Auf den leeren Straßen von Forest City steht die tropische Hitze, Palmen werfen Schatten auf den Asphalt. Wachmänner stehen untätig an den Einfahrten, in menschenleeren Supermärkten brummen Ventilatoren. In einer riesigen, lichtdurchfluteten Halle steht ein gigantisches Modell der Stadt – so, wie sie einmal aussehen sollte.
Forest City sollte Chinas „grünes Paradies“ in Malaysia werden. Heute gilt das einstige Prestigeprojekt vielen als gescheitert – leere Straßen, brachliegende Häfen, enttäuschte Hoffnungen. Doch es ist gleichzeitig ein Paradebeispiel für die leise Evolution der Belt and Road Initiative (BRI), die Peking seit einigen Jahren vollzieht: Statt mit monumentalen Bauvorhaben und glitzernden Metropolen Schlagzeilen zu machen, setzt China zunehmend auf subtilere Mittel der Einflussnahme. Ein Strategiewechsel, der auch Risiken birgt.
Nur 30 Minuten von der malaysischen Großstadt Johor Bahru entfernt mit Blick auf Singapur wurde Forest City auf einer künstlichen Insel gebaut, die einst ein ökologisch sensibles Seegrasbett war. Hier, wo Apartments teurer sind als in Johor, aber günstiger als in Singapur, sollte eine futuristische Smart City auf vier künstlichen Inseln für 700.000 Einwohner entstehen.
20 Milliarden Malaysische Ringgit (etwa 4,3 Milliarden US-Dollar) pumpte das malaysisch-chinesische Joint Venture Country Garden Pacificview ab 2016 in das Projekt. Bis September 2023 wurden laut Country Garden 28.000 Wohneinheiten fertiggestellt, von denen über 80 Prozent an Käufer aus mindestens 30 Ländern verkauft wurden. Heute leben hier laut offiziellen Angaben weniger als 10.000 Menschen.
Eine Verkaufsagentin vor Ort, die nicht namentlich genannt werden will, spricht von 16.000 Bewohnern, aber Experten halten diese Zahl für überhöht. „Mehr als 100 Shops sind geöffnet, wir haben Schulen, Supermärkte, Sportplätze“, zählt die Agentin auf. Doch die Läden sind leer, der Golfplatz still, und selbst der Zollbeamte am Übergang zur zollfreien Zone winkt nur müde durch.
„Forest City wurde in den Folgejahren oft als Geisterstadt bezeichnet, was viele Investoren abschreckte“, sagt Samuel Tan, CEO von Olive Tree Property Consultants. Tan ist kein Berater des Projekts, gilt aber als erfahrener Marktkenner in Süd-Johor und wird von Medien regelmäßig zu Forest City zitiert. Die Ursachen für den enttäuschenden Start sieht Tan vor allem in äußeren Faktoren.
„Die Pandemie und die chinesischen Kapitalverkehrskontrollen waren die größten Hindernisse. Damit kam der Zustrom an Investoren zum Erliegen – und es dauert lange, so etwas wieder aufzubauen.“ Peking hatte in den Jahren nach 2016 strengere Regeln für Kapitalabflüsse ins Ausland eingeführt, um die eigene Währung zu stabilisieren und exzessive Spekulationen im Ausland zu verhindern. Das bremste auch chinesische Immobilienkäufe in Malaysia deutlich.
Hinzu kam die wachsende Skepsis in der Bevölkerung. Viele sahen Forest City als chinesische Enklave, die Jobs und Land für Einheimische verknappt. Dass die Stadt nach wie vor kaum ausgelastet ist, erklärt Tan so: „60 Prozent der Einheiten wurden von Festlandchinesen gekauft – als Ferienwohnungen. Die leben nicht hier, sie nutzen die Wohnungen nur gelegentlich.“
Trotzdem sieht Tan für Forest City noch Chancen. „In den vergangenen zwölf Monaten hat sich eine Wende angedeutet“, sagt er. Mit dem neuen Status als zollfreie Insel, der geplanten Entwicklung zu einem Finanzzentrum und der Einbindung in die Johor-Singapur-Sonderwirtschaftszone könne das Projekt neuen Schwung bekommen und langfristig doch noch an Bedeutung gewinnen.
Alles verwittert und vergilbt
Der Wind pfeift über das brachliegende Gelände, Krähen krächzen ihr Lied in den grauen Himmel. Melaka Gateway wirkt wie eine verlassene Filmkulisse: Auf einem verwitterten Plakat wird noch immer das geplante Kreuzfahrtterminal beworben, das nie gebaut wurde. Daneben ein arabisch angehauchtes Shoppingcenter mit leer stehenden Läden, die Fassaden der leeren Cafés rund um das Gelände vergilben in der Sonne.
Hier sollte einst Chinas maritimes Tor nach Südostasien entstehen. Die Lage an der Straße von Malakka schien perfekt: Mehr als 80 Prozent der chinesischen Öleinfuhren passieren diese Meerenge, die als kritische Schwachstelle in Chinas globaler Handels- und Energieleitlinie gilt. Ein Tiefseehafen unter chinesischem Einfluss hätte diese Abhängigkeit ein Stück weit abgesichert.
Neben dem Hafen sollte ein „Eye Theme Park“ mit Riesenrad, Shops, 6D-Kino und Ausstellungshallen entstehen. Dies versprach der Projektplan von Kaj Development, der lokalen Firma, die den Auftrag erhielt und einen chinesischen Baupartner an Bord holte. Doch nach Streitigkeiten über Preise brachen die Arbeiten ab. Geplant waren vier künstliche Inseln mit jeweils touristischem, gewerblichem, industriellem und maritimem Schwerpunkt — gebaut ist bis heute nur eine, und selbst die liegt brach. Die Frist für die Fertigstellung läuft im August 2025 ab.
Die anhaltende politische Unterstützung für das Projekt erklären Beobachter auch mit den Eigentümerstrukturen: Laut dem unabhängigen malaysischen Nachrichtenportal „Malaysiakini“ stieg Sultan Ibrahim von Johor mit einem Anteil von 30 Prozent als zweitgrößter Gesellschafter bei der Projektgesellschaft KAJ Development ein.
„Melaka Gateway hat uns international ein schlechtes Image eingebracht“, sagt der örtliche Abgeordnete Khoo Poay Tiong. Er kritisiert nicht nur das Missmanagement der privaten Betreiber, sondern auch die umstrittene Landgewinnung. Eigentlich sollten 750 Meter Abstand zwischen Festland und Insel eingehalten werden, tatsächlich sind es nur 50 Meter. „Wir haben viele lokale Immobilienentwickler, die nur Land aufschütten, um schnell Geld zu machen und dann wieder verschwinden. Die Frage bleibt: für wen? Die Menschen hier profitieren davon nicht.“
Besonders drastisch spüren das die Fischer von Melaka. „Früher haben wir jeden Tag Krabben, Garnelen und Fisch in Hülle und Fülle gefangen“, erinnert sich Martin Theseira von der portugiesisch-eurasischen Gemeinde. Er steht am Ufer seines ehemaligen Fanggebiets, die alten Fischerboote liegen unberührt neben ihm.
„Heute müssen wir den Fisch von außerhalb importieren, obwohl wir am Meer wohnen. Der, den wir hier noch fangen, ist nicht mehr genießbar – das Wasser ist zu verschmutzt.“ Einst wanderte der berühmte Grago-Krill jedes Jahr an die örtliche Küste, um zu laichen. „Doch jetzt bleibt er aus. Viele Fischer haben ihre Boote aufgegeben.“
Am Beispiel Malaysias zeigt sich exemplarisch, wie Peking seine Belt and Road Initiative, die in mehr als 150 Ländern aktiv ist, angepasst hat. Die Anfangsphase der BRI von 2013 bis 2018 war geprägt von gigantischen Bauprojekten – oft politisch umstritten, häufig schuldenlastig, mit wechselhaftem Erfolg. Seit 2018, und vor allem nach der Pandemie, setzt China verstärkt auf subtilere, langfristige Formen der Einflussnahme: mit Technologiepartnerschaften, Investitionen in digitale Infrastruktur, oder Bildungseinrichtungen wie der Xiamen University Malaysia.
Ein Beispiel dafür ist digitale Präsenz. Huawei liefert große Teile der 5G-Infrastruktur, Alibaba dominiert den Cloud-Markt mit einem Anteil von rund 40 Prozent, und Malaysias führendes E-Wallet „Touch’n Go“ basiert technisch auf Alipay. Hinzu kommt: Rund 35 Prozent der malaysischen Bevölkerung sind ethnische Chinesen, die traditionell enge kulturelle und wirtschaftliche Bindungen an China haben. Diese Nähe spiegelt sich in „Soft Power“-Projekten wie der Xiamen University Malaysia wider – der ersten chinesischen Übersee-Universität.
„China hat aus den Fehlschlägen gelernt“, sagt Dr. Tham Siew Yean, Visiting Senior Fellow am ISEAS – Yusof Ishak Institute in Singapur. „Statt riesiger Hafenprojekte und Immobilienblöcke sehen wir jetzt einen Wandel zu kleineren, grünen und digitalen Vorhaben – strategisch in allen Sektoren verankert, aber weniger sichtbar.“
Ganz ohne Erfolge sind aber auch die Großprojekte der Belt and Road Initiative nicht. Der Bau der East Coast Rail Link, die das Land von Kuantan am Südchinesischen Meer über die Ostküste mit Port Klang mit einer Zugstrecke verbindet und dabei geschickt Singapur umgeht, schreitet voran und soll 2027 fertiggestellt sein.
In Kuantan betreibt China zudem bereits einen gemeinsamen Industriepark und einen ausgebauten Hafen. Auch Gas-Pipelines zwischen Ost- und Westküste sowie der geplante Hochgeschwindigkeitszug von Johor Bahru nach Kuala Lumpur zählen zu den Vorzeigeprojekten der chinesisch-malaysischen Kooperation.
Chinas Einfluss ist leiser, aber systemischer geworden
Von einer einseitigen Abhängigkeit Malaysias gegenüber China kann dennoch keine Rede sein. Malaysias Wirtschaft ist breit aufgestellt und stark in globale Lieferketten eingebunden. Das Land ist einer der größten Exporteure von Elektronik, Palmöl und Flüssiggas weltweit und pflegt enge Handelsbeziehungen mit Partnern wie den USA, Singapur, Japan und der EU. Diese Diversifizierung ermöglicht Kuala Lumpur, chinesische Projekte selektiv und zu seinen Bedingungen zu nutzen, ohne sich ihnen auszuliefern.
Die Regierung muss außerdem Rücksicht auf die mehrheitlich malaiische Bevölkerung nehmen, die den wachsenden Einfluss Pekings skeptisch sieht. Auch die malaysische Innenpolitik hat Einfluss auf Chinas Vorhaben im Land: Während die Regierung unter Najib Razak (bis 2018) stark auf chinesische Megaprojekte setzte und als klar prochinesisch galt, bremsten seine Nachfolger die größten chinesischen Vorhaben aus, um die finanzielle und politische Unabhängigkeit Malaysias zu wahren. Auch deshalb setzt China nun verstärkt auf subtilere Formen der Einflussnahme.
Christina zur Nedden ist China- und Asienkorrespondentin. Seit 2020 berichtet sie im Auftrag von WELT aus Ost- und Südostasien.
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