Daniel Kehlmanns jüngster Roman handelt von der Kollaboration: Der Antiheld von „Lichtspiel“, der Regisseur Georg Wilhelm Pabst, scheitert in Amerika, kehrt nach Nazideutschland zurück und schließt aus Schwäche einen Pakt mit dem leibhaftigen Goebbels.

Aber er ist nicht der Einzige, der seine Seele an die Nazis verkauft. Auf der einen Seite ist da Leni Riefenstahl, eine eiskalte Narzisse, die KZ-Häftlinge als Statisten einsetzt. Auf der anderen Seite ist der englische Romancier P. G. Wodehouse (im Buch heißt er anders), der die Nazis natürlich verachtet und aus purer Ahnungslosigkeit trotzdem in die Verstrickung strauchelt. Irgendwo dazwischen ein gewisser Franz Wilzek, eine Figur, die Kehlmann erfunden hat: weder tapfer noch feige noch ein großes Licht. Beinahe ein Guter, aber leider eben nur beinahe.

Die Nazis sind bei Kehlmann – mit Ausnahme des formidablen Monsters Riefenstahl – mörderische Witzfiguren. Am Ende werden sie von einem Hausmeister personifiziert, halb Caliban, halb Qualtingers „Herr Karl“, der im Keller hockt und einen grotesk unverständlichen Dialekt spricht. Wahrscheinlich muss man, wie Kehlmann, einen jüdischen Vater gehabt haben, der nur durch einen Zufall der Deportation in ein Todeslager entkam, um einen solchen Roman hinzukriegen.

In Amerika angekommen

Anders als sein Antiheld G. W. Pabst ist Daniel Kehlmann in Amerika angekommen. „Die Vermessung der Welt“, überall ein Triumph, wurde natürlich auch ins Englische übersetzt. Seither gilt er in Amerika als der wichtigste deutschsprachige Schriftsteller seit Grass und Böll, als Stimme seiner Generation. Aber kein Buch hatte hier so viel Erfolg wie „The Director“ wie „Lichtspiel“ in der Übersetzung heißt: enthusiastische Rezensionen in der „New York Times“, im „New Yorker“, ein Porträt des Autors im „Atlantic“.

Um auf den Grund für diese Begeisterung zu kommen, braucht man nicht viel analytisches Geschick. Seit November 2024 regiert in den USA ein Präsident, der aus seiner Verachtung für die liberale Demokratie und seiner Bewunderung für Diktatoren kein Geheimnis macht. Wir können live studieren, wie Teile der Gesellschaft vor Donald Trump in die Knie brechen: Politiker wie Marco Rubio und Lindsey Graham, die gestern Trump-Kritiker waren (Graham nannte Trump noch vor zehn Jahren einen „fremdenfeindlichen, rassistischen Fanatiker“ und verglich ihn mit den Kämpfern für den „Islamischen Staat“), hecheln mittlerweile von einer Ergebenheitsbekundung zur nächsten. Es ist schwer, dieses Schauspiel mitanzusehen und nicht an all die Konservativen des 20. Jahrhunderts zu denken, die sich Rechtsradikalen angedient haben.

Nun sind das Politiker, wie aber sieht es bei Kunstschaffenden und Medien aus? Im März 2025 wurden die Oscars verliehen. Normalerweise ist das zumindest auch eine politische Veranstaltung; in der ersten Amtszeit von Donald Trump gab es viele öffentliche Witze auf seine Kosten. In diesem Frühling war das anders: ein paar lahme Bemerkungen über Russland und die Ukraine, ein allgemeiner Aufruf zu mehr Menschlichkeit von Adrien Brody, das war’s im Grunde schon.

Im April strahlte der Fernsehsender PBS in der Serie „American Masters“ eine Folge über den Comic-Künstler Art Spiegelman („Maus“) aus: Dabei wurden 90 Sekunden herausgeschnitten, in denen eine von Spiegelmans Anti-Trump-Karikaturen gezeigt wurde. Nur nicht das empfindsame Monster im Weißen Haus reizen! Indessen droht amerikanischen Schriftstellern, Regisseuren und Schauspielern gar nicht das KZ. Es droht ihnen die Kürzung staatlicher Mittel (der öffentliche Fernsehsender PBS, der von Trump als „links“ beschimpft wird, soll seine Unterstützung durch den Kongress verlieren); im schlimmsten Fall droht ihnen, dass ein MAGA-Mob ihnen im Internet nachstellt. Es handelt sich also um vorauseilenden Gehorsam. (Zum Glück gibt es immer mehr Gegenwehr.)

Natürlich freut sich Kehlmann darüber, dass sein Roman in den Vereinigten Staaten Erfolg hat. Aber er hätte sich, wie er in einem Interview mit „Deutschlandfunk Kultur“ sagt, doch sehr gewünscht, dass dieser Erfolg nicht auf den Flügeln einer entsetzlichen Aktualität daherkommt – in Amerika herrsche „eine Atmosphäre der allgemeinen Anpassung an die Diktatur“.

Mit dem Feingefühl des Romanciers hat Kehlmann in einem seiner jüngsten Essays auf einen erstaunlichen Sachverhalt hingewiesen: Je genauer man Trump studiert, desto weniger menschlich erscheint er. Normalerweise entdeckt man bei Unholden, wenn man sich ihnen mit der psychologischen Lupe nähert, doch den einen oder anderen sympathischen Zug. Bei Trump, so Kehlmann, sei es genau umgekehrt: Je mehr man von ihm wisse, desto mehr Züge der Grausamkeit und des Narzissmus nehme man an ihm wahr. Wer vor einem solchen Mann kapituliert, muss seelisch Schaden nehmen.

Nachgeborene Deutsche reagieren auf die Nazizeit häufig mit dem Satz: „Ich weiß ja nicht, wie ich mich damals benommen hätte.“ Für Kehlmann ist das, wie er einem amerikanischen Journalisten verriet, eine in das Gewand der Bescheidenheit gekleidete moralische Bankrotterklärung. Viel lieber würde er von Nachgeborenen hören: „Ich wünschte, ich hätte mich damals okay verhalten.“ Keine Botschaft könnte im heutigen Amerika dringlicher sein.

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