Eigentlich sollte der EU-China-Gipfel in Brüssel stattfinden und zwei Tage dauern. Immerhin gibt es 50 Jahre diplomatischer Beziehungen zu feiern. Doch nun trifft man sich in Peking. Chinas Staatspräsident Xi Jinping wollte nicht nach Europa kommen.

Außerdem wurde der Ablauf stark zusammengekürzt. Es wird ein zweistündiges Dinner geben, ein Treffen von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Antonio Costa mit Xi Jinping und dann noch eine schnelle Zusammenkunft mit Regierungschef Li Qiang. Der zweite Besuchstag wurde gestrichen. Man konnte sich auf kein gemeinsames Programm einigen.

Die schwierigen Planungen für das Gipfeltreffen sind symptomatisch für das aktuelle Verhältnis: Chinas Beziehungen zur EU sind seit 2021 stark belastet. Damals verhängte Brüssel Sanktionen gegen Pekinger Funktionäre wegen Menschenrechtsverletzungen in der mehrheitlich von Uiguren bewohnten Provinz Xinjiang. China antwortete mit Vergeltungssanktionen.

Seither häufen sich Handelskonflikte. Beide Seiten wissen zwar, dass sie sich als Handelspartner brauchen. Aber das ist kaum mehr als ein Minimalkonsens.

„Die EU wird weder als natürlicher noch als prioritärer Partner gesehen, auch wenn sie ein sehr wichtiger Markt für China bleibt“, schreibt Alice Ekman, Forschungsdirektorin beim EU Institute for Security Studies (EUISS). Vielmehr versuche Peking inzwischen, Allianzen mit starken Partnern im sogenannten Globalen Süden zu schmieden – als Gegengewicht zu Washington.

„Für die EU wird es ein Balanceakt sein, nicht zum Spielball der strategischen Rivalität zwischen den USA und China zu werden“, sagt Gunnar Wiegand. Er war viele Jahre der verantwortliche EU-Spitzenbeamte für die Beziehungen zu China und Asien, heute ist er Gastwissenschaftler beim German Marshall Fund (GMF). Zu Beginn des Jahres hoffte Peking noch, die EU würde nach Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump näher an Peking heranrücken. „Diese Hoffnung hat sich als Illusion erwiesen und wurde nicht erfüllt“, sagt Wiegand.

Seltene Erden als starker Hebel

Die Spannungen haben sich zuletzt sogar noch verschärft. Erst am Montag kritisierte das chinesische Handelsministerium die neuen EU-Sanktionen gegen Russland und ihre angeblich „negativen Auswirkungen“ für Peking. Brüssel hatte erstmals zwei chinesische Banken sanktioniert. Dies stünde „im Gegensatz zu den Vereinbarungen, die zwischen den Anführern Chinas und der EU getroffen wurden“, sagte ein Sprecher.

Der Ton war schon vorher scharf: Erst vor wenigen Wochen hatte von der Leyen China beim G-7-Gipfel in Kanada ein „Muster von Dominanz, Abhängigkeit und Erpressung“ vorgeworfen. Die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, entgegnete kühl, die „Mentalität der EU“ müsse „wieder ins Gleichgewicht gebracht werden“.

Drei Streitpunkte stehen im Vordergrund. Erstens die Exportüberschüsse Chinas im Handel mit der EU, die sich im vergangenen Jahr auf mehr als 300 Milliarden Euro beliefen. Zweitens die strengen Ausfuhrkontrollen für Seltene Erden, die zu 70 Prozent in China abgebaut und zu 91 Prozent dort raffiniert werden. Die komplizierte Exportlizenzierung hat dazu geführt, dass die Ausfuhr Seltener Erden in die USA und die EU alleine im Mai um 80 Prozent zurückgegangen ist.

Drittens die Zölle der EU auf chinesische Elektroautos von bis zu 35 Prozent. In Peking werden diese Strafzölle als europäisches Einknicken vor Washington gewertet. Die chinesische Führung will verhindern, dass sich die EU noch stärker an der harten Linie der USA orientiert und beim anstehenden Gipfel erreichen, dass Europa die Zölle aufhebt. Peking könnte Brüssel dafür beim Handel mit Seltenen Erden und mit einem erleichterten Marktzugang entgegenkommen.

Nach WELT-Informationen plant von der Leyen eine Überraschung. Auch auf Druck Berlins verhandelt die EU-Kommission schon seit Wochen darüber, die in Peking verhassten Zölle wieder aufzuheben, falls chinesische Unternehmen gleichzeitig zu sogenannten Preisverpflichtungen („price undertakings“) bereit sind.

Im Klartext: Die Hersteller von Elektroautos in China würden in diesem Fall die Preise ihrer Autos freiwillig anheben. Für die europäischen Verbraucher würde sich nichts ändern, aber die zusätzlichen Einnahmen flössen nicht mehr wie bisher an die Zollbehörden der EU, sondern an chinesische Unternehmen. Ob alle 27 EU-Länder mitmachen würden, ist offen. Was China angeht, sind die Mitgliedstaaten gespalten.

China will eine russische Niederlage verhindern

Bei dem Gipfel wird es nicht nur um Wirtschaft, sondern auch um Außenpolitik gehen. Neben Taiwan, dem Iran und der Lage in Nahost steht insbesondere die Ukraine im Fokus. Die EU will erreichen, dass China kein Öl mehr in Russland kauft. Außerdem soll die Volksrepublik keine Bauteile mehr aus Europa beziehen, die dann zur Waffenproduktion nach Russland weitergeleitet werden.

China-Experte Wiegand sagt dazu: „Diese Hoffnungen werden sich nicht erfüllen. China lässt sich nichts vorschreiben. Zudem hat China im Rahmen seiner globalen Ambitionen ein strategisches Interesse daran, dass Russland der engste Partner bleibt.“

Kürzlich hatte Außenminister Wang Yi in Brüssel Aufsehen ausgelöst, als er gegenüber der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas anklingen ließ, dass China eine Niederlage Russlands im Ukraine-Krieg verhindern wolle – aus Sorge, dass die USA sich dann vollständig auf China konzentrieren könnten. Diese ungewöhnlich offene Einlassung steht im Widerspruch zu Pekings öffentlicher Selbstinszenierung als neutraler Vermittler.

„Dass China jetzt so deutlich seine Solidarität mit Russland ausdrückt, ist auch eine Reaktion auf Donald Trumps jüngstes Telefongespräch mit Putin“, sagt Abigaël Vasselier, die beim Berliner China-Thinktank Merics das außenpolitische Beobachtungsprogramm leitet. „Trump versucht so etwas wie einen umgekehrten Kissinger-Moment – also einen Keil zwischen Moskau und Peking zu treiben, indem er sich Russland annähert, ähnlich wie Kissinger die UdSSR schwächen wollte, als er offizielle Beziehungen zu China aufnahm.“

Dieser Strategie möchte China zuvorkommen, indem es sein Bündnis zu Russland stärkt. Das Ringen mit den USA ist aus Pekings Sicht auch der Kontext, in den sich das Verhältnis zu Europa einordnet.

„Für die chinesische Führung ist Europa ein Hebel, aber auch ein Puffer im Verhältnis zu Washington“, sagt Vasselier. Wenn die USA sich wirtschaftlich von China abkoppeln würden, wäre Europa ein wirtschaftlicher und technologischer Alternativpartner. Theoretisch könne Peking gegenüber Washington auch mit einer Hinwendung nach Europa drohen. Doch davon sei derzeit nichts zu sehen. „Um sich Europa zuzuwenden, müsste China Europa gegenüber große Zugeständnisse machen. Das hält man in Peking derzeit nicht für nötig. Man glaubt, dass man die Europäer ohnehin schon im Würgegriff hat.“

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