Es gibt wenig Unbequemeres als einen neuen Baseball-Handschuh. Das Leder ist steif und hart, erst nach häufiger Nutzung wird es geschmeidig und passt sich – gut gealtert – der Handform des Fängers an. Insofern darf man davon ausgehen, dass die amerikanische „Financial Times“ es nicht böse meinte, als sie vor Kurzem in ihrer Kritik eines Konzerts der Punk-Ikone Iggy Pop von dem „lederhäutigen Sänger“ sprach, der auf der Bühne noch immer alles gäbe und rauslasse.

Iggy Pop ist für vieles bekannt, etwa für seine Verdienste um die Entwicklung des Punks, für seine exzentrische Bühnenperformance – aber auch dafür, dass vermutlich nur sein engstes Familienumfeld ihn jemals mit Oberbekleidung gesehen hat. Seit mehr als 50 Jahren tritt der Sänger oben ohne auf – und auch beim Berliner Konzert in der Zitadelle Spandau dauert es am Donnerstag nur wenige Sekunden, bevor er die schwarze Weste abstreift, mit der er die Bühne betritt, und sich dem Berliner Publikum in seiner ganzen Ledrigkeit präsentiert.

Haut und Torso haben längst den Kontakt zueinander verloren und während der 78-Jährige ekstatisch um sein Mikrofon herum gestikuliert, formen die Faltenwürfe seiner Haut abstrakte Kunstwerke, die im Internet die Meme-Kultur beflügeln. Strähnige blonde Haare, ein grauer Stoppelbart und ein gepeinigter Gesichtsausdruck, den die Kameras in Nahaufnahme auf Leinwände neben der Bühne projizieren – das Erscheinungsbild des Sängers ist ikonisch.

Der Körper von James Newell Osterberg, so der bürgerliche Name des Sängers, hat einiges mitgemacht. Ende der Sechzigerjahre, als selbst die experimentierfreudigen späten LSD-Beatles noch vergleichsweise zahme Musik machten, brachte der junge Musiker aus Michigan die rohe Anarchie in die Rockwelt und gilt als einer der ersten wirklich charismatischen Frontmänner des Rock ’n’ Roll.

Auf der Bühne wälzte er seinen Körper in Glasscherben – eine Schnitzelpanade der Selbstpeinigung. Iggy Pop erfand das Stage Diving, sprang immer wieder ins Publikum und verletzte sich dabei mehrfach. Die jahrelange Heroinsucht setzte dem Körper des Musikers ebenfalls zu. Die Konzerte mit seiner Band, den Stooges, gerieten dabei gleichzeitig zu ausgelassenen Happenings – „Raw Power“, „rohe Kraft“ heißt folgerichtig das bekannteste Album der Band. Doch während die Stooges sich mittlerweile größtenteils ins Jenseits verabschiedet haben, ist Iggy Pop noch immer auf der Bühne. Und trotzt dem Alter.

In Berlin steht er erst mit ausgebreiteten Armen auf der Bühne, deutet dann auf sich selbst und singt in „Gimme Danger“ mit einem Glanz von Tränen in den Augen: „Kannst du es fühlen?“ Als wolle er dem Publikum zurufen: „Seht mich an, ich kann nicht anders, als hier zu sein“. Die Zurschaustellung seines alternden Körpers ist kein Ausdruck von Trotz oder einer verqueren Selbstwahrnehmung, sie zeigt seine Verwundbarkeit. „Das hier bedeutet mir verdammt noch mal alles“, ruft er zwischen den Liedern dem Publikum zu.

Und das merkt man. Iggy Pop ist immer noch Punk durch und durch. Immer wieder animiert er das Publikum mit ausholenden Gesten zum Feiern, während das Mikrofon in seinem Hosenbund verschwindet. Andere 78-Jährige verlassen langsam die Lebensgeister, doch Iggy performt, als wäre es immer noch 1970.

Seine melancholisch dunkle Stimme – angesiedelt irgendwo zwischen Jim Morrison und Nick Cave – klingt noch immer wie auf den Alben, die er vor mehr als 50 Jahren aufnahm. Und der Sänger weiß, dass es diese Hits sind, die das Publikum hören will. „I Wanna Be Your Dog“, „The Passenger“, „Search and Destroy“, alle bekannten Lieder stehen auf dem Programm.

Während Pop den vorderen Teil der Bühne ganz für sich in Anspruch nimmt, sorgt seine Band für das musikalische Fundament. Seit einigen Jahren tritt der Sänger mit Blechbläsern auf, die die eher einsilbig-punkigen Riffs der Stooges mit Melodie und Dynamik anreichern. Und so wird Iggys Musik bei bestem Sommerwetter in der Berliner Festungsanlage, die sogar noch ein paar Jahrhunderte älter ist als der Künstler, erstaunlich tanzbar.

Das Publikum wippt und liegt sich in den Armen. Anders als bei vielen anderen Künstlern, deren Schaffens-Zenit Jahrzehnte zurückliegt, finden sich in Berlin – der Punk-Hauptstadt Deutschlands – zahlreiche junge Fans ein. Vom Zahnspangen- bis zum Toupet-Träger sind alle Altersgruppen vertreten. Überhaupt scheint Iggy Pop die Generationen zu verbinden, seine Lieder hört man auch in Kneipen, die nicht exklusiv von alternden Rockfans besucht werden.

Die alte Losung – „Punk Is Not Dead“ – beweist an diesem Abend jedenfalls ihre Gültigkeit. So lange Iggy Pop noch auf der Bühne steht, ist der Punk noch putzmunter. In all seiner wacker erarbeiteten Ledrigkeit.

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