Als The Kooks 2006 mit ihrem Debütalbum "Inside In/Inside Out" durchstarteten, katapultierten sie sich über Nacht an die Spitze der britischen Indie-Szene. Der Mix aus Pop, Rock und britischer Coolness machte sie schnell zu Lieblingen einer ganzen Generation. In den Jahren danach blieb die Band um Frontmann Luke Pritchard nie stehen, sondern lotete mit jeder neuen Platte andere musikalische Facetten aus - mal elektronischer, mal souliger, mal poppiger Natur. An den Erfolg der ersten Platte konnte sie aber nie ganz anknüpfen.

Mit "Never Know", ihrem neuesten Werk, kehren The Kooks nun zu ihren Wurzeln zurück - handgemachte Songs, eingängige Melodien, ein Hauch Nostalgie. Im Interview mit ntv.de teilt Pritchard nicht nur Anekdoten über wilde Nächte mit Oasis-Star Liam Gallagher, sondern er spricht auch über die Anfänge der Kooks, Rivalitäten zu anderen Indie-Bands und die Erkenntnis, dass selbst ein Song wie "Jackie Big Tits" irgendwie ins Herz treffen kann.

ntv.de: Ihr seid mit eurem neuen Album zu den Wurzeln eurer ersten Platte zurückgekehrt. War das eine bewusste Entscheidung oder hat es sich einfach so ergeben?

Luke Pritchard: Ich muss das ein bisschen erklären: Mir ging es bei diesem Album darum, einen musikalischen Ausdruck zu schaffen - vor allem für die Leute, die unsere Band von Anfang an lieben. Wir haben uns im Laufe der Jahre ziemlich verändert und ich hatte das Gefühl, für eine Zeit meine musikalische Identität etwas verloren zu haben. Ich habe mit vielen verschiedenen Songwritern und Produzenten gearbeitet, und irgendwann hatte ich eine Art Erweckungsmoment - auf der Bühne, bei einem Festival, als ich gerade "Ooh La" gesungen habe. Die Leute waren total verbunden mit dem Song, und ich dachte mir: Das ist so ein simples Lied - warum schreibe ich eigentlich nicht mehr solche Songs?

Und hast du eine Antwort auf die Frage gefunden?

Ich war sehr in diese moderne Art des Arbeitens reingerutscht: ins Studio gehen, direkt mit Produzenten und großen Lautsprechern arbeiten, alles klingt sofort gut, selbst ohne eine Band. Man kommt so schnell zu einem tollen Klang, dass man leicht die Basics vergisst. Und genau das wollte ich ändern. Ich habe wieder angefangen, meine ursprünglichen Einflüsse zu hören - The Police, Bob Marley, Bob Dylan, Eddie Cochran, Buddy Holly - also genau diese klassischen Künstler, die uns ursprünglich inspiriert haben. Dann habe ich innerhalb von fünf Tagen zu Hause im Keller ein ganzes Album geschrieben, ganz alleine, einfach drauflos. Und plötzlich dachte ich: "Wow, das ist es." Ich habe nicht zwanghaft versucht, einen Song wie "Naive" zu schreiben, nur weil der so viele Streams hat. Es ging mir mehr um das Gefühl. Es fühlte sich an wie ein Debütalbum, und genau das wollte ich erreichen. Ich habe mich viel damit beschäftigt, warum Debütalben oft so besonders sind, warum wir immer wieder zu ihnen zurückkehren. Und das war letztlich der Antrieb für diese Platte.

Was glaubst du, warum das so ist?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen hat man am Anfang keine Erwartungen - weder von außen noch an sich selbst. Man weiß eigentlich gar nicht genau, was man da tut. Man denkt nicht zu viel nach, sondern handelt intuitiv. Außerdem hat man als Künstler am Anfang nicht viel Geld. Man kann sich keine teuren Studios oder lange Sessions leisten, also arbeitet man schnell und ohne großen Luxus. Genau das wollte ich diesmal wieder einfangen. Ich habe die Jungs angerufen und gesagt: "Ich würde das neue Album gerne selbst produzieren, ich habe all diese Songs geschrieben." Am wichtigsten war mir dabei die richtige Stimmung - dass alle spontan sein können und sich frei fühlen. Wir haben viel geprobt und zusammen viele alte Alben gehört. Das ist etwas, das man als Band ganz am Anfang ständig macht - man sitzt rum, trinkt was, hört gemeinsam Musik und sagt sich: "Verdammt, ich liebe diesen Song!" Das hatten wir ewig nicht mehr gemacht, und das wollte ich unbedingt zurückholen. Am Ende war es genau das, was uns wieder gezeigt hat, warum wir das überhaupt machen. Es fühlte sich nicht wie Arbeit an, sondern wie eine Wiederentdeckung dieses kindlichen Staunens, das man ganz am Anfang hatte.

Hattest du auch das Gefühl, dass eure Fans es lieber hätten, wenn ihr musikalisch zu eurem Ursprung zurückkehrt?

Ja, ich glaube schon. Ich habe das Gefühl, nach fast 20 Jahren ist jetzt ein guter Zeitpunkt, dem Publikum etwas zurückzugeben. Aber es geht dabei nicht einfach nur darum, zu den alten Songs zurückzukehren - es geht vielmehr um Authentizität. Das bin einfach ich. Wenn man mit einem neuen Produzenten arbeitet, kommt oft die Frage: "Was ist gerade angesagt?" Und dann wird versucht, den Sound entsprechend zu formen. Das ist auch clever und funktioniert oft sehr gut - David Bowie und Nile Rodgers sind da ein gutes Beispiel. Aber ich habe irgendwann gedacht: Moment mal, wer sind wir eigentlich? Und für mich war klar: Wir sind Sunshine-Rock'n'Roll, Pop, Rock und Soul. Ich wollte genau das wieder stärker hervorholen. Soul war früher ein großer Einfluss, und diesmal habe ich zum ersten Mal auch Sängerinnen ins Studio geholt, was eine richtig schöne Erfahrung war. Das hat den Songs eine besondere Wärme und Weichheit gegeben.

Warum war ausgerechnet jetzt der Moment für den neuen Kurs?

Das alles ist auch meine persönliche Reaktion auf die heutige Zeit. Ich habe einfach keine Lust mehr, mir ständig anhören zu müssen, dass alles scheiße ist. Ich habe zwei kleine Kinder und ich dachte nur: Ich lasse mir diese besonderen Jahre mit meiner jungen Familie nicht vermiesen, indem ich mich dauernd runterziehen lasse. Klar, es gibt viel Mist, aber den gab es schon immer. Und meine Reaktion darauf war eben, den Leuten etwas zu geben, das sie für einen Moment entfliehen lässt - ein bisschen Eskapismus.

Hat dich die Vaterschaft dazu gebracht, nostalgisch zu werden und über deine Vergangenheit oder die "guten alten Zeiten" nachzudenken?

Ja, definitiv. Es hat in mir einiges ausgelöst - im positiven Sinne. Eigentlich war es fast das Gegenteil von dem, was du gesagt hast. Ich schaue nicht nostalgisch zurück und denke: Das waren die besten Jahre meines Lebens. Damals war ich voller Angst und Stress. Klar, es gab tolle Momente und wir haben großartige Musik gemacht, aber jetzt bin ich viel ruhiger. Ich genieße diese Phase mit ihrer gewissen Bodenständigkeit - das Gefühl, gebraucht zu werden, Verantwortung zu tragen. Das tut mir richtig gut. Ob das direkt mit der Vergangenheit zu tun hat, weiß ich nicht. Aber was mich wirklich tief berührt hat, war die Geburt unseres ersten Sohnes Julian.

Inwieweit?

Mein Vater ist gestorben, als ich drei war - und er ist eigentlich der Grund, warum ich überhaupt Musik mache. Über die Musik habe ich diese Verbindung zu ihm gespürt. Ich dachte immer, ich hätte ihn nie gekannt, aber dann kam dieser Moment, als Julian in dem Alter war, in dem ich meinen Vater verlor. Und da wurde mir klar: Drei Jahre sind keine kurze Zeit. Wir haben uns gekannt, wir haben Zeit miteinander verbracht - (hält inne) … Ich muss gleich weinen. Es war ein unglaubliches Gefühl - als würde ich zum ersten Mal wirklich verstehen, dass da doch eine Verbindung war. Das hat mich sehr bewegt - und genau dieses Gefühl, diese Erkenntnis, steckt in der Wärme und Freude des neuen Albums.

Jetzt, wo ihr zu eurem ursprünglichen Sound zurückgekehrt seid: Wollt ihr in diesem Bereich bleiben oder seid ihr immer offen für Veränderungen?

Darüber habe ich bisher gar nicht so viel nachgedacht. Meistens folge ich einfach dem, was sich natürlich ergibt. Aber mir ist schon wichtig, dass wir weiterhin vieles selbst machen. Das war sehr gesund für uns - ohne einen übermächtigen Produzenten im Nacken. Die Rolle von Produzenten hat sich ohnehin stark verändert: Früher waren sie eher im Hintergrund, heute sind sie oft selbst Künstler, was auch erklärt, warum sie so viel vom Publishing bekommen. Viele Produktionen sind heute Kollaborationen auf Augenhöhe. Ich werde das sicher auch wieder machen, aber als Band war es jetzt wichtig, zu merken: Wir wissen, was wir tun. Wir haben wieder Vertrauen in uns selbst gewonnen. Und vielleicht ist das auch die Erkenntnis: einfach wir selbst zu sein und besser und besser zu werden - anstatt uns zu sehr ablenken zu lassen.

Gab es früher Rivalitäten zwischen euch und den Arctic Monkeys, Strokes und anderen Indie-Rockbands?

Es herrschte schon eine gewisse Mentalität von Konkurrenz und Kritik zwischen den Bands, aber vieles davon wurde durch die Presse befeuert. Immer wenn ich Leute aus diesen Bands getroffen habe, hatte ich nicht das Gefühl, dass da etwas Negatives war. In gewisser Weise war das sogar gut - wir haben uns dem Ganzen entzogen. Die waren wie die coolen Kids in der Schule, die sich sehr ernst genommen haben, und wir waren eher die Nerds in der letzten Reihe. So habe ich das empfunden. Vielleicht galten wir auch einfach als ein bisschen kitschig. Aber die Zeiten haben sich geändert. Heute sind die Leute offener und weniger stur, wenn es um Musik und Szenen geht. Dafür haben uns die älteren Musiker total gefeiert. Unsere Zeitgenossen haben kaum über uns gesprochen oder unsere Konzerte besucht, aber dafür standen Leute wie Mick Jagger, Ray Davies, Paul Weller und die Gallagher-Brüder total auf uns.

Wie erklärst du dir das?

Ich weiß es nicht genau, vielleicht war unsere Musik einfach näher an dem, was viele dieser älteren Künstler selbst gemacht haben. Viele jüngere Bands damals haben sich eher am Post-Punk oder sogar an Rap orientiert. Das erste Album der Arctic Monkeys, "Whatever People Say I Am, That's What I'm Not", ist eigentlich Grime. Wir dagegen kamen eher aus der Rhythm-&-Blues- und Folk-Ecke. Vielleicht lag es daran. Vielleicht hat auch das Alter eine Rolle gespielt oder eben gewisse Rivalitäten. Ich mochte diese anderen Bands eigentlich sehr, ich fand die Szene cool. Aber The Kooks waren da immer ein bisschen Außenseiter.

Viele Künstler machen erst zwei, drei Alben, bevor sie eins herausbringen, das richtig abhebt. Bei euch war das nicht der Fall. Habt ihr von Anfang an geahnt, dass "Inside In/Inside Out" ganz groß rauskommen würde?

Ich denke oft darüber nach. Wir hatten damals einen eher kleinen Plattenvertrag bei einem großen Label, also keine große Sache. Die Presse war nicht wirklich auf unserer Seite - es wurde zwar über uns geschrieben, aber wir waren lange nicht auf dem Cover vom "NME" (britische Musikzeitschrift, Anm.d.Red.) oder so. Viele Leute haben uns nicht ernst genommen. Ich glaube, wir haben die Industrie ein bisschen aus dem Konzept gebracht, weil wir am Ende ähnliche Verkaufszahlen wie die Arctic Monkeys hatten. Die Leute fragten sich: "Wie können die kommerziell so erfolgreich sein?" Damit, dass "Naive" so explodieren würde, hatte niemand gerechnet. Plötzlich war der Song überall. Ich erinnere mich, wie ich durch die Straßen lief und ihn aus irgendwelchen Wohnungen hörte. Wenn man so einen Moment einmal im Leben erlebt - einen Song, der so einschlägt - das ist schon ziemlich besonders.

Es heißt, eure erste Tour sei ziemlich chaotisch gewesen. Was war euer größter Rock'n'Roll-Moment?

Es war immer Rock'n'Roll - aber nicht unbedingt auf die glamouröse Art. Wir hatten damals keine starken männlichen oder weiblichen Bezugspersonen, die uns ein bisschen gebremst hätten. Im Gegenteil: Viele Leute vom Label oder aus unserem Umfeld haben das Rock'n'Roll-Leben eher noch befeuert. Ich will niemandem die Schuld geben, aber es war definitiv Teil des Konzepts. Stell dir vor: Du bist 18, steigst in einen Tourbus, überall gibt's kostenlosen Alkohol, alles, was du willst. Und dann bist du plötzlich in Berlin, Paris oder Tokio - du willst einfach nicht schlafen und gehst die ganze Nacht aus, weil du nichts verpassen willst, auch wenn du am nächsten Tag eine große Show hast. Es war einfach ziemlich verrückt. Aber es gibt schon ein paar gute Geschichten. Zum Beispiel, wie wir mit den Gallaghers rumgehangen haben - das war schon krass. Ich erinnere mich, wie Liam mich mal an die Wand gedrückt hat und mir "Ooh La" ins Gesicht gebrüllt hat, während wir zusammen Shots getrunken haben. (lacht)

Hattest du keine Angst vor ihm?

Oh doch! Ich hatte schon Angst vor ihm. Inzwischen ist er viel entspannter, nicht mehr so furchteinflößend wie früher. Damals war er wirklich irre. Ich erinnere mich an noch eine Geschichte: Wir waren im Soho House, als das noch richtig angesagt war. Liam war auch da. Wir hatten ein paar Drinks, die Stimmung war super. Irgendwann fragt er uns, was wir gerade machen. Wir hatten gerade eine Coverversion von "All That She Wants" von Ace of Base aufgenommen. Ich liebe den Song. Aber Liam ist komplett ausgerastet: "Ihr seid eine verdammte Rockband! Ihr könnt doch nicht so einen Popscheiß machen!" Und dann hat er ein Glas Wein nach uns geworfen und ist einfach rausgestürmt. Ich frage mich manchmal, wie er sich an diesen Abend erinnert. Aber immerhin durften wir später mit ihm auf Tour gehen.

Wahrscheinlich war das ein ganz normaler Dienstagabend für ihn …

Bestimmt! (lacht) Aber dass wir überhaupt in einem Raum mit ihm und anderen großen Stars wie Ronnie Worden oder Paul Weller sein durften, war schon echt unglaublich. Ich habe mich dann immer gefragt: "Was zur Hölle mache ich hier? Das ist doch verrückt!"

Klassisches Hochstapler-Syndrom?

(lacht) Das nicht, ich habe mich nie mit solchen Leuten verglichen. Ich habe einfach mein Ding gemacht. Aber es war schwer, nicht nervös zu werden, nicht ins Stottern zu geraten oder krampfhaft cool wirken zu wollen. Da kamen dann Alkohol und Drogen ins Spiel - einfach um sich locker zu machen. Im Nachhinein wünschte ich, ich hätte früher mit Meditation angefangen. (lacht) Aber die Leute aus dieser Generation waren cool - viel bodenständiger als die späteren und haben einen anderen Umgang mit dem Ruhm. Die Stones zum Beispiel, trotz ihres ikonischen Status. Sie sind einfach Musikmenschen. Die fragen dich: "Wie spielst du diesen Riff auf der Gitarre?" - ganz altmodisch eben. Auch Paul McCartney: Als ich ihn mal getroffen habe, dachte er fest, wir hätten uns schon mal gesehen. Ich meinte: "Ziemlich sicher nicht - ich hätte mich daran erinnert!" (lacht)

Gibt es Lyrics, die du geschrieben hast, die eure Fans lieben, du aber so nicht noch einmal schreiben würdest?

Oh mein Gott, so viele! Ich habe ein paar verdammt seltsame Texte geschrieben. (lacht) Eine Zeit habe ich mich über manche Texte wirklich geärgert - heute sehe ich das entspannter. Ein bisschen Albernheit ist okay. Und ehrlich gesagt, es gibt viel schlimmere Texte da draußen - ohne Namen zu nennen. Songwriting ist ein seltsamer Prozess. Es geht vielmehr um ein Gefühl als um einen intellektuellen Vorgang. Manchmal ergeben Texte keinen großen Sinn, aber sie fühlen sich richtig an - und oft sind das genau die Songs, die bei den Leuten hängen bleiben. Deshalb gibt es auch so viele große Hits mit völlig schrägen Lyrics. Ich versuche, dem nicht im Weg zu stehen. Und ja, ich finde es immer noch lustig, wenn Leute bei "Jackie Big Tits" mitsingen. Aber würde ich das heute nochmal schreiben? Wahrscheinlich nicht.

Mit Luke Pritchard von The Kooks sprach Linn Penkert

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