Lange Zeit sah ich im Rausch eine Art Widerstand. Widerstand gegen die Vernunft, gegen die Grünpflanzen in den Amtsstuben, gegen die Menschen, die sich mit ihrem Stanley Cup zum Übermenschen juicen oder shaken, gegen die joggenden und Tischtennis spielenden Minister, die immer wissen, was richtig ist.

Mein erster Roman hieß „Toxic Man“. Mein Held nahm einen Haufen Drogen – Rauschgift. Er trank sehr viel Alkohol – ein Neurotoxin. Ich sah im Sichvergiften meines Romanhelden eine sinnlose, aber dadurch existenzialistische Verweigerung, sich mit dem effizienzgetriebenen Dahingleiten in den Tod, neuerdings Leben genannt, abzufinden. Die neue deutsche Staatsräson – Sterben, aber bitte gesund und emissionsarm – ist mir bis heute zuwider.

Natürlich ist die Stilisierung des Rausches als Aufbegehren pubertärer Schwachsinn. Man wird weder Winston Churchill noch Hunter S. Thompson davon. Tragischer-Held-Cosplay macht einen nicht zum Helden, sondern nur tragisch.

Tatsächlich aber liebe ich den Vorgang des Trinkens. Das hat gar nichts mit Alkohol zu tun. Eiskalte Cola, schmerzhaft-sprudelndes Wasser hinunterzuschlucken, ist ein fantastisches Gefühl. Auch alkoholfreie Biere können fantastisch schmecken. Die meisten aber sind Schrott. Was man in Biomärkten kaufen kann oder in Arthouse-Kinos vorgesetzt kriegt, kommt mir oft süßer als gezuckertes Malzbier vor. Schon nach einer halben Flasche bekomme ich Kopfschmerzen und verspüre das Verlangen, mit 350 Kilometern pro Stunde gegen eine Wand vergifteter, rostiger und unter Strom stehender Nägel zu fahren.

Immerhin aber gibt es auch Biere, die, obwohl sie alkoholfrei sind, nach Bier schmecken. Dennoch, und das ist schon mein Problem damit, kann man sie, anders als alkoholisches Bier, nicht einfach von 18 bis 2 Uhr morgens trinken. Das Trinken ist ja schon diese wunderbare Einladung dazu, sich gehen und treiben zu lassen. Sich den ersten Wellen der Flut hingeben, sich raus aufs Meer tragen zu lassen, um dann die eigene Bedeutungslosig- und Sterblichkeit anzuerkennen und Ja zum Untergang zu sagen. Ja zu sagen zur unendlichen Tiefe des Ozeans.

Gerade gibt es so eine Riesen-Alkoholfrei-Welle. In fast jeder Regionalzeitung erscheinen Artikel über beinahe pleite gegangene Dorfbrauereien, die dank Alkoholfreiem wieder Umsatz machen. Auf Volksfesten wie der Erlanger Bergkirchweih steigt der Umsatz mit alkoholfreiem Bier. Überall plakatiert einem so eine Brauerei die total umdrehungsfreie gute Laune vor die Tür. Immer drauf, total diverse Fröhlichkeit, wie einst nach 15 Halben und vier Kurzen.

Jever hat 1991 damit angefangen, Alkoholverzicht mit Spaß zu vermengen, als die Brauerei ihr alkoholfreies Bier Jever Fun nannte. Bayerns ehemaliger Ministerpräsident Beckstein fand einmal, nach zwei Maß auf dem Oktoberfest könne man noch Auto fahren. Die Verheißung von alkoholfreiem Bier ist: Nur eine halbe Flasche gibt den Spaß von zwei Tagen Oktoberfest. Ehrlicherweise muss man sagen: Im Alkoholfreien steckt so viel Fun wie in Fanatismus. Darauf erst mal einen großen Schluck! Bier soll jetzt also gesund, gesellig und isotonisch sein. Die Bäuche der Weizen-Rennrad-Rentner sind der gelebte Beweis.

Jede Nacht hat ihren Preis

Umso erstaunter war ich, als ich gerade nüchtern in der „Bild“-Zeitung las, dass alkoholfreies Bier offenbar das Diabetes-Risiko erhöht. „Forscher aus Deutschland und den USA fanden heraus“, stand da. Und bei solchen Sätzen werde ich immer skeptisch. Weil sich heute jeder Wissenschaftler nennt, der mal vermummt rote Dreiecke in einen Hörsaal gesprüht hat. Aber in diesem Fall waren das wirklich Wissenschaftler. An der Studie beteiligt waren fünf Forschungsgruppen medizinischer Fakultäten aus Bochum, Deutschland, San Diego, Vereinigte Staaten, und Leioa, Spanien. „Wir haben festgestellt, dass sie sich ungünstig auf den Stoffwechsel auswirken, hauptsächlich wegen ihres Kalorien- und Zuckergehalts“, werden die Forscher in Bezug auf alkoholfreie Biere zitiert.

Schon bei Falco hieß es: „Jede Nacht hat ihren Preis.“ Allgemein übersetzt bedeutet das: Alles hat Wirkung und Nebenwirkung. Nicht nur Impfungen, sondern auch alkoholfreies Bier, Herr Lauterbach. Ich stehe jetzt natürlich vor einem Dilemma. Saufen, um dem Diabetes entgegenzuwirken, oder alkoholfrei in den Diabetes surfen? Es ist wie mit dem Cunnilingus, der das Risiko auf Zungenkrebs erhöht. Im Prinzip sind das die Fragen, die in einem „Zeit“-Pro-und-Contra (Titelvorschlag: „Oder soll man es lassen?“) geklärt und lückenlos aufgearbeitet werden müssen – auch gegen den Volkszorn der Tastaturhelden.

Ich trinke jetzt Cola Zero. Sterben muss ich sowieso. Mit oder an guter Laune? Hauptsache Fun.

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