Mal ist es eine Ohrfeige, mitunter erleiden Betroffene aber auch schwere Misshandlungen und Vergewaltigungen: Die Zahl der Straftaten der häuslichen Gewalt erreichte nach Informationen von WELT AM SONNTAG im vergangenen Jahr mit 256.942 Opfern ein neues Allzeithoch. Rein statistisch betrachtet wurde in Deutschland somit etwa alle zwei Minuten ein Mensch von seinem Partner oder Ex-Partner oder einem nahen Verwandten misshandelt.

Der Anstieg gegenüber dem Vorjahr lag bei rund 3,7 Prozent. In den vergangenen fünf Jahren nahm häusliche Gewalt um fast 14 Prozent zu. 

Nach der Definition des Bundeskriminalamtes (BKA) beinhaltet häusliche Gewalt alle Formen körperlicher, sexueller und psychischer Gewalt zwischen Familienmitgliedern sowie zwischen Partnern und Ex-Partnern. Das Familien- und das Bundesinnenministerium wollen nach der Sommerpause das jährliche Lagebild mit den Daten aus 2024 vorstellen. Die Zahlen liegen WELT AM SONNTAG bereits jetzt vor, sie lassen sich durch eine Auswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) herleiten.

Im Teilbereich der sogenannten Partnerschaftsgewalt erfasste das BKA 2024 171.069 Opfer (plus 1,9 Prozent). Bei der Teilmenge der innerfamiliären Gewalt registrierte das BKA nunmehr 94.873 Betroffene (plus 7,3 Prozent). Rund 73 Prozent der Opfer häuslicher Gewalt sind Frauen. Bei der partnerschaftlichen Gewalt sind es fast 80 Prozent. Mehr als die Hälfte aller Taten sind einfache oder gefährliche Körperverletzungen. Etwa ein Viertel entfällt auf Bedrohungen, Nötigungen oder Stalking. Gut vier Prozent wurden Opfer von Sexualstraftaten.

Angesichts aufsehenerregender Taten, die sich in der Öffentlichkeit ereignen, wird häusliche Gewalt oft unterschätzt. Experten verweisen darauf, dass etwa jedes vierte Opfer nicht von Außenstehenden, sondern von (Ex-)Partnern oder Mitgliedern der eigenen Familie malträtiert wird. Etwa drei Viertel der Tatverdächtigen sind laut Statistik Männer. Knapp 70 Prozent haben die deutsche Staatsangehörigkeit. 

Familienministerium sieht „Meilenstein“

Das Familienministerium teilte auf Anfrage mit, der Anstieg häuslicher Gewalt könne auf eine Zunahme der Gewaltbereitschaft „im Lichte gesellschaftlicher Krisen und persönlicher Herausforderungen“ zurückzuführen sein. Möglich sei aber auch eine gewachsene Anzeigebereitschaft und eine Verschiebung vom Dunkel- ins Hellfeld. Die Bundesregierung wolle die Prävention stärken, um „insbesondere Frauen besser vor Gewalt zu schützen“. Eine Sprecherin des Hauses von Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) verwies auf die – noch von der Ampel-Regierung unter Priens Vorgängerin Lisa Paus (Grüne) – im Dezember beschlossene Gewaltschutzstrategie.

Mit dem im Februar verabschiedeten Gewalthilfegesetz sei zudem parteiübergreifend ein „Meilenstein“ erreicht worden. Von Gewalt betroffene Frauen erhalten damit erstmalig einen Rechtsanspruch auf Beratung und Schutz, etwa einen verbindlichen Platz in einem Frauenhaus. Der Rechtsanspruch gilt aber erst ab 2032. Die Bundesländer sollen für den Ausbau von Beratungs- und Schutzeinrichtungen 2,6 Milliarden Euro erhalten. Eine Sprecherin des Familienministeriums verwies zudem auf Verabredungen des Koalitionsvertrages.

Die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Jasmina Hostert, nannte die Zunahme der häuslichen Gewalt „dramatisch“. Die SPD fordere die Ratifizierung und vollständige Anwendung der Istanbul-Konvention in allen EU-Mitgliedstaaten.  Die Istanbul-Konvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag, mit dem auch Deutschland sich verpflichtete, zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen festgeschriebene Maßnahmen umzusetzen. „Notwendig sind auch effektive aus EU-Mitteln geförderte Maßnahmen zur Prävention ebenso wie groß angelegte Kampagnen und Bildungsarbeit“, sagte Hostert.

Die Grünen betonten, bei Gewalt gegen Frauen handele es sich nicht um „Familiendramen“, sondern um „patriarchale Gewalt“. „Es braucht mehr Präventions- und Täterarbeit, schnelle Verfahren, verpflichtende Schulungen von Polizei und Justiz“, sagte die frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Ulle Schauws. Die Linke forderte Reformen beim Sorge- und Umgangsrecht. „Denn häufig nutzen gewalttätige Ex-Partner das Sorge- oder Umgangsrecht, um weiter Kontrolle über ihre Ex-Partnerinnen auszuüben“, sagte die frauenpolitische Sprecherin der Linken, Kathrin Gebel.  

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