In ihrem Podcast „News Core: Politik bis Popkultur“ unterhalten sich Imke Rabiega und Julian Theilen über Trends und aktuelle Debatten. In der neuen Folge geht es unter anderem um „Man of the year“, den neuen Song von Lorde.

Julian: Lorde hat ja einen neuen Song rausgebracht, „Man of the Year“. Kennst Du den?

Imke: Ja, ich habe den Song gehört.

Julian: In dem Song geht es ja um den Trennungsschmerz, der aus der gescheiterten Beziehung mit einem Typen resultiert. Lass mal kurz reinhören:

„Who's gon‘ love me like this? Oh, oh, who could give me lightness Way he flow down through me Love me like this Now I'm broken open Let's hear it for the man of the year.“

Imke: Ja, sie beschreibt darin den Abnabelungsprozess von einem Mann, den sie mal geliebt hat, der ihr aber irgendwie auch nicht so richtig gutgetan hat.

Julian: Ich glaube, jeder kennt dieses verwirrende Gefühl, sich von jemandem angezogen zu fühlen, aber gleichzeitig loslassen zu müssen, weil es zu viel Schmerz bedeutet. Diese Gefühle werden auch tänzerisch im Musikvideo dargestellt, in Form von solchen Wutattacken, die dann immer auch in ein Aufbäumen und Stolz übergehen.

Imke: So eine Liebe wie im Rausch irgendwie.

Julian: Dieses Ambivalente der Liebe hat sie gut eingefangen. Aber: bei TikTok ist aus diesem Song ein Trend entstanden, der aus meiner Sicht die emotionale Komplexität nicht so richtig begreift.

Imke: Also was bei TikTok passiert, ist, dass viele vor allem junge Frauen zu dem Titel Videos hochladen und da dann diese Bezeichnung „Man of the year“ aufgreifen, aber ironisch und abwertend umdeuten.

Julian: Ja, das machen sie total süffisant, so nach dem Motto „Er hat mich dreimal betrogen, er ist immer aggressiv geworden, war null einfühlsam, als meine Oma gestorben ist, aber hey, Applaus für den Mann des Jahres.“

Imke: Aber du findest es eigentlich nicht gut den Trend, oder?

Julian: Ich will nur einen Aspekt ausleuchten, der mir so ein bisschen Bauchschmerzen bereitet. Vielleicht klinge ich dabei auch ein bisschen zu ernst, aber was mir schon Sorge bereitet, ist, wie infantil zum Teil in den sozialen Medien Liebeskummer verarbeitet wird. Über den Ex lästern wird irgendwie als selbstermächtigend und befreiend verstanden und schafft auch so ein gemeinschaftliches Gefühl von „Frauen gegen die angeblich bösen Männer“. Aber ist das nicht eigentlich eine Schuldprojektion, in der die eigenen Anteile an der Faszination für den Typen komplett ignoriert werden? Also die Frage zum Beispiel, warum habe ich mich hingezogen gefühlt? Warum habe ich mich für diese ungesunde Dynamik entschieden?

Imke: Du meinst also, dass Frauen sich in eine Opferrolle begeben, in der sie so die eigenen Muster nicht hinterfragen?

Julian: Ich finde es interessant, dass die sozialen Medien anscheinend immer wieder die eigene moralische Selbsterhöhung befeuern und Schwarz-Weiß-Denken fördern. Er böse - ich gut. Es gab doch auch in den vergangenen Jahren den Trend, jedes Arschlochverhalten des Partners irgendwie als narzisstisch zu bezeichnen. Das ist dir wahrscheinlich auch aufgefallen. Wenn man jedes unsensible Verhalten des Partners pathologisiert, ist man ja selbst fein raus aus der Sache und der vermeintlich Gesunde. Verstehst du, was ich meine?

Imke: Ja, obwohl ich das gar nicht so kritisch sehe.

Julian: Okay?

Imke: Also ich finde erst mal grundsätzlich gut, dass wir anfangen, zu analysieren und vielleicht auch psychologischer an die Sache ranzugehen. Es ist ja eigentlich so eine Art kollektives Lästern und das führt natürlich dazu, dass man es sich vielleicht irgendwie zu einfach macht. Gleichzeitig hat es ja auch etwas sehr Verbindendes, Muster festzustellen und sich dann daran festhalten zu können und so ein bisschen Trost zu suchen in dem Kollektiven.

Julian: Ich habe das sicherlich auch öfter schon gemacht, dass man am Anfang das Schlechte im Anderen sieht, um erst mal loszukommen. Aber es gibt so eine grundsätzliche Tendenz in den sozialen Medien, sich selbst nicht als Teil des Beziehungsgeflechts zu sehen und das Böse nur in dem anderen zu vermuten. Daraus entsteht dann eine Dynamik, in der man sich gegenseitig auf die Schulter klopft und sagt „Ja, er ist ein Arschloch, er ist ein Arschloch.“, wodurch man immer weniger in eine Lage versetzt wird, sich selbst ehrlich zu betrachten.

Imke: Lorde beschreibt das in ihrem Song ja eigentlich ganz richtig. Ihre Figur hat sich ja genau von dieser widersprüchlichen verletzenden Dynamik anziehen lassen und versucht sich ja jetzt daraus zu befreien.

Julian: Ja, das finde ich auch das Interessante bei Lorde und ihrer Kunst. Sie verhandelt ja öfter so die eigenen Widersprüche. Sie kennt die Grausamkeit der Welt aus dem Internet, aber will in dieser Welt trotzdem irgendwie erwachsen werden. Das macht sie auch so beliebt in der GenZ. Im Vergleich zur Boomer-Generation hat sie die Seelen-Innenschau perfektioniert.

Imke: Die Frage ist ja auch, inwiefern das, was vielleicht auf Social Media passiert, sich auch tatsächlich auf die Realität übertragen lässt. Und da kann ich dich auf jeden Fall mal aus meiner Perspektive aus beruhigen. Die meisten Freundinnen, die ich habe, neigen nämlich gar nicht dazu, es sich zu einfach zu machen, sondern eher zu tief reinzugehen und zu versuchen, tiefe psychologische Erkenntnisse zu finden. Ich glaube, da sind gerade sehr konträre Trends unterwegs.

Julian: Ich würde sagen, das war's für heute.

Imke: Bis nächste Woche und schönes Wochenende!

Die aktuelle Folge News Core können Sie unter anderem auf Spotify hören.

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