen Aufmerksamkeitseinbruch erlebt hat, vermittelte jedenfalls einen anderen Eindruck: die Frieze Week mit den beiden großen und diversen kleineren Kunstmessen, mit superben Abendauktionen der beiden großen Konkurrenten Sotheby’s und Christie’s. Für Kenner, Freunde, Kuratoren und Vermittler der Kunst war London in jener Woche im Oktober 2025, gemessen an den derzeitigen wirtschaftlichen, regionalen und strukturellen Widrigkeiten, der richtige Ort zur richtigen Zeit.
Zwar sah es für die inzwischen traditionelle Messe Frieze London (für zeitgenössische Kunst) im Vorfeld tatsächlich nicht sonderlich gut aus. Im Vergleich zu früheren Ausgaben versuchten manche Händler ihre Ressourcen zu konzentrieren. Die Florentiner Galerie Tornabuoni etwa hatte sich nur für eine Teilnahme bei der eine Woche später stattfindenden Art Basel Paris entschieden. Denn auch die Großen im Kunsthandel kalkulieren heute mit spitzem Bleistift. Die Qualität der Exponate der Frieze Masters mit kostbarem Kunsthandwerk, Alten Meistern und Meisterwerken der Moderne hat jedoch nicht im Geringsten gelitten. Sie wird sich auch weiterhin als solider Anlaufpunkt für Kenner beweisen.
Der Weg nach Paris erscheint einfacher
London kämpft freilich, anders als Paris, mit den wenig einladenden bürokratischen Hürden bei der Einfuhr der Kunstwerke. Auch zunächst nur vorübergehend importierende Aussteller müssen beispielsweise jedes einzelne Objekt umständlich deklarieren. Das kostet und gefällt auch nicht jedem. Also geht mancher Händler den direkten, zumindest bürokratisch einfacheren Weg nach Paris.
Auch hat sich London seit dem Brexit-Referendum von 2016 weit vom europäischen Kontinent entfernt, wie Sabina Fliri, eine seit vielen Jahren international tätige Londoner Händlerin, zu bedenken gibt: „Deutsche oder italienische Kunstwerke kommen kaum mehr zur Versteigerung nach London. Dafür konzentriert man sich auf indische, arabische, afrikanische Kunst. Sucht die Käuferschaft in den Ländern der ehemaligen Kolonien. Mit Erfolg. Das Angebot hat sich zudem entsprechend geändert – mehr Luxusprodukte und Memorabilia von Berühmtheiten.“
Hinzu kommt, dass sich die Abwanderung wohlhabender Sammler mit „Non-Domicile“-Status, einem nun abgeschafften Steuermodell, das seit dem 18. Jahrhundert vermögende, nicht dauerhaft im Vereinigten Königreich lebende, sondern überwiegend andernorts ansässige Personen begünstigt, stark bemerkbar gemacht hat. Viele „Non-Doms“ haben in den vergangenen Jahren ihr britisches Teilzeit-Domizil aufgegeben. Um sich in steuerfreundlicheren – besser gesagt: steuerschädlicheren – Gegenden, etwa Malta, Zypern oder Irland niederzulassen.
Doch wie es aussieht, hat man den fatalen britischen Abwärtstrend (auch) zugunsten einer soliden, auf vernünftigen Preisen basierenden Überlebensstrategie einigermaßen stoppen können. Dass hier wie in New York in jüngster Zeit Traditionsgalerien schließen, ist nicht in jedem Fall eine Folge schlechten Wirtschaftens oder hohen Alters der Gründer. Oft wollen oder können sie schlicht die sich abzeichnende notwendige Transformation der Branche, basierend auf einem sprunghaften, grundlegenden Wandel in der politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Struktur unserer globalen Gesellschaft, nicht mehr mittragen.
Frieze jetzt Vorläufer für die Art Basel
Die Londoner Umsätze haben allerdings gezeigt, dass in jeder Hinsicht exquisite Werke, egal wo, gefragt sind. Die Verkaufsmeldungen der Frieze waren insgesamt gut, manchmal erwartungsgemäß, nur selten überschwänglich. Man hatte sich emotional schon im Vorfeld arrangiert und blieb durchweg gelassen. Einerseits ist der Gedanke folgerichtig, dass „die Amerikaner“ sich eine Woche in Europa gönnen und von London direkt weiter nach Paris düsen. Andererseits sind zwei derart dicht aufeinanderfolgende Spitzenmessen eine wagemutige Herausforderung für Nerven, Aufnahmefähigkeit und Budget.
Mit ein paar Zweifeln und einigem Wohlwollen gewürzt, könnte man die Frieze London nun als hochkarätigen Vorläufer für die Pariser Art Basel einstufen. Die richtig großen Player unter den Galerien dürften auf beiden (auf überhaupt allen einigermaßen entscheidenden) Messen präsent bleiben. Ihre Depots sind ausreichend gefüllt, um auf mehreren Veranstaltungen nahezu gleichzeitig mit Millionenwerten zu brillieren. Der Brexit hat die Pariser Dynamik schlicht beflügelt.
Sotheby’s und Christie’s veranstalten parallel zu beiden Messen ihre Versteigerungen in London, danach in Paris und prüfen den Markt für das zweite Halbjahr. Das ist in diesem Jahr mit positivem Ergebnis gelungen. Kein Brexit-Hauch schien die Lust an hochpreisiger Kunst zu kühlen.
Peter Doig (19 Millionen Dollar) etwa, aber auch die Papierarbeiten der legendären Sammlung Hegewisch katapultierten Christie’s in die herbstliche Pole-Position. Der „Contemporary Evening Sale“ mit sechzig hochpreisigen Losen erzielte knapp 143 Millionen Dollar, seit sieben Jahren das beste Ergebnis im vergleichbaren Zeitraum. 67 Prozent der Lose waren erstmals auf dem Auktionsmarkt und bestätigten das Branchen-Mantra von der Macht der Dreieinigkeit: außerordentliche Qualität, exquisite Provenienz und absolute Marktfrische. Angeführt von einem 17,6 Millionen Dollar teuren Francis Bacon schloss die „Contemporary Evening Auction“ von Sotheby’s mit nur 27 Losen bei 63,5 Millionen Dollar. In Paris erzielte das Haus mit einem Gesamtvolumen von 89,7 Millionen Euro das höchste Ergebnis, das je in der französischen Metropole erzielt wurde. Ein Modigliani-Porträt wurde für 27 Millionen Euro weitergereicht.
Beste Aussichten also? Dünnes Eis wäre die korrektere Zustandsbeschreibung. Da die Betriebskosten der Messen steigen, die Nachfrage aber nicht entsprechend zunimmt, finden sich viele Händler nun in einer Branche wieder, die offenbar mit ihren eigenen Kapazitäten kämpft. Zu groß seien einige Galerien geworden, zu kostspielig ihr Geschäft und zu sehr von einem Messemodell abhängig, das ihnen nicht mehr dient. Bei Großbetreibern wie der Art Basel, die nach Hase-und-Igel-Manier alle einigermaßen lukrativen Standorte rigoros entert, droht eine Kannibalisierung. Dass damit die vorauseilende Herabstufung der Teilnahmekosten für die zukünftigen Veranstaltungen einhergeht, darf man als ein schlechtes Omen verstehen.
Inwieweit das alte Messekonstrukt – hier die Betreiber, da die Aussteller, dort die Kunden aus aller Welt – überhaupt noch Bestand hat, wird sich wohl bald deutlich zeigen. Nicht nur in London, Paris und den gewohnten Marktplätzen, sondern auch am Persischen Golf. Etwa in den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo die Londoner Frieze-Gruppe mit der Abu Dhabi Art eine „strategische Partnerschaft eingegangen“ ist, also mit dem Kulturministerium, dem Eigner der Messe. Damit ist die Frieze nun verknüpft mit der offiziellen staatlichen Kulturstrategie und deren Infrastruktur wie Museumsprojekten und anderer lukrativer Vorhaben. Das konnte die privat geführte Art Dubai nicht bieten. Dennoch bahnt sich ein harter Konkurrenzkampf an, denn die Messe im verbündeten Nachbaremirat agiert unabhängig und kann eigene strategische Interessen entwickeln und verfolgen. Mit Doha, wo die Schweizer MCH Group, Eigentümerin der Art Basel, eine neue Messe etablieren wird, entwickelt sich die Golfregion zu einer Drehscheibe mit hohem Kaufkraftpotential.
Katar und die Emirate finanzieren und kaufen derartige Zusammenschlüsse und Projekte quasi ohne Limit. Sie schaffen Netzwerke für regionale Künstler und globale Galerien, sind Anlaufstelle für milliardenschwere Investoren und Sammler aus der Region. Das ist Symbolpolitik vom Feinsten, bringt kulturelles Prestige und Soft-Power. Sie positionieren den Golf als Brücke zwischen Ost und West. Sieht ein wenig so aus, als hätte Europa, der Westen, auch hier schon verloren.
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