Eine Silvesterparty auf einer Luxusyacht: Wer hat davon noch nicht geträumt? Champagner und Kaviar bis zum Abwinken, im kleinen, aber feinen Freundeskreis. Wenn aus Freunden aber plötzlich Feinde werden, zählt nur noch eines: das nackte Überleben - im wahrsten Sinn des Wortes.
Wenn Engländer feiern, artet das oft aus: Der Alkohol fließt in Strömen, die Hemmschwellen sinken, die Grenzen des guten Geschmacks fallen so leicht wie die Klamotten von so manchem Partygast. Entsprechende Mallorca-Videos oder Mitschnitte von Weihnachtsfeiern aus London zeigen, dass diese Behauptungen nicht aus der Luft gegriffen sind. Zeit also, dass man sich des Themas einmal literarisch annimmt. Sarah Goodwin hat das getan. "Die Yacht" wird man so schnell nicht vergessen.
Auch Hannah hat eine Riesenparty im Sinn: Sie fährt mit ihrer klapprigen Rostlaube nach ihrer Schicht zwölf Stunden durch, um ihre beste Freundin Libby und deren Mann Olly auf deren neuer Luxusyacht in Ventimiglia zu treffen. La dolce vita zu Silvester? Das wird herrlich! Hannah freut sich tierisch auf ein Wiedersehen mit ihrer ältesten und besten Freundin. Mit an Bord der Yacht, die ganz in Weiß und Gold gehalten ist und über einen Landeplatz samt Hubschrauber verfügt, sind auch Hannahs andere Freundin Maggie mit ihrem Mann Leon sowie Harry. Mit dem hatte Hannah einst ein kurzes Techtelmechtel, bevor sie vor einer festen Bindung kalte Füße bekam.
Im Gegensatz zu ihren Freunden zählt Hannah aber nicht zu den Reichen und Schönen: Olly hat aristokratische Wurzeln, Libby reich geerbt, Leon ist erfolgreicher Podcaster und Maggie Designerin für Luxusmode. Hannah wollte einst auch in diese Richtung gehen. Aber sie hat nie einen Fuß auf den Boden bekommen, denkt von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, hält sich geradeso über Wasser.
Dieses Leben einmal vergessen, und wenn es nur für ein paar Tage ist, darauf freut sich Hannah ganz besonders. Als sie auf der Yacht ankommt, sind Olly, Libby, Leon und Maggie schon ganz schön dicht, die ein oder andere Koksline wurde auch schon gezogen. Die Musik dröhnt über das ganze Schiff - und Hannas gutes Gefühl schwindet. Passt sie hier eigentlich rein? Als sie ein Gespräch Libbys mit Olly mitbekommt, weiß sie es: Nein. Für Libby ist Hannah eine Art "Sozialprojekt", sie kommt sich vor wie Eliza Doolittle aus "My Fair Lady". Ihr Plan: Hannah wird die Yacht und das maßlos zur Schau gestellte Luxusleben ihrer Freunde direkt am Neujahrsmorgen wieder verlassen - und nicht zurückblicken.
Wenn aus Freunde Feinde werden
Einen Haken hat Hannahs Plan jedoch: Die Yacht liegt am nächsten Morgen nicht mehr im Hafen. Sie befindet sich irgendwo mitten auf dem Mittelmeer. Hannah schreit die Alkoholleichen zurück ins Nach-Silvesterparty-Leben. Aber die Lage bessert sich dadurch nicht. Im Gegenteil: Eine Lüge nach der anderen wird offenbart, eine schreckliche Wahrheit wird von einer noch abscheulicheren abgelöst: Olly kann die Yacht nicht steuern. Sie gehört ihm nicht. Die Tanks sind leer. Das Funkgerät ist kaputt. Und der Hubschrauber ist eine Attrappe.
Dazu ist Olly pleite. Die Ehe mit Libby existiert nur noch auf dem Papier. Leon ist ein Schläger, seine Frau Maggie hat nicht nur eine Essstörung. Einzig Harry scheint noch halbwegs normal zu sein: Er kennt sich mit Technik aus, hat als Künstler, dessen Werke aus Schrott geschmiedet und geschweißt sind, auch keine zwei linken Hände und versucht an Bord die Ruhe zu bewahren. Ein Lichtblick auch für das Nervenkostüm Hannahs. Doch dann gerät die Yacht in einen Sturm - und Libby ist plötzlich verschwunden. Ein Blutfleck an ihrer Kajütenwand lässt Schreckliches vermuten. Ist ein Mörder an Bord des Luxusschiffs? Wer ist es? Was ist das Motiv? Wer wird das nächste Opfer sein?
Es kann nur eine(n) geben
So viel sei verraten: Der Leser oder Hörer von Sarah Goodwins "Die Yacht", erschienen bei Lübbe und Lübbe Audio, ist es nicht. Dafür ist der Plot zum einen viel zu spannend, zum anderen hat er genug Twists an Bord, dass einem flau im Magen werden dürfte. Mit Hannah ist die Sympathieträgerin der Story schnell gefunden. Die Abscheu gegen Leon und Olly wächst von Minute zu Minute des knapp zehnstündigen Hörbuchs. Ihre Frauenverachtung sorgt für einen Puls beim Hörer, der auf lange Sicht nicht gesund sein kann. Aber wer weiß, vielleicht bekommen die beiden ja ihre gerechte Strafe?
Achtung: Spoiler! Die Yacht geht unter, wird ein Opfer der Wassermassen und des Wetters. Auch der ein oder andere Partygast gesellt sich zu den Fischen. Denn wer kräftig feiert und nicht an morgen denkt, lässt beispielsweise die Rettungsboote im Hafen (mehr Platz für den Dancefloor). Essen und Trinken? Ein bisschen Fingerfood, ein paar Flaschen Luxuswasser. Hey Leute, wir sind zum Feiern hier, nicht zum wochenlangen Bauchvollschlagen.
Die sich nun immer mehr steigernde Panik an Bord führt zu Anschuldigungen, Verwünschungen, Gewalt und purem Überlebenskampf nach dem Motto "Survival of the fittest". Der wird eindrucksvoll inszeniert von Demet Fey. Sie kann laute Action genauso wie die leisen, verzweifelten Töne. "Die Yacht" ist ein Hörerlebnis der Luxusklasse. Der Untertitel ist Programm: "Wer wird überleben, wenn die Wahrheit ans Licht kommt?"
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