Er ist kein Katholik, aber ein sehr politischer Mensch: Robert Harris, Jahrgang 1957, war Journalist, bevor er mit „Vaterland“ einen Weltbestseller schrieb, dem viele weitere folgten: eine Cicero-Trilogie etwa, der Polit-Thriller „Ghost“ und, 2016, „Konklave“, ein Spannungsroman über eben jene Papstwahl, die nun in Rom beginnt. Denn der verstorbene Papst in Harris‘ Roman ist erkennbar Franziskus. Der deutsche Regisseur Edward Berger hat „Konklave“ mit Ralph Fiennes verfilmt. Seit Oktober läuft der Film in den Kinos und ist mittlerweile auch bei Amazon Prime zu sehen. Für das auf Harris‘ Roman beruhende Drehbuch gab es in Los Angeles einen Oscar. Aber woher hatte Harris die Idee?

Robert Harris: Lange bevor das Buch ein Film wurde, hat mich die Wahl von Papst Franziskus 2013 inspiriert. Ohne Franziskus hätte ich das Buch nie geschrieben.

Frage: Warum?

Harris: Ich habe diesen guten Mann auf dem Balkon des Petersdoms erscheinen sehen, mit einem Ausdruck von Demut, Mitgefühl, aber auch Humor im Gesicht. Und ich habe mich gefragt: Wie ist er eigentlich dort hingekommen?

Frage: Und daraus wurde binnen drei Jahren dieser außerordentliche Roman?

Harris: Ja, die Versammlung der Kardinäle hat mich an den römischen Senat erinnert. All diese alten Männer – zwischen Intrigen, Verschwörungen, Allianzen, Klatsch und Tratsch. Es ist ein extrem politischer Augenblick, mit Fortschrittlichen und Konservativen, die sich gegenseitig misstrauen, wie in jeder anderen Institution unserer Gesellschaft auch. Und dann die geheimen Stimmabgaben, die sich wiederholen. Das ist einfach perfekt für einen Roman. Eigentlich ein Gottesgeschenk!

Frage: Und wie geht das jetzt beginnende Konklave zu Ende?

Harris: Das weiß ich leider nicht.

Frage: Sie sind doch einer der größten politischen „Hellseher“ der Gegenwart.

Harris: Aber Konklave sind völlig unvorhersehbar. Nehmen Sie zum Beispiel die Wahl von Joseph Ratzinger, bei der sich Jorge Bergoglio, der spätere Franziskus, aus dem Rennen zurückzog. Noch etwas, das ihn zu einer sehr reizvollen Figur gemacht hat.

Frage: Wer Ihr Buch gelesen oder den Film gesehen hat, weiß, wie das Konklave bei Ihnen ausgeht. Ohne hier zu viel verraten zu wollen: Es kommt zu einer Katastrophe für die Konservativen.

Harris: Nun, Papst Franziskus hat ja, genau wie in meinem Buch, die meisten Kardinäle selbst ausgewählt, weshalb dieses Konklave liberaler sein könnte als beim letzten Mal. Es könnte allerdings auch einen starken afrikanischen Kandidaten geben, der gegen die Homosexualität und erzkonservativ ist und sich mit den Liberalen verbündet. Wir werden sehen, jetzt zu spekulieren, macht keinen Sinn. Doch angesichts der Instabilität der Welt von heute wird der neue Papst eine noch wichtigere und charismatischere Figur sein, ein bisschen wie damals der Revolutionär Johannes Paul II.

Frage: Hat Sie der Vatikan bei ihrem Roman unterstützt?

Harris: Überraschenderweise ja, und zwar sehr. Über meinen Verleger habe ich um die Erlaubnis gebeten, Santa Marta, die Sixtinische Kapelle, die Paulinische Kapelle und die Gärten des Vatikans besuchen zu dürfen. Und sie haben zu allem Ja gesagt. Ich durfte sogar das Schlafzimmer des Papstes sehen und auf den Balkon treten, von dem er hinunterblickte. Allerdings standen dort unten Zehntausende Gläubige, also habe ich mich nur getraut, durch die Gardinen zu spähen …

Frage: Haben Sie Franziskus je getroffen?

Harris: Nein, aber dem englischen Kardinal Cormac Murphy-O’Connor, seinem engen Freund, gefiel die Hauptfigur des Buchs, Jacopo Baldassare Lomeli (der im Film Thomas Lawrence heißt und von Ralph Fiennes gespielt wird). Er wird von Zweifeln gequält, wie viele andere Persönlichkeiten in meinen Büchern, von Cicero bis Neville Chamberlain. Also hat Kardinal Murphy-O’Connor den Roman dem Papst geschenkt, in italienischer Übersetzung. Da bin ich schon ins Schwitzen gekommen: Wie wird er wohl das Ende finden? Ich habe dann nie wieder etwas davon gehört. War sicher besser so …

Frage: Wie bewerten Sie die Jahre unter Bergoglio?

Harris: Er ist in die Schusslinie der Konservativen geraten und konnte die katholische Kirche deshalb nicht reformieren, wie er sich das gewünscht hätte, von der Rolle der Frauen bis zu den Homosexuellen. Aber er hat das Schiff der Kirche nach den vielen Stürmen und Skandalen unter seinen beiden Vorgängern wieder stabilisiert. Er wird für immer ein herausragendes Symbol für den katholischen Glauben bleiben.

Frage: Zumindest König Charles hat es noch geschafft, Papst Franziskus zu treffen, eine Woche vor seinem Tod.

Harris: Das war für einen Monarchen wie ihn, der an den religiösen Dialog glaubt, sehr wichtig. Ich weiß, dass der König meine Bücher liest und auch „Konklave“ kennt. Was ich eher bedauert habe, war, dass der letzte Politiker, den Franziskus im Vatikan empfangen hat, ausgerechnet der amerikanische Vizepräsident J.D. Vance gewesen ist. Der glaubt ja, dass er sogar dem Papst gute Lehren in Bezug auf den ‚Niedergang der christlichen Werte in Europa‘ erteilen müsse.

Dieser Artikel erschien zuerst bei „La Repubblica“, wie WELT Mitglied der Leading European Newspaper Alliance (Lena). Übersetzt von Bettina Schneider.

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