Einer der großen Broadway-Hits ist derzeit das Theaterstück „Stereophonic“ von David Adjmi, in dem eine 70er-Jahre-Rockband ein Album aufnimmt. Das ist die ganze Handlung, allerdings inklusive der Machtspiele und Rivalitäten, der Drogenexzesse und des Leerlaufs, der Beziehungskonflikte und persönlichen Dramen der Musiker und Produzenten.
Adjmis Stück, das 2024 bei den Tony Awards abräumte und inzwischen auch in London zu sehen ist, basiert auf der Band Fleetwood Mac, deren Arbeit an ihrem legendären „Rumours“-Album von 1977 unter anderem in einem Memoir ihres Toningenieurs Ken Caillat bis ins letzte cringe Detail dokumentiert ist. Der Psychothriller, der sich damals nicht nur zwischen den Ex-Lovern Stevie Nicks und Lindsay Buckingham abspielte, ist längst in die Rockgeschichte eingegangen.
Heute räumt eine Band namens The Velvet Sundown bei Spotify ab, deren Musik entfernt an Fleetwood Mac oder andere Mainstream-Rockhelden der 70er oder 80er von Boston bis REO Speedwagon erinnert, die aber vollständig von Künstlicher Intelligenz hergestellt ist: „Alle Charaktere, Geschichten, Musikstücke, Stimmen und Liedtexte sind originäre Kreationen, die mit Unterstützung von als kreative Werkzeuge eingesetzten KI-Systemen generiert wurden“, so die Kurz-„Biografie“ auf Spotify.
Immerhin ist von „menschlicher kreativer Leitung“ die Rede, wie weit die geht, ist allerdings unklar. „Prompting“ nennt man das Verfassen von möglichst zielführenden Anweisungen an die KI-Maschinen. Hier wurde perfekt gearbeitet, in einer Playlist mit unbekannteren Stücken historischer Bands ist ein einzelner KI-Song kaum zu ermitteln.
Eher schon, wenn man sich am Stück das in kürzester Zeit auf mehrere, einander schon optisch zum Verwechseln ähnliche Alben mit Dutzenden Songs hochgewucherte Gesamtwerk von The Velvet Sundown reinzieht. Dann sieht man sich in einer Dauerschleife ecken-, kanten- und belangloser Softrock-Muzak gefangen: künstliche Penetranz.
Die „Provokation“, die laut – sicherlich ebenfalls KI-generierter – Selbstbeschreibung darin liegt, besteht nicht in der Imitation des Bandcharakters. Seit dem Durchbruch des Formats durch The Beatles, The Rolling Stones oder The Kinks gab es immer wieder Projekte, die die Gruppendynamik lediglich vortäuschten.
Ein berühmtes frühes Beispiel waren The Monkees („I’m a Believer“), damals von der Musikpresse als „Pre Fab Four“ verspottet. In den 70ern gab es Racey; in den 80ern die New Kids on the Block, in den 90ern die Spice Girls uvm. Und ein Damon Albarn von Blur entwarf mit den Gorrilaz höchst erfolgreich eine virtuelle Band aus Comicfiguren um seine Musik herum.
Die Band ist ein kultureller Topos. Spätestens seit der Disco-Ära hat sich das Format von realer Instrumentierung abgekoppelt. Bandmitglieder sind vielmehr Rollen: der stille Bassist, der verrückte Drummer, der/die egomanische Frontmann/frau. Wichtiger als der schon seit Jahrzehnten simulierbare Sound aus Gitarre, Bass, Schlagzeug ist der Mythos der unzertrennlichen Rockgemeinschaft, irgendwo zwischen Blutsbrüdern, Gang und Familienzwist.
Je krasser die Konflikte, desto größer das öffentliche Interesse, siehe die endlose Oasis-Saga. Dass der Höhepunkt einer längst vergangenen Band-Ära in den 70ern nun auf der Theaterbühne gefeiert wird, ist nur konsequent in einer Zeit, in der sich die letzten Reste menschlicher Genialität in schöpferlosem Wohlgefallen auflösen.
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