«Es war überwältigend», erzählt Claude Weill über seine erste Erfahrung mit halluzinogenen Pilzen. Diese machte er in einer Gruppe mit anderen Menschen zusammen und ergänzt: «Ich hatte starke Visionen, bin in andere Dimensionen gereist, in unbekannte Städte und ins All.» Als er die Augen offen hatte, habe er die Frauen und Männer neben sich als wunderschön und strahlend wahrgenommen. «Es war ein enormes Glücksgefühl», erinnert sich der heute 75-Jährige.
In der Schweiz unterliegt Psilocybin, der Wirkstoff der sogenannten Zauberpilze, dem Betäubungsmittelgesetz. Für den Privatgebrauch sind sie also illegal. Nur mit einer Ausnahmebewilligung für wissenschaftliche Studien oder im Rahmen einer Psychotherapie darf Psilocybin konsumiert werden.
Gleichwohl gibt es viele private «Underground»-Angebote, um in begleiteten Gruppen Zauberpilze und andere Psychedelika zu konsumieren. Es dauerte, bis Claude Weill eine solche fand. «Das Leiterehepaar hatte viel Erfahrung und wusste, worauf zu achten ist. Sonst hätte ich mich der Erfahrung nicht ausgesetzt», hält Weill fest. Ein gutes Setting spielte für ihn eine wichtige Rolle, also dass die Umgebung sicher ist und man sich wohlfühlt.

Das Anfangsgeschenk, wie er seine erste gute Erfahrung nennt, machte Lust auf mehr. In den vergangenen 25 Jahren «reiste» Claude Weill immer wieder einmal. Als Reise beschreiben Menschen den Trip, welchen sie mit Psychedelika erleben.
Wenn man unkontrolliert konsumiert, kann man zu Gedankenkreisen bis hin zur Panik kommen.
Unterdessen kennt der Autor und Erwachsenenbildner aber auch schwierige Momente. «Das sind nicht die viel zitierten Horrortrips, bei denen man den Verstand verlieren würde. Sondern es geht um Gefühle und Themen, Schattenseiten von einem, die noch nicht bearbeitet worden sind, vielleicht auch traumatische Erfahrungen in der Kindheit», gibt Claude Weill zu bedenken.
LSD und Psilocybin in der Psychotherapie
Psychiater und Hirnforscher Franz Vollenweider warnt denn auch vor einem allzu schnellen, unbedachten Umgang mit Psychedelika. Seit Jahren forscht er zur Wirkung von Psilocybin, macht Studien mit gesunden Menschen. «Wenn man unkontrolliert konsumiert, die Dosis nicht kennt oder es ohne Begleitperson tut, die den Prozess versteht, kann man zu Gedankenkreisen bis hin zur Panik kommen.»
Wissenschaftliche Studien beginnen oft mit 1 Milligramm Psilocybin, gehen dann auf 5, 10, 15 bis maximal 40 Milligramm. «Man will, dass die Menschen nicht von einer Droge überfallen werden, sondern mitentscheiden können und selbst einen Beitrag leisten», erklärt Mediziner Vollenweider von der Universität Zürich.
In der Wissenschaft geht man heute davon aus, dass Psilocybin nicht körperlich abhängig macht. Allerdings kann es zu körperlichen Reaktionen kommen, etwa zu erhöhtem Blutdruck, Herzrasen oder Übelkeit.
Zudem bestehe das Risiko, dass bei gesunden Menschen Psychosen ausgelöst werden, sofern es in der nahen Verwandtschaft Schizophrenien oder Manien gebe. In seiner Forschung mit rund 800 Untersuchungen sei das aber noch nie passiert, betont Franz Vollenweider. «Wahrscheinlich auch, weil wir sehr strenge Auswahlkriterien für die Teilnehmenden haben und sie engmaschig begleiten». Stimmen die Umstände, schätzt er das Risiko von Psilocybin als gering ein.
Sich mit dem grossen Ganzen verbinden
Wie Claude Weill machte auch Melanie lange Zeit einen Bogen um psychedelische Substanzen. Weil ihr Konsum in der Schweiz illegal ist, spricht Melanie hier mit einem Pseudonym. Noch heute geht sie vorsichtig und bewusst mit Zauberpilzen um: «Ich wähle jeweils eine Dosis, mit der ich jederzeit aufstehen und einigermassen ein Gespräch führen könnte», erzählt die 50-jährige Pädagogin und Körpertherapeutin.
Ich bin völlig im Hier und Jetzt, dehne mich aus und Grenzen lösen sich teilweise auf.
«Ich will mich nicht wegspicken. Ich möchte persönlich weiterkommen mit meinen Themen und im Leben, und mich immer mehr mit dem grossen Ganzen verbinden.»

Für sie sind es spirituelle Erfahrungen, die sie mit den Zauberpilzen macht: «Ich bin völlig im Hier und Jetzt, dehne mich aus und Grenzen lösen sich teilweise auf. Ich bin mit allem verbunden. Im Wald spüre ich zum Beispiel, wie die Bäume miteinander kommunizieren. Das klingt abgehoben, aber so erlebe ich es wirklich.»
Mystische Erfahrungen
Sowohl Melanie als auch Claude Weill können unterdessen ohne Substanzen «reisen». Ihr Körper wisse, wie es sich anfühle, berichtet Melanie. «In einer Meditation und mit meiner Trommel verbinde ich mich mit dieser Energie der Zauberpilze. Das ist ein Riesengeschenk.»
Claude Weill geht heute seltener auf «die Reise», «mein Alltag ist spiritueller geworden», erzählt er. «Ich nehme heute die Dinge einfach wahr und bewerte sie weniger. Einverstanden sein mit dem, was ist, kann ungemein befreiend sein.» Die Einheitserfahrungen wiederum, die Weill auf seinen Trips gemacht hat, würden ihm die Angst vor dem Tod nehmen. «Eigentlich», so Weill, «sind psychedelische Erfahrungen Übungen im guten Sterben. Das Ego muss auf dem Trip jedes Mal ein bisschen sterben, damit man sich der Erfahrung ganz hingeben kann.»

Erfahrungen mit in den Alltag nehmen
Durch Psilocybin eins mit allem werden, das Raum- und Zeitgefühl aufheben oder Ehrfurcht vor dem Leben empfinden – von solchen mystischen Erfahrungen würden Studienteilnehmende immer wieder erzählen, weiss Franz Vollenweider: «Bei einer mittleren Dosierung sprechen 30 bis 40 Prozent der gesunden Probanden von solchen Einsichten in die Tiefe des Daseins.»
Besonders interessiert Vollenweider, wie die erlebte Selbstauflösung wahrgenommen und ins Leben integriert werde. «Um die Offenheit und Verbundenheit mit in den Alltag nehmen zu können, braucht es viel Engagement», ist er überzeugt und forscht aktuell zu diesen Integrationsbemühungen im Alltag. Psychedelische Pilze seien also keine Abkürzung, um sich mit der Welt verbunden zu fühlen und das Ego loszulassen.
Meditation und Psilocybin
Um sich darin zu üben und zu trainieren, könne Meditieren helfen. «Aus der Forschung ist bereits bekannt, dass sich durch Meditation jene neuronalen Netzwerke positiv verändern, die für die Selbstwahrnehmung und Ichhaftigkeit zuständig sind», fasst Vollenweider zusammen. Das Ego werde durchlässiger.
Vor ein paar Jahren untersuchte der Mediziner dann, wie Meditierende auf Psilocybin reagieren. Dafür machte er im Meditationszentrum Felsentor auf der Rigi ein Experiment: Eine Gruppe bekam Psilocybin, die andere ein Placebo. «Als wir die Hirnaktivitäten gemessen haben, konnten wir sehen, dass sich diese neuronalen Netzwerke umso mehr geöffnet haben, desto tiefer die Einheitserfahrung war.» Bei jener Gruppe, die Psilocybin konsumierte, dauerten die Effekte der Selbstauflösung also länger an. «Auch noch nach drei oder vier Monate stellten wir eine verstärkte Empathie fest und, dass egozentrische Züge verringert waren.»
Das könne zu einem besseren Selbstwert führen und, dass man sich beispielsweise mehr für andere Menschen einsetzt. «Die Erfahrung können also auch Einfluss auf das Verhalten haben und das scheint mir schlussendlich wichtig», sagt Franz Vollenweider mit Blick auch auf den psychotherapeutischen Einsatz von Psilocybin.
Mystische Erfahrungen mit Psychedelika können also das Leben einer Person als auch das Zusammensein mit anderen und der Natur verändern. Aber die Substanzen bleiben illegal. Der Umgang mit ihnen braucht eine gute Vorbereitung, ein sicheres Setting und man muss sich der Risiken bewusst sein.
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