Die DDR war aus Ruinen auferstanden. Aufgebaut wurde sie aus Zement und Stahl, Kohle und Kali, Plasten und Elasten. Ohne das „Chemieprogramm“ hätte es wohl kaum einen ernst zu nehmenden eigenen Staat in Ostdeutschland gegeben, jedenfalls nicht 40 Jahre lang. Das hatte seinen Preis für das „Chemiedreieck“ in Sachsen-Anhalt zwischen Bitterfeld, Leuna und Böhlen.

„Diese Schornsteine, die wie Kanonenrohre in den Himmel zielen und ihre Dreckladung Tag für Tag und Nacht für Nacht in den Himmel schießen. Im Sommer wirbelt er durch die Luft, trockener, schwarzer Staub, der dir in die Augen fliegt. Die Einwohner von B. laufen mit zusammengekniffenen Lidern durch die Stadt; du könntest denken, sie lächeln“, erzählt Monika Maron in „Flugasche“, ihrem ersten Roman, Ende der Siebzigerjahre.

„Und diese Dünste, die als Wegweiser dienen könnten. Bitte gehen Sie geradeaus bis zum Ammoniak, dann links bis zur Salpetersäure. Wenn Sie einen stechenden Schmerz in Hals und Bronchien verspüren, kehren Sie um und rufen den Arzt, das war dann Schwefeldioxid.“ Die Flugasche ist heute nicht mehr das Problem in B. Auch Bindehautentzündungen und chronische Bronchitis sind es nicht mehr.

Marons B. war Bitterfeld, hätte aber auch Böhlen oder Buna sein können in Schkopau, wo bald mehrere Betriebe schließen sollen. Der Chemiekonzern Dow aus Amerika plant, seine Anlagen für Chloralkali und Vinyl in Schkopau und für Rohbenzin in Böhlen abzuwickeln. Das wären 550 Arbeitsplätze weniger für die Region. Für Mitteldeutschland, wie sie bei Dow heißt. Das Methylcellulose-Werk in Bitterfeld soll vorerst bleiben.

„Flugasche“ ist die Geschichte von Josefa Nadler, einer jungen Journalistin bei der „Illustrierten Woche“. Sie schreibt eine Reportage über B. Über den Schmutz, die Menschen und die Arbeit – und über die DDR, die ohne die Chemie ein ärmliches Agrarland wäre. Der Text wird behandelt wie ein Sakrileg. Maron schrieb ihn tatsächlich 1974 für die „Wochenpost“ und dann ihren Roman darüber, der im Osten als „Schwarzmalerei“ verboten wurde und im Westen 1981 bei Fischer erschien.

Historisch war „Flugasche“ nie. Als der Union-Verlag ihn 1990 in der untergehenden DDR veröffentlichte, wurde er zum Buch des Ausverkaufs der Industrie in Sachsen-Anhalt und über die Arbeiter dort ohne Arbeit. Zuerst war das Kombinat, in dem alle Betriebe um Leipzig und Halle herum eingegliedert waren, angeblich nicht mehr zu retten. Dann wurde es filetiert und preiswert auf Konzerne wie Dow aufgeteilt.

Auch wenn den Amerikanern nun die Energiekosten zu hoch sind und die Umweltauflagen zu kleinlich: Nichts wäre ohne Chemie. „Chemie gibt Brot – Wohlstand – Schönheit“, jubelten die Werbebanner in der DDR, dem Staat der Arbeiter, über die Monika Maron schrieb: „Und wenn sie nicht wären, müssten es andere sein. Pflanzenschutzmittel, Weichspüler, Kunstdünger. Könnte man nicht wenigstens auf den Weichspüler verzichten?“

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