Manche Sonntagabendkrimis drehen sich ja um die Beantwortung einer einzigen Frage. Die von „Ein feiner Tag für den Bananenfisch“, dem neuen Münchner „Polizeiruf“, lautet: „Wem sollen wir denn helfen? Einer Gesellschaft, die uns mobbt und auslacht, die uns anspuckt auf der Straße, uns mit Glasflaschen bewirft, uns hasst und trotzdem begrapscht?“

Drei Münchner Dragqueens stellen sich und der Welt und der Polizei diese Frage. Peecabou, Tulip, Menora – die „Rainbow Bitches“ vom Bahnhofsviertel. Sie haben gesehen, wie ein Mann vor der Tür ihrer Rainbow-Bar von zwei Maskierten zusammengeschlagen wurde. Mitten in der Nacht war das.

Und dann wurde er erschossen. Von hinten. Mit fünf Schüssen. Ein Fischernetz wurde über ihn geworfen. Peecabou, Tulip und Menora ziehen, während sie völlig verschreckt zuschauen, vorsichtig ihr schrilles Schuhwerk aus. Dann nehmen sie es und ihre langen Beine in die Hand und laufen.

Die Mörder schauen ihnen hinterher. „Die finden wir schon“, sagt einer auf Osteuropäisch. Was angesichts der sozusagen Bananenfischhaftigkeit der drei Bahnhofsviertel-Sweethearts natürlich stimmt. Sie zu verfolgen, wäre allerdings eh weitgehend überflüssig.

Aber das können die Killer natürlich nicht wissen, weil sie von der zentralen Frage dieses vierten Falls für Cris Blohm und Dennis Eden, das Münchner „Polizeiruf“-Team, nichts wissen. Aussagen wollen Picabou, Tulip und Menora nämlich nicht.

Aus Stolz. Aus Angst. Aus ihrem grundsätzlichen Verhältnis zu aller Bürgerlichkeit und scheinbaren Normalität heraus. „Der Mord da draußen“, sagt Menora der stets in sich selbst, ihrer weißen Bluse und ihren Kriegstraumata seltsam gefangenen Kommissarin Blohm, „gehört in deine Welt.“

Keine Erklärbärdialoge

Sonntagabendkrimis, die all ihre bürgerlichen und scheinbar normalen Wohnzimmerbewohner in fremde Welten entführen, haben ja gern einen didaktischen Zug. Da muss ein Soziotop erklärt, eine Kultur, eine Sprache von Kommissaren, die dabei unsere Sonden sind, erlernt werden. Das mündet dann nicht selten in pädagogische Erklärbärdialoge, denen man eine Haltung anmerkt und eine Absicht und die selbst die Wohlmeinenden irgendwann verstimmen.

Wie jene in „Little Boxes“, Cris Blohms Ausflug in die nicht nur sprachliche Vorhölle der Postcolonial Studies, mit der Johanna Wokalek ihre „Polizeiruf“-Karriere begann. Blohm musste da mitten hinein in ein Zwitschermaschinenkonzert des Gendersprechs. Und weil man so recht nicht wusste, wozu das Ganze gut sein, ob es Satire oder Analyse oder Anklage sein sollte, wurde einem darüber ganz schwummrig im Kopf.

Das ist beim Bananenfisch – den wie „Little Boxes“ Dror Zahavi inszeniert hat – dann doch sehr anders. Vielleicht schieben wir an dieser Stelle kurz ein, warum die Geschichte von Günter Schütter, legendär allein schon für „Frau Bu lacht“, das Buch zu Dominik Grafs wahrscheinlich bestem „Tatort“ aller Zeiten, vielleicht heißt, wie er heißt.

Den Bananenfisch gibt es einerseits natürlich tatsächlich (Pentapodus emeryii oder auch Emerys Scheinschnapper). Er ist gelb und lebt im Sand und von dem, was so im Sand ist. Als Tulip nun allerdings einmal stöhnt, dass das nun kein feiner Tag für den Bananenfisch gewesen sei, machte sie allerdings weniger ihrer ichtyologischen als ihrer literarischen Vorbildung Luft.

Faszination für Füße

„A Perfect Day for Bananafish“ ist eine Erzählung aus den „Nine Stories“ von J. D. Salinger. Und handelt von Seymour Glass. Der ist traumatisiert aus dem Zweiten Weltkrieg heimgekehrt. Man hört lange seiner Frau beim Telefonieren zu in der Geschichte, dann ihm dabei, wie er die Geschichte vom Bananenfisch erzählt, der sich am Ende selbst auffrisst. Dann setzt sich Seymour im Hotel aufs Bett. Neben ihm schläft seine Frau. Seymour nimmt eine Pistole und erschießt sich.

Salingers Geschichte hat – wie Schütters Buch und Zahavis Film – eine gewisse Fußfasziniertheit. Handelt aber vor allem – so jedenfalls die sexualpsychologische Lesart – wie der „Polizeiruf“ unterschwellig dauernd vom bürgerlichen Konformitätsdiktat und seinen Folgen, dem Aufbrechen und Ausbrechen aus engen Welten, der Sehnsucht nach kindlicher Unschuld und einer Familie abseits der heteronormativen, die alles außer der Reihe für irre und unwert hält.

Jetzt muss man allerdings keine Angst haben vor dem „Polizeiruf“. Man muss Salinger nicht kennen (man muss aber „Nine Stories“ unbedingt lesen, am besten in der neuen Übersetzung von Eike Schönfeld, aber das nur nebenbei). Schütter und Zahavi haben keine Mission. Sie inszenieren keinen Christopher-Street-Day mit anderen Mitteln. Sie erzählen Geschichten. Vom Anderssein auf beiden Seiten der Queerness und von den Wunden, die Menschen davontragen, die anders leben wollen.

Um die Rainbow-Bitches in Sicherheit zu bringen und vielleicht doch davon zu überzeugen, dass sie helfen die Mörder zu überführen (deren Auftraggeber mitten im Gentrifizierungswirbel von München sitzen, das, so heißt es mal „eine gigantische Geldwäsche-Party in Betongold“ ist), fahren Blohm und Eden mit dem Trio aufs Land.

Metaphern wie Pailletten

Da gibt es ein abgefucktes, leeres Hotel. Ein Safe House voller Staub. Und Wilgefortis gibt es. Deren Votivtafel hängt am Eingang des Dorfs. Ein „Jesus im Fummel“ am Kreuz, eine Art Conchita Wurst des Spätmittelalters. Wilgefortis ist eine fiktive Königstochter, die sich gegen eine erzwungene Hochzeit wehrte, Gott um Verunstaltung anflehte, woraufhin ihr ein Bart wuchs. Passt natürlich prima. Wie einfach jedes Metapherpuzzleteilchen, das Schütter auspackt, passt wie die Pailletten an den Kleidern der Dragqueens.

Es kommt zu einem ganz shakespeareschen Sommernachtstraum. Im Dorf wird das Angedenken der Wilgefortis von crossdressenden Frauen gefeiert, die mit falschen Schnurrbärten beklebt durch die Straßen ziehen. Im Hotel wird derweil gescherzt, getanzt. Es kommt zu tiefen, bewegenden Dialogen zwischen Menora und Blohm, zwischen der Top-Cis-Hete Eden und Picabou. Alle erzählen sich über alle Geschlechtergrenzen hinweg ihre Geschichten.

Nicht mehr um woke oder unwoke geht es, sondern nur um Wahrheit. Und aus allen Klischees werden Menschen. Man geht – was im herrschenden Diskursgewitter geradezu ein Wunder ist – ganz gerührt aus diesem Film.

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