„Getreu unserem anhaltenden Einsatz für einen gerechten und dauerhaften Frieden im Nahen Osten habe ich entschieden, dass Frankreich den Staat Palästina anerkennen wird.“ Mit diesen Worten begründet der französische Präsident Emmanuel Macron seinen aufsehenerregenden Schritt, der bei der UN-Generalversammlung im September offiziell erklärt werden soll. Dass die Entscheidung des Präsidenten historisch ist, steht außer Frage.

Frankreich wird damit die erste westliche Großmacht und die erste westliche Vetomacht im UN-Sicherheitsrat, die einen Staat Palästina anerkennt. Damit wächst einerseits der Druck auf diejenigen, die es nicht tun, andererseits dokumentiert der Schritt die gewachsene Uneinigkeit im Westen und ganz besonders in der EU bei dieser Frage. Zugleich nimmt das internationale Gewicht der Palästinenser signifikant zu. Doch ob Macrons Entscheidung zum Frieden in der Region beiträgt, ist durchaus fraglich.

Mit Frankreich werden es 148 der 193 UN-Mitglieder sein, die Palästina als Staat ansehen. Das bedeutet vor allem, dass diese Länder den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern völkerrechtlich anders bewerten. Denn die Auffassung von Palästina als Staat impliziert, dass die Besetzung von dessen Territorium und militärische Aktionen darauf sowie gegen Palästinenser als Verstoß gegen das zwischenstaatliche Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen aufgefasst werden kann.

Zudem stärkt jede Anerkennung tendenziell die Rechtsstellung der Palästinenser an internationalen Gerichten wie dem Internationalen Gerichtshof (IGH) und dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC). Die Palästinenser haben auch das Rom-Statut unterzeichnet, auf dem die Errichtung des ICC gründet. Und 2021 hat eine Kammer des Gerichts ausdrücklich entschieden, dass der ICC Palästina als Staat ansieht. Doch hier beginnen auch die Widersprüche in der Frage der Bedeutung palästinensischer Staatlichkeit.

Weder der IGH noch der ICC besitzen als solche eine Exekutivgewalt. Sie sind darauf angewiesen, dass Staaten ihre Entscheidungen umsetzen – etwa den Haftbefehl gegen Israels Premier Netanjahu oder jenen gegen Russlands Präsident Wladimir Putin. In beiden Fällen lehnen einige Staaten eine Umsetzung der Beschlüsse ab oder lassen offen, ob sie ihnen folgen. Auch an diesem Beispiel zeigt sich, dass die Statuten des Völkerrechts nicht automatisch die Wirklichkeit der internationalen Beziehungen bestimmen. Ähnlich ist es mit dem Frieden zwischen Israelis und Palästinensern.

Für diejenigen, die Palästina anerkennen, ist de jure das erreicht, was einst als Fernziel einer Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern gesehen wurde: eine Zwei-Staaten-Lösung. Aber allein dadurch, dass viele Länder von der Realität dieses Zustands ausgehen, herrscht noch kein Frieden zwischen den beiden Völkern im Nahen Osten.

In der Realität ist die Umsetzbarkeit jenes Vertragswerks, dass eine Zwei-Staaten-Lösung explizit zum Ziel hat – nämlich der Oslo-Verträge, die Israelis und Palästinenser in den 90er-Jahren schlossen – heute fraglicher denn je. Israelische Siedlungen durchkreuzen die in den Verträgen als Palästinensergebiete festgehaltenen Territorien an so vielen entscheidenden Stellen, dass heute besonders unklar ist, wie ein einheitliches palästinensisches Staatsgebiet zu schaffen ist.

Israels Regierende äußern sich immer klarer gegen eine Zweistaatenlösung und ihre Gegenüber in den Reihen der international anerkannten Palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland haben nach Jahren der Korruption und ohne Wahlen nur noch wenig Rückhalt in ihrer eigenen Bevölkerung. Ob eine palästinensische Regierung auf Basis dieser Behörde einen Frieden mit Israel überhaupt garantieren kann, darf durchaus hinterfragt werden.

Hinzukommt: Nach dem Angriff der islamistischen Palästinensermiliz Hamas am 7. Oktober 2023 und der anschließenden Kriegsführung Israels in Gaza ist das wechselseitige Vertrauen zwischen den Völkern auf einem historischen Tiefstand angelangt. All das sind sehr reale und sehr erhebliche Hürden für einen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern. Keines dieser Probleme wird durch eine Anerkennung Palästinas gelöst.

Israel wendet sich zunehmend vom UN-System ab

Indem sie Palästina als Staat anerkennen, drücken viele Regierungen eine grundsätzliche Ablehnung Israels aus. Doch andere verfolgen damit durchaus eine friedenspolitische Hoffnung. Jahrzehntelang wurde eine Zwei-Staaten-Lösung als Krönung und endgültige Besiegelung eines Friedensprozesses erhofft. Immer mehr Staaten – und nun auch Frankreich – glauben offenbar, dass der umgekehrte Weg funktionieren könnte: eine völkerrechtliche Zweistaatlichkeit als Ausgangspunkt eines Friedensprozesses.

Die Hoffnung dahinter ist, dass Israel auf Dauer seine internationale Isolation abwenden und einen ernsthaften Ausgleich mit den Palästinensern finden wollen wird. Ob das funktionieren kann, lässt sich nicht vorhersagen. In der israelischen Politik sind jedenfalls immer deutlichere Neigungen erkennbar, sich grundsätzlich vom UN-System abzuwenden, das man zunehmend als einseitig antiisraelisch eingestellt wahrnimmt. Ob die Drohung der Isolation diese Entwicklung umkehren und zu einer friedlichen Koexistenz zweier Staaten führen kann, ist ebenfalls ungewiss.

In diesem Punkt enthält Macrons Vorstoß aber womöglich ein unausgesprochenes Angebot an Israel. Denn mit seiner Ankündigung der Anerkennung postete Macron auf X einen Brief an Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Darin teilt er den Palästinensern seinen Entschluss mit, erklärt aber auch, dass Frankreich bei der betreffenden UN-Generalversammlung im September auch ein Gipfeltreffen jener Länder ausrichten werde, die eine Zwei-Staaten-Lösung vorantreiben wollen – und zwar zusammen mit Saudi-Arabien als Mitveranstalter dieses Gipfels.

Das gemeinsame Auftreten mit den Saudis unterstreicht: Wenn Israel wieder einen echten Friedensprozess wagt und seinerseits Palästina als Staat anerkennt, dann ist das wichtigste Hindernis für genau den Friedensschluss beseitigt, den Netanjahu so intensiv anstrebt – jenen mit der islamischen Führungsmacht Saudi-Arabien. Zumindest in der sunnitischen Mehrheit der Muslime sind die Saudis so einflussreich, dass Israel sich mit dieser Versöhnung in weiten Teilen der islamischen Welt zum akzeptablen Partner machen würde.

Derweil vergrößert Macrons Schritt für den Westen und besonders für Deutschland und Europa einige Probleme. Durch eine Anerkennung Palästinas als Staat kann Frankreich nur noch bedingt denselben Ansatz wie etwa Deutschland, Großbritannien und die USA gegenüber den Konfliktparteien verfolgen. Schließlich ist die völkerrechtliche Realität, von der Paris ausgeht, eine andere, als jene in Washington, Berlin und London. Die EU betrifft diese Problematik noch stärker.

Denn der ohnehin schon schwierige Versuch, in Brüssel eine gemeinsame Außenpolitik zu formulieren, kann bei jedem Thema nur dann gelingen, wenn Franzosen und Deutsche an einem Strang ziehen. In Sachen Nahost wird das jetzt noch schwieriger. Anzunehmen ist auch: All jene in der Bundesrepublik, die auch von Berlin eine Anerkennung Palästinas fordern, werden sich jetzt gestärkt fühlen. Diese Stimmen dürften lauter werden in Deutschland.

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