Staatlich geprüfter Gedankenverbrecher. So lautet die wohl ironische Selbstbezeichnung des Autors John Hoewer, zu finden im Einband seines 2021 erschienenen Debütromans „Europa Power Brutal.“ Auch wegen dieses Buchs kann Hoewer jetzt – diesmal ganz unironisch – seine Vita um einen Eintrag ergänzen: Gerichtlich bestätigter Verfassungsfremdgeher.

Zu dieser Auffassung ist zumindest das Verwaltungsgericht Koblenz gelangt, das Hoewer eine „mangelnde Verfassungstreue“ bescheinigt hat. Die Begründung der Kammer wirft die Frage auf, ob es legitim ist, einen Roman heranzuziehen, um die Gesinnung seines Autors zu überprüfen und was das für die Kunstfreiheit in Deutschland bedeutet.

Doch der Reihe nach: John Hoewer war politischer Aktivist, unter anderem bei der mittlerweile aufgelösten „Jungen Alternative“ (JA), der Jugendorganisation der AfD sowie als Co-Vorsitzender der Kampagnen- und Spendenplattform „Ein Prozent e.V.“. Beide Vereinigungen werden vom Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz seit April 2023 als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft, wobei die Entscheidung im Fall der JA bislang nicht bestandskräftig ist. Vor Gericht gab Hoewer gab an, vor den jeweiligen Einstufungen seine Mitgliedschaft in der JA beendet und das Amt bei „Ein Prozent“ niedergelegt zu haben. In seiner Funktion als Aktivist publizierte er in den vergangenen Jahren zudem mehrere Texte, in denen er AfD-nahe Positionen zur Flüchtlings- und Migrationspolitik sowie zum Staatsangehörigkeitsrecht vertrat. Strafrechtlich in Erscheinung getreten ist Hoewer indes nie.

Hoewer und sein „Ich“ gegen die wehrhafte Demokratie

2021 veröffentlichte Hoewer dann im rechten „Jungeuropa Verlag“ seinen besagten Roman „Europa Power Brutal.“ Innerhalb der Neuen Rechten gilt das Buch mittlerweile als Kultroman. Darin zieht ein desillusionierter Ich-Erzähler in Charles-Bukowski-Manier saufend und rauchend von Tresen zu Tresen, reist mit einer neurechten Aktivistengruppe, über die er eine Reportage verfassen soll, nach Wien, Rom und Frankreich, nimmt dort an politischen Aktionen teil und bemüht sich „en passant“, während alldem bloß nicht nüchtern zu werden.

Mit dem Verwaltungsgericht Koblenz bekam es Hoewer aber in erster Linie wegen seiner Rolle als angehender Jurist zu tun. Nach Abschluss seines Studiums begehrte Hoewer beim Oberlandesgericht Koblenz vergeblich die Zulassung zum Rechtsreferendariat zum 2. Mai 2025. Der juristische Vorbereitungsdienst, wie das Referendariat im Behördensprech heißt, ist für Studienabsolventen ein unabdingbarer Zwischenschritt, um später als Richter oder Staatsanwalt zu arbeiten, aber auch, um als Rechtsanwalt zugelassen zu werden. Nach dem Ablehnungsbescheid wandte sich Hoewer mit einem Eilantrag an das Verwaltungsgericht Koblenz. Doch die Koblenzer Richter urteilten Anfang Mai, das rheinland-pfälzische Juristenausbildungsgesetz und das Landesbeamtengesetz stünden einer Zulassung Hoewers entgegen. Es sei mit dem Prinzip der wehrhaften Demokratie dem Staat nicht zuzumuten, schreibt die Kammer, „verfassungsuntreue Bewerber in den Vorbereitungsdienst aufnehmen zu müssen.“

„Diese Aussagen sprechen für sich.“

Was den Fall pikant für die Literaturwelt macht, ist die Begründung, mit der das Gericht Hoewer seine mangelnde Verfassungstreue attestiert. Denn die Kammer stützt ihren Spruch in erster Linie auf Textpassagen in Hoewers Roman, der unzweifelhaft eine Gestaltungshöhe aufweist und somit ein fiktives Werk ist, das der Kunstfreiheit unterliegt.

Doch in ihrem 15-seitigem Beschluss mit dem Aktenzeichen 5 L 416/25.KO erwähnt die Kammer mit keinem Wort die verfassungsmäßig gewährleistete Kunstfreiheit. Dabei stellt Artikel 1 Absatz 3 des Grundgesetzes unmissverständlich klar, dass sämtliche staatliche Gewalt – einschließlich der Verwaltungsgerichte – an die Grundrechte gebunden ist und diese bei ihrer Entscheidungsfindung zu berücksichtigen hat.

Stattdessen listen die Koblenzer Richter anhand der Verfassungsschutzakte über Hoewer eine Reihe an Zitaten aus „Europa Power Brutal“ auf und lassen sich dann zu dem juristischen Kurzschluss verleiten: „Diese Aussagen sprechen für sich. Sie verdeutlichen, dass der Antragsteller ein mit Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz unvereinbares Menschenbild vertritt, welches er durch die Verwendung menschenverachtender Bezeichnungen zum Ausdruck bringt.“

Der Ich-Erzähler gleich der Autor gleich der angehende Jurist? Ist Literatur so simpel runterzubrechen, zumal im Roman bereits zu Beginn klar wird, dass der angehende Jurist Hoewer nicht mit dem Ich-Erzähler identisch sein kann, wenn Letzterer von sich selbst sagt: „Ich bin Architekt, mit Diplom und so. Ich entwerfe aber immer bloß hässliche Scheiße.“ (Seite 18, 3. Auflage 2021).

Gewiss, jedem Roman liegt ein Fundament an autobiografischer Wirklichkeit zugrunde, die der Autor formt und gestaltet. Gerade das in den letzten Jahren populär gewordene Genre der Autofiktion lebt von einer solch engen Verschränkung von Leben und Text. Doch niemand käme ernsthaft auf die Idee, den autofiktionalen Büchern von Autoren wie Karl-Ove Knausgard, Édouard Louis oder auch Christian Krachts „Eurotrash“ ihren Werk-Charakter abzusprechen und sie dadurch aus dem Schutzbereich der Kunstfreiheit auszuklammern. Selbst wenn also der Ich-Erzähler in Hoewers Roman weitestgehend deckungsgleich mit dem Autor Hoewer sein sollte, handelte es sich noch immer um Literatur und könnte nicht ohne Weiteres „für bare Münze“ genommen werden.

Partysnacks, Resteessen, Ethnopluralismus

Fragen wirft auch die teils skurrile Auswahl der Textpassagen auf, mit denen das Gericht Hoewer seiner „Verfassungsuntreue“ überführen will. So heißt es in dem Beschluss: „In seinem im Jahr 2021 veröffentlichen Roman (..) lässt der Antragsteller den Erzähler eine angestrebte ethnische Segregation damit erklären, dass Nudeln und Kartoffeln für sich genommen köstlich seien, man sie aber nicht zusammen in einer Pfanne zubereiten möge.“

Was Verfassungsschutz und Gericht hier augenscheinlich außer Acht lassen, ist der Kontext und mögliche Interpretationen. In betreffender Szene befindet sich der Ich-Erzähler alkoholisiert mit einem rechten Aktivistenfreund auf einer WG-Party. Die ganze, auf Seite 34 befindliche Passage, lautet wie folgt:

„Ich durchstöbere die Plastikschale nach den kleinen Paprika-Kängurus und sehe, dass jemand unten in der Schale verschiedene Chips gemischt hat, vermutlich Crunchips und die „Ungarischen“ von FunnyFrisch. Das macht mich sehr wütend, und ich muss daran denken, wie es mal bei uns ein Resteessen gab, als ich ein Kind war, und mein Vater Kartoffeln und Nudeln in einer Pfanne gemischt gebraten hat. Diese fürchterliche Kombination von Konsistenzen hat mir vermutlich ein Trauma verpasst, und ich überlege, ob das so was Ähnliches ist wie dieser Ethnopluralismus, von dem Marc immer spricht, weil ich finde, dass Kartoffeln und Nudeln beide lecker sind, aber nur dann, wenn man sie nicht zusammen in einer Pfanne zubereitet.“

Abgesehen vom derangierten, stets an der Grenze der Zurechnungsfähigkeit kratzenden Zustand des Ich-Erzählers („Essen nervt, dieses Gekaue und so“, S. 16) berücksichtigt das Gericht auch nicht mögliche alternative Deutungsebenen. Denn durch die abwegige Verknüpfung von Chips und einer Kartoffel-Nudelpfanne mit einer rechtsextremen politischen Theorie könnte der Ich-Erzähler besagten „Ethnopluralismus, von dem Marc immer spricht“ genauso gut ins Ironisch-Lächerliche ziehen: nämlich dass die Theorien seines Freundes ebenso banal, unterkomplex und „nährstoffarm“ sind wie Partysnacks und Resteessen.

Auch andere Textpassagen, die das Gericht ins Feld führt, wirken als juristisches Argument zweifelhaft. So werden viele der rassistischen Begriffe („Neger“, „Erdnussköpfe“, „Erdnuss-Louies“) nicht vom Ich-Erzähler selbst, sondern von dritten Charakteren geäußert – teils nur in indirekter wörtlicher Rede ( S. 187).

Ebenso wenig würdigen die Koblenzer Richter, dass der Ich-Erzähler in seinen Gedankengängen durchgehend inkonsistent ist und ein ambivalentes Verhältnis zu seinen rechten Freunden hat. So nennt er die Aktivistengruppen einmal „komische Nazivereine“ (S. 89) und führt im nächsten Satz aus: „Ich benutze das Wort Nazi aber trotzdem gern und meine es eigentlich gar nicht abwertend oder politisch. Es macht vieles einfacher, weil ich auch keinen Überblick mehr darüber habe, wer von all diesen Typen nun Neomonarchist, Konservativer Revolutionär oder Euro-Protofaschist ist oder sonst irgendeine intellektuelle Scheiße als Label für seinen hippen rechten Stuhlkreis führt.“

Entscheidung „verkennt das Wesen der Kunst“

Korrekterweise gilt es zu erwähnen, dass sich die Kammer in ihrer Entscheidung auch ausführlich mit Hoewers politischem Aktivismus und seinen in diesem Kontext veröffentlichen Beiträgen beschäftigt. Möglicherweise reichen diese Aspekte bereits aus, um Hoewer eine „mangelnde Verfassungstreuepflicht“ zu attestieren. Warum sich das Gericht trotzdem auf das Feld der Kunst gewagt hat und sich damit unweigerlich dem Vorwurf des Banausentums aussetzt, ist unklar.

Nachdem Behörden und Gerichte in den vergangenen Monaten bereits mit der teils drakonischen Ahndung von albernen Memes oder dem vergeblichen Verbotsversuch des Compact-Magazins die Frage aufgeworfen haben, wie es um die Meinungs- und Pressefreiheit im Land bestellt ist, taugt die aktuelle Entscheidung des VG Koblenz dazu, die ebenfalls in Artikel 5 des Grundgesetzes verbürgte Kunstfreiheit massiv unter Druck zu setzen. Denn wenn Autoren für ihre fiktionalen Werke fortan haftbar gemacht werden können, droht die sprichwörtliche „Schere im Kopf“ in Zukunft eifrig zu schnibbeln. Auch der PEN Berlin reagierte auf Nachfrage von „Deutschlandfunk Kultur“. Zwar begrüßte die Schriftstellervereinigung den Beschluss dem Ergebnis nach, erklärte aber zugleich: „Die Begründung des Urteils (sic!) verkennt das Wesen der Kunst und steht in einer unguten Tradition, wie sie heute zum Beispiel in Autokratien wie der Türkei oder in Theokratien wie dem Iran gepflegt wird.“

Man könnte schließlich auch das Komische im „Fall Hoewer“ sehen: dass nämlich ein Gericht einem Juristen dessen „mangelnde Verfassungstreue“ bescheinigt und dabei selbst mit einer der zentralen Grundfreiheiten der Verfassung arg stiefmütterlich umgeht, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.

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