Das Wort „Scholar“ ist ein alter Ausdruck für Schüler, insbesondere für die fahrenden Schüler des späten Mittelalters, die durchs Land zogen – oft nachdem sie von der Universität oder Lateinschule geflogen waren – und sich mit einer Mischung aus Bildung (lateinische Formeln waren für einfache Leute so gut wie Zaubersprüche) und Gaunerschläue durchschlugen.

Es muss ein einigermaßen gebildeter Agentenführer gewesen sein, der dem Journalisten und Autor Peter Scholl-Latour aus klanglichen Gründen den Tarnnamen „Scholar“ verpasst hat. Auf eine gewisse Weise passte das auch charakterlich: Peter Scholl-Latour war ein Wanderer zwischen Welten – mit einem halb deutschen, halb französischen Nachnamen, den er sich selbst gegeben hatte.

Der WDR hat nun Akten des BND ausgegraben, die beweisen, dass Scholl-Latour vom Auslandsgeheimdienst der Bundesrepublik mindestens seit 1980 als „Gelegenheitsquelle“ genutzt und um die Ausführung kleinerer Aufträge gebeten wurde. Zwar hatte sich der BND schon seit ca. 1960 für ihn interessiert, aber zunächst misstraute man dem laut Aktenlage „jüdisch“ aussehenden Journalisten, weil man ihn verdächtigte, bereits Agent der Franzosen zu sein.

In der Woche, in der Frederick Forsyth gestorben ist, kann es Deutsche jetzt mit Genugtuung erfüllen, dass es hierzulande wenigstens einen Autor gegeben hat, der wie jener und seine britischen Kollegen Graham Greene, Ted Allbeury oder John le Carré geheimdienstliche Tätigkeit aus echter eigener Erfahrung kannte.

Seine BND-Aufträge gehörten vermutlich sogar zu den weniger aufregenden Episoden im Leben Scholl-Latours, der 1924 in Bochum als Sohn eines Elsässers und einer jüdischen Deutschen (sein Onkel wurde im KZ Sachsenhausen ermordet) geboren wurde. Übertroffen wurde dieser Nervenkitzel sicher durch den größten Scoop seines langen Journalistenlebens: 1979 durfte er den Ayatollah Khomeini im Flugzeug begleiten, als dieser aus dem Pariser Exil in den Iran zurückkehrte und von zwei Millionen Menschen begeistert empfangen wurde.

Nicht zuletzt dieses Abenteuer bescherte Scholl-Latour bis zu seinem Tode im Jahre 2014 den Ruf, die islamische Welt besonders gut zu verstehen. Seine letzte Blütezeit als Welterklärer hatte der amerikaskeptische Gaullist während des Arabischen Frühlings Anfang der 2010er-Jahre. 2011 interviewte er den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Das Scheitern der westlichen Intervention in Afghanistan sagte er korrekt voraus.

Scholl-Latours Lebensthema blieben dennoch die ehemaligen französischen Kolonien in Asien: Vietnam, Laos, Kambodscha. Das erfolgreichste unter seinen rund 50 Büchern war „Der Tod im Reisfeld. 30 Jahre Krieg in Indochina“, 1,3 Millionen verkaufte Exemplare, eines der erfolgreichsten deutschen Sachbücher nach 1945. Die Konflikte dort kannte Scholl-Latour aus eigener Anschauung: 1945/46 war er als Fallschirmjäger der französischen Armee in Vietnam eingesetzt, 1973 wurde er als Fernsehjournalist eine Woche von den Vietcong gefangen gehalten, und einer seiner jetzt bekannt gewordenen BND-Aufträge hatte mit dem kambodschanischen Führer der Roten Khmer (und millionenfachen Massenmörder) Khieu Samphan zu tun.

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