Am Freitagabend war beim „ZDF Magazin Royale“ Investigativjournalismus angesagt – Moderator Jan Böhmermann und sein Team nahmen sich diesmal das sogenannte „Angerverse“ vor. Mit dem Begriff des „Wutuniversums“ sind einschlägige Internet-Accounts auf Telegram, X, Twitch oder YouTube gemeint, auf denen „rechte“ sowie rechtsradikale Inhalte verbreitet oder offen mit der Alternative für Deutschland (AfD) sympathisiert wird.
Im Visier des ZDF-Teams und der Wochenzeitung waren Accounts wie „Aktien mit Kopf“, „Ketzer der Neuzeit“ und auch ein Mann, der sich selbst „Clownie“ nennt. Sein YouTube-Account „Clownswelt“ hatte vor Ausstrahlung des ZDF-Formats 227.000 Abonnenten. Jan Böhmermann lüftete in der spätabendlichen Sendung dann – zumindest in Teilen – die Identität des Mannes, der im Internet bis dato anonym auftrat.
Fast zeitgleich zur Ausstrahlung der Sendung hatte auch die „Zeit“ am Freitag online eine Recherche zu dem Thema veröffentlicht, unter der Überschrift „Der rechte Clown“.
Jan Böhmermann wiederum verwies in seiner Sendung auch explizit auf den Beitrag in der Wochenzeitung. „Der Mann, der Olaf Scholz als Kriegstreiber beschimpft, sich über den Körper der Grünenpolitikerin Ricarda Lang lustig macht und Greta Thunberg als ‚zurückgeblieben‘ beleidigt, will selbst unerkannt bleiben“, heißt es dort zu „Clownswelt“ und den Motiven für den Artikel. Und weiter: „Die Recherche ermöglicht den seltenen Einblick in eine Welt, in der sich ein junger Mann in kurzer Zeit radikalisieren konnte.“
Zitiert wird ein Lob von Björn Höcke für „Clownswelt“
Der Account von Marc-Philipp L., wie ihn ‚Zeit‘ und ZDF wenig später benennen, besteht seit 2021. Die Initialzündung, so spekulieren die Reporter, soll für L. die Empörung über die Politik während der Corona-Pandemie gewesen sein. Mittlerweile würden auf dem YouTube-Kanal (bisher mehr als 400 Videos) neben bekannten Politikern aber auch queere und transsexuelle Menschen, Frauen sowie die öffentlich-rechtlichen Medien attackiert, wie es weiter heißt. Auch „Rechtsaußen-Anspielungen“ ließen sich finden, wenn er sich über Juden lustig mache, indem er aufrufe, ihm „Schekel“ zu spenden.
Zitiert wird in dem Artikel auch eine Einschätzung des Verfassungsschutzes Niedersachsen, der „Zeit Online“ auf deren Anfrage hin mitteilt, „dass es sich bei ,Clownswelt‘ um eine ‚rechtspopulistische Plattform‘ mit ,Ansätzen neurechten Denkens‘“ handle.
Böhmermann selbst zeigt in seiner Sendung als Beleg für die vermeintlich rechtsradikale Gesinnung von „Clownswelt“ zunächst ein Internet-Posting des Thüringer AfD-Landeschefs Björn Höcke, in dem dieser einen Film von „Clownie“ als „schöne Richtigstellung“ und „Aufklärungsvideo“ bezeichnet. Anschließend zeigt der „ZDF Magazin Royal“-Moderator noch einen Videoschnipsel, in dem der Sprecher sinngemäß erklärt, Frauen „tendierten“ offenbar „mehr zu Unterwerfung als Männer“ – illustriert wird dies mit einer Grafik zur Stimmverteilung bei der vergangenen Bundestagswahl. Zu sehen ist im Balkendiagramm das Wahlverhalten von jüngeren Frauen im städtischen Raum, die bei der Bundestagswahl demnach sehr wenig AfD (neun Prozent), aber zu über 30 Prozent die Partei Die Linke gewählt haben.
Eine Fotosuche führt zu einem Heavy-Metal-Fan in NRW
Wer also, heißt es bei „ZDF Magazin Royal“, dann weiter, „steckt hinter ‚Clownswelt‘“? Im ZDF-Beitrag und dem nahezu zeitgleich publizierten Artikel dokumentieren die Reporter ihre Nachforschungen zu der Identität des Mannes, der „Clownie“ sein soll. Ausgewertet wurde bei der Recherche unter anderem eines der wenigen Fotos, das den Kanalbetreiber zeigen soll. Beide Medien sind sich anschließend sicher, den Content-Creator auch durch einen Bildabgleich sowie eine Stimmanalyse identifiziert zu haben.
Bei L. soll es sich um einen 29 Jahre alten Mann handeln, der in Nordrhein-Westfalen lebt, dort zeitweilig studierte und in einer Metal-Band spielte.
Ferner sprachen die Journalisten mit Menschen in seinem Umfeld. „Bekannte bemerkten nach und nach, dass sich Marc-Philipp L. merkwürdige Einstellungen und Verschwörungsmythen zu eigen machte. Er habe behauptet, dass Trans-Personen krank seien und psychologisch behandelt werden müssten. Dass Hormone im Leitungswasser dazu führten, dass Männer homosexuell würden. Er habe gesagt, dass Frauen sich in einer Beziehung um Kinder, Küche und Haus kümmern müssten. Er habe verbreitet, dass schwarze Menschen oder People of Color krimineller seien als Weiße“, heißt es in dem „Zeit“-Artikel weiter.
Im Rahmen ihrer Recherche fuhren die Reporter auch zum Elternhaus des jungen Mannes und konfrontieren die Eltern des „rechten Influencers“ („Zeit“), der sich auf die Kontaktversuche der Redakteure nach deren Angaben nicht gemeldet haben soll. Wörtlich heißt es bei „Zeit“ über den Besuch: „Als sie erfahren, was ihr Sohn im Internet veranstaltet, wollen sie es nicht glauben: ,Das kann nicht sein, er studiert ja noch und bekommt Geld von uns.‘ Überrascht und aufgebracht schließen sie die Tür. Offenbar kannten nicht einmal seine Eltern die dunkle Seite von Marc-Philipp L.“.
Gleiches mit Gleichem vergelten? Das wird von einigen abgelehnt
Im Internet wird der Böhmermann-Beitrag schon kurz nach seiner Ausstrahlung kontrovers diskutiert. Viele User sind empört über das Vorgehen der ZDF-Redaktion. Von einer „Hetzjagd“ ist die Rede, auch vom „Doxxing“, also dem Veröffentlichen privater Daten im Internet, um jemandem zu schaden. Die Debatte nimmt dann schnell fast hysterische Züge an: Besonders empörte User rufen dazu auf, nun auch Daten von Jan Böhmermann (etwa die Privatadresse, Namen von Familienmitgliedern) zu recherchieren und zu publizieren. Andere widersprechen genau hier empört und warnen vor einem als falsch und niederträchtig empfundenen Vorgehen. Einige User veröffentlichen als Retourkutsche dennoch ein wenig schmeichelhaftes Foto, das Jan Böhmermann (44) als pickeligen Abiturienten mit Zahnspange zeigen soll.
Kontrovers diskutiert wird der Beitrag auch auf dem YouTube-Kanal von „ZDF Magazin Royale“. „Die Methoden erinnern mich stark an die Zeit vor 1989 in der DDR“, schreibt ein Nutzer. „Dann hoffe ich mal auf rechtliche Konsequenzen für Böhmermann und Co.“, äußert ein anderer. Und ein weiterer Zuschauer merkt an: „Jemanden, der keine Straftat begangen hat, zu doxxen, weil einem dessen Meinung nicht gefällt, geht gar nicht.“
Dennoch oder gerade deshalb hat der Beitrag bei YouTube schon über 900.000 Aufrufe. Kritik kam auch von der AfD. In einem Statement auf X hieß es: „Die zerstörerische Art & Weise, mit der ÖRR-Medien gegen kritische Stimmen vorgehen, gleicht der in totalitären Systemen. Böhmermann belegt, warum alternative Medien wie die #Clownswelt unverzichtbar sind – und der ÖRR gründlich reformiert werden muss.“
Jan Böhmermann und auch das ZDF sind aus Protest gegen Inhaber Elon Musk übrigens nicht mehr auf X vertreten und gingen deshalb dort nicht auf die Kritik ein.
„Böhmermann und sein Team wieder mal in Höchstform“, freuen sich die Fans
Aber natürlich hat der ZDF-Mann auch Fans und Unterstützer. „Böhmermann und sein Team wieder mal in Höchstform“, heißt es ebenfalls auf einschlägigen Internetplattformen wie X und BlueSky. Verwiesen wird unter anderem darauf, dass ein Influencer ab einer gewissen Reichweite eine Person des öffentlichen Lebens sei und mit der Veröffentlichung seiner Identität rechnen müsse. Wörtlich schreibt ein User bei BlueSky: „Es handelt sich hier natürlich nicht um ‚Doxing‘, sondern um zulässige Berichterstattung über einen reichweitenstarken Medienaktivisten.“
Andere argumentieren, dass „Clownswelt“ bei YouTube gegen die sogenannte Impressumspflicht verstoßen habe (kein Name, keine Kontakt-Adresse ist angegeben) und solche Daten selbstverständlich investigativ erhoben werden dürften, insbesondere, wenn „geschwurbelt“ und rechte Inhalte verbreitet würden.
Und der Mann, der von „Magazine Royal“ als Marc-Philipp L. benannt wird? Der weist die Kritik auf seinem YouTube-Kanal („Böhmermann hat mich gedoxxt“) zurück.
Die (ungewollte?) Pointe der Böhmermann-Kritik ist auch, dass „Clownie“ nun viel bekannter als zuvor ist. Viele User lobten den ZDF-Moderator sogar ironisch dafür, dass sie dank ihm einen „interessanten“ neuen Kanal entdeckt hätten. Die Followerzahlen von „Clownswelt“ scheinen dies zu bezeugen: Mittlerweile steht der (in Teilen kostenpflichtige) Account bei 341.000 Abonnenten (Montagnachmittag) – also über 100.000 Nutzer mehr als noch vor der Böhmermann-Sendung.
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