Dieses Jahr feiert New York City sein 400-jähriges Bestehen. Geplant sind zahlreiche Festlichkeiten. Seit Stadtgründung und seit über zehn Jahren explizit und öffentlich fordert der Native American Stamm der Lenape Anerkennung als rechtmäßige Bewohner und letztlich Eigentümer der teuersten amerikanischen Stadt, insbesondere Manhattans. Der Stamm kämpft gegen den Mythos, die Niederländer hätten ihnen für umgerechnet vierundzwanzig Dollar „Manhatta“ abgekauft. Sie sprechen von Betrug und Genozid und finden nur oberflächlich Gehör.
Native Americans, oder auch Indianer – laut dem Bildungsministerium des Staates New York entspricht die Bezeichnung wieder den Standards politischer Korrektheit – leben, so das Klischee, in Reservaten, verwalten bestenfalls Casinos und verkaufen schlimmstenfalls Drogen. Aber Indianer leben auch in der Stadt, etwa in New York City, ganz ohne das Stigma des drogensüchtigen Alkoholiker-Versagers. In den USA begann die Landflucht verschiedener Stämme in den 50er-Jahren, nachdem die Regierung die indigene Bevölkerung mit dem Urban Indian Relocation Program ermutigte oder freundlich zwang, in die Städte abzuwandern, weil sie die Rechts- und Schadensersatzansprüche für den Land- und Rechteverlust der indigenen Bevölkerung umgehen wollte.
Heute lebt in New York City mit einer Bevölkerung von knapp 200.000 Menschen die größte urbane Konzentration von Native Americans in den USA; vertreten sind unter anderem Stämme wie Seneca, Mohawk, Sioux, Irokesen. Die Stadt inszeniert sich als Hub modernen indianischen Lebens. Jeden Sommer findet am Hudson River das größte Powwow indianischer Stämme der Ostküste statt. Verschiedene Kulturzentren wie das Redhawk Council, das American Indian Community House, das Indigenous Center of New York, oder Museen wie das National Museum of the American Indian und kleinere Abteilungen im Metropolitan Museum und im Museum of National History würdigen das kulturelle Erbe indigener amerikanischer Völker.
Für Schmuck und Perlen
Ein Stamm allerdings lebt kaum mehr in New York City: die von der Regierung der Vereinigten Staaten offiziell anerkannte Nation der Lenape, schon lange nach Oklahoma, Kanada und Delaware ausgebürgert, sieht sich als eigentlicher Eigentümer Manhattans – bis heute. In der Tat, die Lenape befänden sich in der Diaspora, sagt Joe Baker, Direktor des 2009 gegründeten Lenape Centers in Manhattan. Einst aber bewohnten sie ihr Land, Lenapehoking, das sich von südlich der Catskills – ein bewaldetes Hügelgebiet weit oberhalb von New York City – längs des Hudson River bis hinunter an die Südspitze Manhattans zog, und auch Teile von New Jersey und Ost-Pennsylvania umfasste. Bis zum Jahr 1626, als der niederländische Seefahrer Peter Minuit den Lenape „Manhatta“ inklusive der heutigen Bronx für, so das Narrativ, „Schmuck und Perlen“ abkaufte. Bis heute markiert eine auf einem Felsen angebrachte Plakette in einem Tulpenbaumwald in Inwood, ganz oberhalb der Upper West Side gelegen, den Ort des Verkaufs. In der Sprache der Lenape wird er „Shorakapkok“ genannt, was so viel bedeutet wie „Flussufer“ oder „Ort des Watens“.
Aus Sicht der Vertreter der Lenape ist der Kauf von Manhatta eine Lüge, die Plakette sei geschichtsfälschend, suggeriere eine freiwillige, von naiver Gier getriebene Landabtretung. Es habe sich in Wahrheit anders verhalten: Die Lenape hätten das Land nicht verkauft. Bei dem Perlen-Land-Moment habe es sich lediglich um eine Begrüßungszeremonie gehandelt, die Lenape hätten den sich als kurzfristige Besucher inszenierenden Kolonisatoren ihr Land nur vorübergehend angeboten, bis zur Abreise, zu der es dann leider nie kam. Die Plakette aber rechtfertige den Landraub und stereotypisiere den „naiven Wilden“, suggeriere Gewalt und weiße Vorherrschaft. Seit 2024 fordert eine Petition auf change.org den Bürgermeister New York Citys auf, das Narrativ der Plakette zu ersetzen. Unterzeichnet wurde sie bisher nur von 995 Menschen.
Sichtbarkeit und Gerechtigkeit
Als das auf der Upper East Side auf der 5th Avenue gelegene Cooper Hewitt Design Museum vergangenen November die bis August 2025 zu sehende Ausstellung „Making Home“ eröffnete, sprach der Häuptling einer der drei Unterstämme der Lenape Brad „KillsCrow“ im Garten des Museums vor Preview-Besuchern. Er sei stolz, wieder zu Hause zu sein, hier in der Heimat, sagte „KillsCrow“ und schlug ein paar Trommeln. Dazu tanzten Vertreter der Lenape in traditioneller Tracht und Ausstellungsbesucher in Ausgehkleidern und Glitzersakkos machten mit. Teil der Ausstellung ist die Installation „Welcome to Territory“ im mit Tulpenbaumtapete (Tulpenbäume sind die Stammesbäume der Lenape) verkleideten Eingangsbereich des Museums: Unter der Decke schwebende, mit Truthahnfedern besetzte traditionelle Capes ohne menschliche Silhouette darin, gefertigt von dem Direktor des Lenape-Centers Joe Baker, symbolisieren die Vertreibung der Lenape aus ihrer Heimat Manhattan.
Um die Lenape für das breitere Publikum wieder „sichtbar“ zu machen, bietet das Projekt „Decolonizing New York City“ des Asian-Pacific-American-Instituts der New York University virtuelle Touren indigener Stätten in New York City an. Ebenso das auf der Upper Westside gelegene Barnard College. „Dekolonisierung“ ist an amerikanischen Hochschulen das Mammutprojekt postkolonialer Studien. Dekolonisierung bedeutet, Strukturen zu beseitigen, die Menschen, Orte und Landschaften unterwerfen – mit dem Ziel, gerechtere, gleichberechtigtere und vielfältigere Verhältnisse zu schaffen.
Rein performativer Gestus
Die „New York Times“ und das „New Yorker Magazin“ besprechen regelmäßig die gebotene Dekolonisierung der Mode, des Essens und der Städte. In Online-Foren und auf sozialen Medien postulieren Vertreter indigener Stämme die Abkehr von kolonialer Ernährung und die Hinwendung zu diversem, traditionellem Essen. Die Klimapolitik gehöre dekolonisiert, brauche das Wissen indigener Völker. Museen seien koloniale Artefakte. Die Kunst an sich, die gesamte Darstellungswelt müsse von unterdrückerischen, weiße Vorherrschaft verherrlichenden Strukturen bereinigt werden. Die künstliche Intelligenz ebenso, Theaterbühnen, Arztpraxen und Sportvereine, Make-up, Design, Gesichter, Körper und Gedanken.
Im antikolonialen Duktus deklariert die Harvard Universität, dass ihre Gebäude auf indigenem Land stünden: „Das Gebiet befindet sich auf dem traditionellen und angestammten Land der Massachusett, der ursprünglichen Bewohner dessen, was heute Boston und Cambridge genannt wird.“ Harvard, so die Website, „erweist den Angehörigen des Massachusett-Stammes – in Vergangenheit und Gegenwart – Respekt und ehrt das Land selbst, das für das Volk der Massachusett bis heute heilig ist.“ Auf den Gedanken, dieses Land den rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben, kommt Harvard nicht. Ähnlich und ebenfalls ohne Restitutionsgedanken erkennt die Stanford University an, „dass Stanford sich auf dem angestammten Land des Muwekma-Ohlone-Stammes befindet. Dieses Land war und ist für das Volk der Ohlone von großer Bedeutung.“
Auch in New York City dient der Stamm der Lenape als Feigenblatt für gelungene Inklusionspolitik und Dekolonisierung. Die New York University und die Columbia University sponsern zusammen mit dem Metropolitan Museum über die Stadt verteilte „Acknowledgement Plates“, die die Lenape als wahre, eigentliche Bewohner Manhattans ausweisen. Mehr aber auch nicht.
Dekolonisierung kann Fragen nach Identität und Zugehörigkeit nur oberflächlich beantworten. Der Dekolonisierungs-Diskurs ist, zumindest was die akademischen Geisteswissenschaften angeht, ein inter-elitärer, rein performativer Gestus, der einst unterdrückte und ausgebeutete Völker höchstens auf symbolischer Ebene – als Palaver – entschädigt, nie aber konkret.
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