Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels ist der älteste Branchenverband Deutschlands, angeblich sogar Europas. Er wurde 1825 in Leipzig gegründet, der über Jahrhunderte maßgeblichen Buch-Metropole Mitteleuropas. Hierher karrten Druckerverleger aus aller Herren Länder jeweils an den Buchmessen zu Jubilate und zu Michaelis – also am dritten Sonntag nach Ostern und im September – ihre Neuerscheinungen. Anlass für die Gründung des Börsenvereins war der Wunsch nach einer gemeinsamen Abrechnungsbörse (daher der Name), sprich einer Clearingstelle, um das Geschäft mit Büchern in der deutschen Kleinstaaterei besser zu organisieren, denn der Deutsche Bund war ein Flickenteppich mit 41 verschiedenen Währungen.
Die Buchhändlerbörse entwickelte sich bald zur Institution, die auch politische Lobbyarbeit machte und das kulturelle Leben in Deutschland bis heute mitgestaltet, von der Frankfurter Buchmesse bis zum Vorlesewettbewerb in Schulen, vom Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bis zur Woche der Meinungsfreiheit. Schon zu Kaisers Zeiten wurde die Ladenpreisbindung für Bücher eingeführt. Auch die Idee, das gesamte Schrifttum in einer nationalen Bibliothek zu sammeln – damals Deutsche Bücherei genannt – kam nicht etwa von staatlicher Seite, sondern vom Börsenverein.
Pünktlich zum bevorstehenden Regierungsantritt von Bundeskanzler Merz und seinem designierten Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hat der Börsenverein eine kleine Liste drängender Branchen-Anliegen adressiert: Das Urheberrecht in Zeiten von KI-Software sei mehr denn je wieder gefährdet. Der Zugriff von Large Language Models auf gesetzlich geschützte Texte müsse mit Lizenzgebühren reguliert werden, um einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten.
Weitere Forderungen: Eine strukturelle Verlagsförderung, von der vor allem kleine Independent-Verlage profitieren würden, möge geprüft werden (in Österreich gibt es sie längst, in Deutschland gibt es mit dem 2019 eingeführten Deutschen Verlagspreis nur ein System an rotierenden Förderprämien). Und der Kulturpass, also der 200-Euro-Gutschein für 18-Jährige, von dem die Buchbranche überdurchschnittlich profitiert, solle bitte weiter finanziert werden.
„Dieser Verein war immer politisch“, sagte die amtierende Börsenvereins-Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs bei der Jubiläumsveranstaltung Leipzig, zu der 250 Festgäste geladen waren. Tatsächlich scheinen manche Themen seit Gründung des Verbandes im Schwange: Meinungsfreiheit war eine Forderung unter Metternich; sie wurde jüngst wieder diskutiert, als über rechte Verlage auf Buchmessen gestritten wurde. Regelmäßig erinnert der Börsenverein auch daran, wie sehr Schriftsteller weltweit gefährdet sind, nur weil sie nichts anderes als ihre Meinung kundtun.
Beim Jubiläumsempfang in der Leipziger Schaubühne Lindenfels führte der langjährige Verleger und Zeithistoriker Christoph Links einmal im Galopp durch 200 Jahre Verbandsgeschichte. Wie bei allen deutschen Institutionen werfen die Jahre 1933 bis 1945 hässlich-braune Schatten auf den deutschen Buchhandel. Die willfährige Kollaboration des Börsenvereins mit den Nazis schmerzt auch deshalb so sehr, weil die Branche in vorauseilendem Gehorsam ein „Sofortprogramm“ präsentierte: Listen mit „Schriftstellern, die für das deutsche Ansehen als schädigend zu erachten sind“. Eine Lehre aus diesem Fehlverhalten sei der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, ergänzte Schmidt-Friderichs.
Maja Göpel auf der Bühne
Nun kann so ein Jubiläumsabend nicht nur vergangenheitsbezogen ausfallen, sondern muss den Blick auch nach vorn richten. Zwei Gäste im Panel „Neue Kapitel“ schienen erkennbar mit dem Hintergedanken eingeladen, die Branche rhetorisch ein bisschen auf der Höhe der Zeit zu bespiegeln. Maja Göpel (Buchautorin und Speakerin für Themen, die mit „Transformation“ zu tun haben) und Bijan Moini (Buchautor und Jurist) ließen wissen, dass Bücher nach wie vor „eine besondere Autorität“ ausstrahlen – sonst würden nicht auch Influencer vom eigenen Buch träumen, so Moini. Schmeichelnd für das mit Verlegern wie Jo Lendle (Hanser), Thedel von Wallmoden (Wallstein) oder Andreas Rötzer (Matthes & Seitz) bestückte Saalpublikum vielleicht auch der Hinweis, dass Bücher „die ideale Formgebung“ seien, „um eine Sache zu durchdringen und sich Zusammenhänge anzueignen“, wie Göpel sagte. Sie ergänzte, dass Bücher unsere „Neuroplastizität“ trainieren. Und: „Lesen dürfen, etwas Längeres, ist Luxus. Man checkt sich mal aus allem aus“.
Sätze, die wehtaten, fielen an diesem Abend nur beiläufig, etwa als Annika Bach, Verlegerin von Seemann Henschel, auf dem Podium daran erinnerte, dass gerade eine neue Generation von Analphabeten heranwächst. Ein Viertel aller Kinder kann bei Abschluss der Grundschule nicht lesen. Das Problem mangelnder Bildung und Integration werde die Branche allein nicht lösen, da könne sie noch so viele Bücher herstellen, die „so schön wie nie und mit Leidenschaft gemacht“ (Bach) seien.
Selbstverständlich bot der gesellige Abend nicht den Rahmen, um tiefschürfend Themen zu wälzen. Der große, zweitägige Jubiläumskongress im Juni steht ohnehin noch an. So war man an diesem Festabend dankbar, dass neben der Kulturbürgermeisterin der Stadt Leipzig wenigstens keine weiteren Politiker geladen waren, um ihren Förder- oder Floskelsegen zu verkünden.
Ausstellung zur Geschichte des Börsenvereins
Noch bis Jahresende kann man im Deutschen Buch- und Schriftmuseum in Leipzig eine hervorragende Ausstellung zur Geschichte des Verbandes besuchen, die zeigt, dass diese Branche mal richtig Geld hatte. Allein schon durch die Erlöse der Verbandszeitschrift, die im 19. und 20. Jahrhundert meist aus 90 Prozent Annoncen und 10 Prozent redaktionellen Inhalten bestand! 1886 baute man sich einen prächtigen Tempel im Stil der Neo-Renaissance: das Deutsche Buchhändlerhaus. Es hat den Zweiten Weltkrieg leider nicht überlebt.
Des Weiteren macht die Ausstellung augenfällig, wie kreativ und ästhetisch die Buchbranche in ihren Werbemitteln war, etwa Verlagsprospekten, Lesezeichen oder Ex-Libris-ähnlichen Reklameklebern im Buch – zur Erinnerung, wo man es erworben hat.
Eine etwas skurrile Themenstation bezeugt den manchmal schrägen Humor der Branche: Vor allem in den Jahren um 1900, als Symbolismus die Ästhetik regierte, wurden die Menükarten zum jährlichen Verlegertreffen am Cantate-Sonntag in Leipzig mit Krebsmotiven illustriert. So wie der Krebsgang in der Musik das Symbol für das Rückwärtsspielen einer Notenpassage steht, so mutierte der Krebs in der Buchbranche zum Sinnbild für Remittenden, also nicht verkaufte Bücher, die an die Verlage zurückwanderten.
Den Galgenhumor, sich Flops und falsch kalkulierte Auflagen derart vor Augen zu führen, muss man erst mal mitbringen. Dass sich hinter dem Buchmarkt der Neuerscheinungen seit Jahrhunderten längst auch ein zweiter Buchmarkt etabliert hat, nämlich der Handel mit gebrauchten Büchern, heute Re-Commerce genannt, ist eine andere Geschichte.
Thomas Mann sprach zum 100.
1925 wurde im Börsenverein des deutschen Buchhandels schon einmal ein rundes Jubiläum gefeiert, und kein Geringerer als Thomas Mann war geladen. Der Schriftsteller – damals 50 Jahre alt und noch vier Jahre vom Nobelpreis entfernt, aber mit „Buddenbrooks“ und „Zauberberg“ schon eine Nummer im deutschen Kulturbetrieb – hielt eine Rede über „Das deutsche Buch“. Darin kam er auf das Selbstverständnis des deutschen Buchhandels zu sprechen, „ein Mittel zur Einheit des deutschen Volkes“ gewesen zu sein. „Kann denn das geistige Leben ein Mittel zur Einheit sein?“, fragte Mann betont skeptisch – und versuchte sich an einer doppeldeutigen Antwort.
Einerseits passe die Rolle des Schriftstellers nicht zur Führer-Idee. „Ein Führer, meint mancher, ist ein Mann, der irgendein Banner ergreift, es hochschwingt und schreit: Mir nach! Von solchen Führern ist die Welt voll, aber sie führen nicht zusammen, sondern auseinander. Die Art des Dichters war solche Führung selten, und das versteht sich.“ Der Schriftsteller sei qua Beruf „eher ein Erzieher als ein Führer“, denn – so Thomas Mann – gute Literatur spreche „ganz ohne Führergebärde“. Ihr Führungsanspruch auf das geistige Leben definiere sich niemals von der Intention des Autors her, sondern bestenfalls von der Wirkung. Andererseits, wenn letzteres der Fall sei, könne Literatur auch einen Führungsanspruch entfalten: „Das Leben als Geist, Wort und Bild muss dem materiellen, dem sogenannten ‚wirklichen‘ Leben vorangehen, damit es sich zum Besseren und Guten gestalte.“
Ein Plädoyer für das Subtile und gegen das Platte, das sich als Agitation, Propaganda und Tendenzdichtung missversteht. Zumal in Zeiten, in denen Branchenfunktionäre bisweilen selbst der Versuchung unterliegen, allzu plakative Botschaften zu platzieren, kann eine Immunisierung der Buchbranche gegen wohlfeile Parolen gar nicht aktueller sein.
Die Ausstellung „Zwischen Zeilen und Seiten. 200 Jahre Börsenverein des Deutschen Buchhandels“ läuft bis 15. Dezember im Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig. Der gleichnamige Katalog, hg. von Christine Haug und Stefanie Jacobs (Hg.), ist im Wallstein-Verlag erschienen.
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