In ihrem Podcast „News Core: Politik bis Popkultur“ unterhalten sich Imke Rabiega und Julian Theilen über Trends und aktuelle Debatten. Das folgende Transkript ist eine gekürzte Version der Podcastfolge „Warum Fake-News-Meister Tommaso Debenedetti Promis für tot erklärt“.
Imke Rabiega: Der Vorfall mit dem Medien-Meisterfälscher Tommaso Debenedetti hat mich sowohl als Journalistin als auch als Internetnutzerin berührt. Es geht um einen Mann, der dem schnelllebigen Breaking-News-Business den Spiegel vorhält oder das sogar schon eine ganze Weile lang tut. Dafür lässt er regelmäßig Leute sterben. Also im übertragenen Sinne. Hast du mitbekommen, dass vor ein paar Tagen einige Nachrichtenportale verkündet haben, die Schriftstellerin Elfriede Jelinek sei tot?
Julian Theilen: Es sind auch mehrere Medien darauf eingestiegen. Das war ziemlich unangenehm. Das Ding war nur, dass sie sich daraufhin sehr lebendig in der Öffentlichkeit gemeldet hat und sagte: „Ach, schon wieder, das ist jetzt schon das zweite Mal, dass ich tot bin“. Angeblich ist das schon letztes Jahr passiert. Es war also eine Falschmeldung.
Imke: Ja, eine Falschmeldung, deren Fährte ganz bewusst gelegt wurde und auch letztes Jahr, als sie schon mal gestorben sein soll, von der gleichen Person, und zwar von dem italienischen Autor und Literaturlehrer in Rom Tommaso Debenedetti, der neben seinem normalen Job seit vielen Jahren eine zweite Leidenschaft hat. Und zwar ist er ein selbsterklärter Fake-News-Aktivist.
Julian: Ja, der Typ ist eine Legende geworden, ein Mythos. Er hat ja schon mehrfach den Papst für tot erklärt, den österreichischen Ex-Bundeskanzler und Jelinek. Obwohl alle quicklebendig waren.
Imke: Ja, und immer wieder fallen Medien darauf ein. Ich glaube, sein größter Coup, wenn man das so sagen kann, war die „New York Times“-Meldung.
Julian: Ein Ritterschlag.
Imke: Wie macht er das und warum macht er das? Von verschiedensten Medien wird er immer wieder als Meisterfälscher betitelt, dabei macht er eigentlich gar nicht so viel. Seine Kunst besteht darin, auf X (früher Twitter) Accounts einzurichten und darüber dann bestimmte Meldungen zu verbreiten. Er hat schon Accounts für etwa Bob Dylan erstellt und jetzt für Jelineks Verlag Rowohlt. Aber er hat schon vor der Gründung von Twitter damit angefangen.
Julian: Ja, vor den sozialen Medien hat er Fake-Interviews geführt, etwa mit John Grisham, Arthur Miller und Desmond Tutu, dann mit dem ehemaligen Kardinal und späteren Papst Josef Ratzinger. Mit dem ehemaligen sowjetischen Präsidenten Michael Gorbatschow und dem Dalai Lama. Das ist schon eine lustige und prominente Runde gewesen, die er da hatte. Und die Zeitungen haben das publiziert.
Imke: Debenedetti selbst vermutet, dass viele Zeitungen eigentlich ahnten, dass die Interviews Fake seien. Dass sie sie aber trotzdem immer dankend angenommen haben, vielleicht, weil er eine sehr niedrige Gage dafür genommen hat.
Julian: Und weil die kleinen Zeitungen die Berühmtheit der Interviewten gereizt hat, sodass sie sogar auf journalistische Standards gepfiffen haben. Twitter (heute X) hat Debenedetti übrigens erst seit 2011 genutzt, um seine Fakes zu verbreiten. Seitdem ist er ziemlich fleißig dabei.
Imke: Er hat der ARD mal ein Interview gegeben. Ich glaube, das war 2022, nachdem er mal wieder den Papst für tot erklärt hat. Und da wurde er gefragt, warum er so viel Zeit mit diesem Hobby verbringt. Debenedetti meinte, dass das für ihn eine Art Spiel ist, gleichzeitig auch eine Art Kampfansage und Zeitgeistkritik.
Julian: Ja, weil er mit all dem irgendwie zeigen möchte, wie einfach es ist, Falschnachrichten zu verbreiten. Er sagt ja selbst, dass es das einfachste der Welt sei. Und er möchte darauf aufmerksam machen, von welcher Eile das Breaking-News-Geschäft heute getrieben ist und wie da auch die Sorgfaltspflicht untergraben wird, wenn es ums Überprüfen von Quellen geht und so. Damit tut er uns Journalisten weh, es ist gleichzeitig aber auch ein Ansporn, noch genauer zu werden.
Imke: Weiterhin prangert er an, dass Social-Media-Plattformen mittlerweile von Journalistinnen und Journalisten als Quelle genutzt werden, so ähnlich wie Presseagenturen, also wie die DPA, obwohl es nicht das Gleiche ist.
Julian: Als ich von Debenedetti gehört habe, musste ich sofort an Till Eulenspiegel denken. Der hat ja ebenfalls mit Witz und List auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam gemacht und alle zum Narren gehalten. In dieser Rolle war er seinen Mitmenschen überlegen und dieses Gefühl habe ich bei Debenedetti auch.
Imke: Ich habe das Gefühl, Debenedetti selbst hält seinen Mythos aufrecht. Ob bewusst oder unbewusst. Ich wollte ein Bild von ihm sehen und habe danach gesucht. Gefühlt gibt es im ganzen Internet nur ein einziges Bild von ihm. Darauf ist er in einem weißen Hemd vor einer italienischen Stadtkulisse zu sehen und schaut in die Ferne – voller Schalk, mit finsterer Miene. Es ist ein sehr dramatisches Bild und hat Mafiosi-Charakter.
Julian: Ich bin hin- und hergerissen. Insgesamt finde ich Debenedetti schon cool, weil er ein Underdog ist und die Grenzen des Erlaubten und des guten Geschmacks überschreitet, ohne jemandem wirklich ernsthaft zu schaden. Jeder hat doch ein bisschen diesen Drang, diese Grenzen auszuloten.
Julian: Was würdest du machen, wenn du jetzt eine kriminelle Karriere hinlegen müsstest?
Imke: Ich hätte richtig große Lust, den schönsten Diebstahl der Welt zu begehen. Es müsste der ästhetisch-kunstvollste und handwerklich beste große Diebstahl dieser Welt sein, der für immer in die Geschichtsbücher eingeht.
Julian: Wie sieht das dann aus? Hättest du ein einprägsames Outfit an?
Imke: Nein, man sollte mich eigentlich gar nicht sehen, aber das Objekt, das geklaut wird, sollte nahezu unmöglich zu klauen sein. Und du?
Julian: Ich habe auch eine große Faszination für Betrüger, weil ich das Gefühl habe, sie haben irgendetwas fundamental im Leben verstanden. Das Leben ist nur ein Spiel, und Betrüger spielen dieses Spiel perfekt. Sie machen etwas, das ich mir in meiner bürgerlichen Angepasstheit gar nicht erlaube.
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