Fake News können fatale Folgen haben – wie etwa die ausländerfeindlichen Krawalle in Grossbritannien im Sommer 2024. Die Falschnachricht damals: Ein muslimischer Asylbewerber habe in Southport an einem Tanzkurs drei Mädchen erstochen und zehn weitere verletzt. Mit der Falschinformation lösten Rechtsextreme schwere Unruhen aus. Die Tat gab es, aber der Täter war ein 17-jähriger Brite.

Dass in Sachen «Fake News» Handlungsbedarf besteht, erkennt auch die «Junge Akademie Schweiz» (JAS). Darum haben die Nachwuchsforschenden eine Handreichung veröffentlicht, mit der Fehlinformationen und Verschwörungstheorien im Internet entgegentreten werden kann.

Sabrina H. Kessler, Sprecherin der JAS und Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität Zürich, stellt fest: «Fehlinformationen und Desinformationen nehmen online in Sozialen Medien und vor allem auch KI-generiert zu. Das gefährdet das Vertrauen in Wissenschaft, Medien und demokratische Prozesse.»

Am grössten sei die Fake-News-Gefahr auf Social Media und in Messengerdiensten wie Telegram und Whatsapp. Dort werden Desinformationen verbreitet, die etwa auf Youtube zu finden sind. Auf den Messenger- und Social-Media-Kanälen fehlen die «Gatekeeper», die vor einer Veröffentlichung abklären, welche Informationen verlässlich sind. Plattformen wie Facebook und X verzichten mittlerweile weitgehend auf Faktenprüfung. Das Resultat: Faktenarmer News-Schrott häuft sich.

Wie Fake News erkennen?

«Es gibt Anzeichen, die einen stutzig machen können», erklärt Sabrina H. Kessler. Falsches lasse sich oft mit wenigen Überlegungen erkennen: «Klingt eine Nachricht zu extrem oder zu reisserisch? Existiert bloss eine einzige Quelle? Handelt es sich bei der Quelle um ein etabliertes Medium oder um eine unbekannte Seite? Ist eine Information belegt – oder ist es dieses ‹Man hat gehört›-Gerede?»

Wirke etwas «zu emotional, zu empörend, zu eindeutig», sei generell Vorsicht angebracht, sagt Kessler. «Oder wenn etwas ‹geheim› klingt», manchmal mit dem Nachsatz, dass «alle Medien lügen und nur ‹wir› die Wahrheit kennen». Häufig werde auch angemerkt, man solle eine Nachricht unbedingt teilen, weil sie verheimlicht und unterdrückt werde.

Desinformation erklärt einfach, was kompliziert ist.
Autor: Sabrina H. Kessler Kommunikationswissenschaftlerin

«Desinformation ist visuell meistens attraktiv aufbereitet, einfach verständlich und auf den ersten Blick scheinbar plausibel», bemerkt Kessler. «Sie erklärt einfach, was kompliziert ist.» Aus der Onlinemedien-Forschung sei zudem bekannt, dass Algorithmen bisweilen Falschinformation bevorzugen, weil sie ausserordentlich viele Interaktionen auslösen: Likes, Kommentare und Shares.

«In Krisen-, Kriegs- und Wahlzeiten haben wir besonders oft mit Desinformation zu tun, weil die, die sie verbreiten, die Unsicherheit der Menschen ausnutzen. In solchen Zeiten hätten Menschen gerne einfache Antworten auf komplizierte Fragen.»

Das Ziel von Fake News

Die Urheber von Desinformation wollen Meinungen beeinflussen, politisch Einfluss nehmen und Gesellschaften destabilisieren. Erkennbar ist das etwa an den vielen Falschinformationen zum russischen Krieg in der Ukraine, die «mimikama», eine Plattform zur Aufklärung über Internetbetrug, Fake News und Desinformation, offengelegt hat.

Es gehe darum, Misstrauen zu säen, Fakten zu relativieren, aber auch die Wahrnehmung von Schuld, Verantwortung oder Legitimität zu verschieben, sagt Sabrina H. Kessler. «Oft dient die Desinformation der Destabilisierung des politischen Gegners. Wenn Menschen nicht mehr wissen, was stimmt, entsteht Verunsicherung, Polarisierung und Resignation. Das schwächt die demokratischen Diskurse.»

«Fake News» erschwerten es der Gesellschaft, gemeinsame Entscheidungen zu treffen. «Sie wirken wie Brandbeschleuniger. Sie nutzen Unsicherheit, Zweifel und Wut aus.»

Was können wir tun?

«Das Wichtigste ist, kritisch zu sein und sich aus vielfältigen Qualitätsmedien und wissenschaftlichen Quellen zu informieren», sagt Sabrina H. Kessler. Man solle sich fragen: Wer verbreitet warum eine Information? Wie wird die Nachricht belegt? Wurde etwas manipuliert?

Die Kommunikationswissenschaftlerin weiter: «Man muss die Quellen überprüfen und mehrere vergleichen. Sind da Studien drin? Wer hat diese bezahlt? Was sind das für Autoren? Ausserdem kann man Faktencheck-Seiten nutzen. Sie widerlegen viele Desinformationen aus dem Internet. Jemand macht für Sie also schon die Arbeit.»

Der Aufwand, Nachrichten zu überprüfen, ist enorm. Kessler hält auch öffentliche Vorlesungen zum Thema Desinformation, etwa für Senioren oder an Gesundheitstagen. «Da greife ich meist eine Information heraus und versuche, mit dem Plenum zu überprüfen, ob sie falsch ist. Das zu klären, beansprucht die ganze Vorlesung.»

Im Fachjournal «Communications» ist jetzt eine Studie zum Thema «Fake News» erschienen: «Conspiracy theories and misinformation in digital media». Das Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Zürich und Forschende der «Jungen Akademie Schweiz» haben dafür 47 Personen aus Wissenschaft und Medienpraxis in einem mehrstufigen Prozess befragt. Die Fachleute nehmen etliche Probleme wahr – und schlagen gleichzeitig Lösungsansätze vor.

Medienkompetenz fördern

«Es fehlt an Verständnis, wie Informationen online entstehen, verbreitet und gefiltert werden, etwa durch Algorithmen auf Plattformen wie Facebook und Youtube», erläutert Sabrina H. Kessler. Auch an Fähigkeiten, Quellen zu bewerten, mangle es.

Dieses Wissen müsse in den Schulen und in der Erwachsenenbildung gefördert werden. Das sei wichtig für die ganze Gesellschaft. Sonst gehen seriöse Informationen im News-Schrott-Meer unter, und die Menschen würden «empfänglicher für alternative Narrative und gezielte Desinformation».

Regulatorische Lücken beseitigen

Die interviewten Fachleute halten fest, dass die heutigen Vorschriften nicht genügen. Die Selbstregulierung der Online-Plattformen reiche «bei weitem» nicht aus, sagt auch Kessler. Von Expertenseite wird daher gefordert, klare gesetzliche Rahmenbedingungen und einen zivilgesellschaftlichen Plattformrat als unabhängiges Kontrollorgan zu schaffen.

Weil die Online-Plattformen ihre Daten nicht herausgäben, verfüge die Wissenschaft nicht über ausreichend Daten, nicht zuletzt zur Funktionsweise der Algorithmen. «Die Wissenschaft weiss mitunter also gar nicht genau, wie gross das Problem mit der Desinformation ist.»

Ressourcenmangel im Journalismus begegnen

Die Fachleute regen an, Journalismus und Faktenprüfung zu fördern und brechen insbesondere eine Lanze für den Wissenschaftsjournalismus. Denn, wie die Kommunikationswissenschaftlerin sagt, «gerade in Krisen wie der Pandemie und der Klimakrise braucht es Wissenschaftsjournalismus, um Forschung verständlich einzuordnen und Desinformation fundiert zu entkräften.»

Verlässliche Informationen seien ein öffentliches Gut, wie Bildung und Infrastruktur. Ohne starken Journalismus fehle «das Fundament für informierte demokratische Entscheidungen.» Doch wer soll das bezahlen? Kessler sagt: «Ich scheue mich nicht davor zu sagen, dass mitunter staatliche Mittel nötig sind – wie bei der Infrastruktur.»

Wissenschaftskommunikation stärken

Einig sind sich die Fachleute auch, dass eine wirksame Wissenschaftskommunikation unerlässlich ist. Ist das Selbstkritik von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Hochschulen? Bemühen sie sich manchmal zu wenig, ihre Erkenntnisse einem breiteren Publikum verständlich zu vermitteln?

Wissenschaftskommunikation ist eine demokratische Pflicht.
Autor: Sabrina H. Kessler Kommunikationswissenschaftlerin

Gerade auch, wenn es um Themen wie Impfsicherheit, Klimawandel und künstliche Intelligenz gehe, dürfe Forschung nicht bloss in Fachkreisen zirkulieren, sagt Kessler, «sie muss sich auch an die breite Öffentlichkeit richten.» Dazu beitragen könnten Kommunikationstrainings für Forschende. Nötig sei «ein Umdenken im System». Wissenschaftskommunikation müsse Teil wissenschaftlicher Praxis sein und anerkannt und belohnt werden.

Bisher gebe es kaum Anreize für Forschende, an die Öffentlichkeit zu gehen. «Im Gegenteil. Es kostet Zeit und birgt Risiken.» Für Professuren zählten meist eher Fachpublikationen als die Kommunikation gegenüber breiteren Kreisen. Sabrina H. Kessler hält dagegen: «Wissenschaftskommunikation ist für mich persönlich auch eine demokratische Pflicht.»

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