Nach dem ESC ist vor der Musikkarriere? Einige Beispiele dafür, dass es so sein kann, gibt es schon. Und so haben Abor & Tynna die berechtigte Hoffnung, jetzt erst richtig durchzustarten. In Berlin präsentieren sie ihr Album "Bittersüß".
Da beißt die Maus keinen Faden ab: Abor & Tynnas Mission, im Auftrag von Stefan Raab den Eurovision Song Contest (ESC) zu gewinnen, ist gescheitert. Am Ende reichte es für das österreichische Duo in deutschen Diensten mit dem Lied "Baller" beim diesjährigen Gesangswettstreit in Basel nur für den 15. Platz. Doch was juckt es die Eiche, wenn sich die Wildsau an ihr kratzt?
Schließlich überschlagen sich in den letzten Tagen die Meldungen, die Deutschlands ESC-Platzierung geradezu ad absurdum führen. So stürmte "Baller" nicht nur in Deutschland, Österreich und der Schweiz die Top Ten der Charts. Sogar in der britischen Hitparade schaffte es der Song bis auf Platz 34. In zahlreichen Ländern, darunter etwa Frankreich, Italien und Spanien, zählt "Baller" zu den meistgestreamten ESC-Songs. Und in Ländern wie der Ukraine, Polen oder den baltischen Staaten schaffte es das Lied bei Spotify sogar in die allgemeinen Streaming-Top-Five.
Nicht ganz zu Unrecht können sich Abor & Tynna also zumindest ein klein wenig Hoffnung darauf machen, dass es ihnen nicht so gehen wird wie so vielen ihrer Vorgänger, die nach ihren ESC-Pleiten stante pede im Orkus der Musikindustrie verschwanden. Dafür spricht auch, dass das Geschwisterduo unabhängig vom Song Contest bereits einen Plattenvertrag an Land gezogen hatte. Abor & Tynnas Debütalbum "Bittersüß" erschien Mitte Februar - noch vor ihrem Sieg beim deutschen Vorentscheid Anfang März.
"Das haben wir geschafft"
Dass mittlerweile noch eine Deluxe-Variante des Albums inklusive Bonustrack, Akustik-Versionen und sage und schreibe sieben "Baller"-Varianten veröffentlicht wurde, ist hingegen natürlich dem ESC-Hype geschuldet - wer wollte es den beiden verdenken. Und auch als Abor & Tynna am Montagabend im Berliner Kaufhaus Dussmann vor ein paar Dutzend Gästen zu einer "Listening Session" ihres bereits seit drei Monaten erhältlichen Albums laden, surfen sie neun Tage nach dem Showdown in der Schweiz natürlich noch immer auf der ESC-Welle.
Dementsprechend geht es während der Veranstaltung - die eine Mischung aus Talk, Live-Vorträgen der Songs "Psst", "Parallele Linien", "Babylon", "Rotkäppchen" und selbstredend "Baller" sowie der CD-Präsentation der Lieder "Engel in Jeans", "Guess What I Like" und "Winnetou" ist - natürlich auch erst einmal noch um den ESC. Wichtig sei ihnen gewesen, sich von all dem Druck und Stress nicht den Spaß an der "einmaligen Sache" nehmen zu lassen, sagt Tynna und resümiert: "Ich glaube, das haben wir geschafft."
Man muss auch gönnen können - deshalb freuten sie sich für ihren Landsmann JJ, der mit seinem Song "Wasted Love" den ESC für Österreich gewonnen hat, durchaus mit, sagen die Geschwister. "Wir kennen JJ auch", so Tynna. "Er ist ein echt lieber Kerl." Aber auch andere Kandidatinnen und Kandidaten in Basel hätten "super viel Talent" gehabt, ist sie überzeugt. "Ich hätte es vielen Leuten dort gegönnt", sagt die Sängerin, ehe ihr Bruder dann doch noch eine Einschränkung macht: "Aber in dem Moment im Green Room habe ich mich natürlich in erster Linie nicht sehr gefreut. Da war ich schon deutsch."
Man merkt, dass die Chemie zwischen dem 26-Jährigen und seiner zwei Jahre jüngeren Schwester stimmt - auch das ein gutes Omen, dass es für die beiden im Popzirkus eher süß als bitter weitergehen könnte. Da rutscht Tynna schon mal ein "Attila" heraus, wenn sie über ihren Bruder spricht. Denn eigentlich heißen die beiden nicht Abor & Tynna, sondern Attila und Tünde Bornemisza.
"Ganz normale Geschwister"
Dabei ticken die zwei durchaus unterschiedlich. "Ich muss zu meiner Schwester andere Dinge sagen, um sie zu motivieren, als sie zu mir sagen muss, um mich zu motivieren", gibt Abor einen Einblick in die geschwisterliche Kommunikation. Meinungsverschiedenheiten blieben aber stets oberflächlich. Tynna outet sich als "großer Apache-207-Fan" - ein Einfluss, der auf dem Album nicht ganz zu überhören ist. Abor hat hingegen das erstaunliche Geständnis parat, dass er in seiner Freizeit "fast gar keine Musik" höre. "Ich höre lieber Podcasts oder schaue Youtube-Videos."
Letztlich seien sie "ganz normale Geschwister", bilanziert Abor - aber eben Geschwister, die nicht nur die Erinnerung an den Musikunterricht - er Cello, sie Querflöte - in einem musikalischen Elternhaus teilen, sondern jetzt auch gemeinsam etwas aus ihren Talenten machen. Eine strenge Aufgabentrennung wie früher - er Musikproduktion, sie Text und Gesang - gebe es dabei inzwischen nicht mehr, erklären die beiden. Das Ganze habe sich "ein bisschen vermischt". Da darf dann auch er schon mal eine Textzeile beisteuern oder sie einen bestimmten Soundeffekt vorschlagen.
Ehe das Duo zum Höhepunkt der Veranstaltung das bis dahin artig lauschende Publikum mit "Baller" dann doch endlich von den Sitzen holt, geht es noch um das Thema Film. Denn in diversen Tracks von "Bittersüß" scheint das Interesse der beiden dafür durch. Hätte denn ihr ganz persönlicher Film ein Happy End? "Nein", antwortet Abor mit einem Zögern. "Ich glaube, es wäre kein Happy End, aber auch kein schlechtes." Und Tynna erklärt: "Es wäre komplex, für die Leute zum Nachdenken." Nach dem durchwachsenen ESC-Ergebnis passt das natürlich wie die Faust aufs Auge. Denn auch wenn das große Happy End in Basel ausgeblieben ist - schlecht muss der Film für die beiden dennoch auf keinen Fall ausgehen.
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