Die Grünen diskutieren über Umverteilung. „Da kommt viel zusammen bei dem, was ich an Umverteilung im Kopf habe“, sagte Parteichef Felix Banaszak jüngst auf einer „Bier mit Banaszak“-Veranstaltung laut der „Zeit“. Seine Co-Vorsitzende Franziska Brantner vermeidet das Wort lieber und spricht von „Gerechtigkeitslücken“, die es etwa bei der Besteuerung von Erbschaften zu schließen gelte. Doch nicht nur die Begriffe sind umstritten, es gibt auch verschiedene Vorstellungen, wozu die Umverteilung überhaupt dienen soll: dem Umbau der Republik Richtung CO₂-Neutralität? Der Bewältigung der Kriegsfolgen? Der Eindämmung von Chancenungleichheit?
Der Parteitag im November wird Aufschluss geben, worauf Realos wie Brantner und Parteilinke wie Banaszak sich verständigen können. Was jetzt schon klar ist: Gerade die neuen Grünen-Ideen, wer wie die Klima-Transformation bezahlen soll, sehen Ökonomen skeptisch. Banaszak will hier etwa „die Gas- und Ölwirtschaft stärker“ an den Kosten für Klima-Anpassungsmaßnahmen beteiligen. Ihm schwebt ein Klima-Anpassungsfonds vor, in den Unternehmen einzahlen, die von der „Zerstörung des Klimas profitiert haben“, wie er der „Süddeutschen Zeitung“ sagte. Zugleich brachte er auch einen „Klima-Soli für Leute mit extrem hohen Einkommen oder Vermögen“ ins Spiel. Die Grünen-Fraktionsspitze fordert einen „Klimaschäden-Hilfsfonds – finanziert durch Übergewinnsteuern oder Abgaben auf fossile Börsengeschäfte“.
Der Co-Chef der Berliner Grünen, Philmon Ghirmai, sagt WELT: „Die großen fossilen Industrien, die jedes Jahr Milliarden umsetzen, sowie Multimillionäre, die mit Privatflugzeugen und Yachten am meisten CO₂ ausstoßen, werden beim ökologischen Umbau unserer Wirtschaft und dem Ausbau erneuerbarer Energien ihren gerechten Beitrag leisten müssen.“ „Superreiche“ etwa, so Ghirmai, sollten einen „Klima-Soli“ zahlen, um finanz- und emissionsschwächere Haushalte zu entlasten. Oder Coretta Storz, die grüne Co-Chefin in Sachsen. Sie bringt auf WELT-Anfrage eine „einmalige Vermögensabgabe oder eine Reform der Erbschaftsteuer“ ins Spiel. Der Zweck: Die Grünen wollten „sicherstellen, dass die ökologische Wende nicht zum nächsten Strukturbruch für Menschen in Ostdeutschland wird“.
Was auffällt: Zwar werden auch innovative Konzepte ins Spiel gebracht, etwa der von Storz vorgeschlagene „ökologische Finanzausgleich“. „Wer Infrastruktur für die Energiewende bereitstellt, muss auch davon profitieren – etwa durch Einnahmen für kommunale Haushalte aus dem Windrad am Ortsrand“, erklärt sie. Doch der eigentlich in der Klimaökonomik zentrale Begriff „CO₂-Bepreisung“ fällt eher weniger bei den Grünen in diesen Tagen. Wenn jedes Jahr Emissionen mehr kosten, regelt der Markt innerhalb dieses einmal definierten Rahmens den Anreiz zu sinkenden Emissionen und mehr grünen Innovation, so die Idee des Bepreisungsmechanismus, die bislang keine Bundesregierung konsequent umgesetzt hat.
„In den letzten Jahren haben wir in Deutschland wirklich so ziemlich alles falsch gemacht, was wir falsch machen konnten“, so Reint Gropp, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung. „Statt über Preise haben wir, vorangetrieben von Grünen und SPD, über Verbote operiert.“
Der Freiburger Volkswirt Tim Krieger, Experte für Ordnungs- und Wettbewerbspolitik, betont: Ein steigender CO₂-Preis wäre angesichts der Herausforderung der Umbau-Förderung und -Finanzierung „nicht nur das effizienteste, sondern auch das robusteste Finanzierungsinstrument. Aus politischer Sicht ist es allerdings weniger reizvoll, weil es keinerlei politische Aktivität benötigt, eher das Gegenteil.“
„Historische Erblast aus 200 Jahren fossiler Wirtschaft“
Aber den Grünen geht es offenbar eher darum, Verantwortliche zu benennen, die haftbar gemacht werden müssten. So spricht etwa der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Andreas Audretsch, gegenüber WELT von „Öl- und Gaskonzernen“, die „kaum Verantwortung“ übernehmen „für die Kosten, die durch Umweltzerstörung und Klima-Folgen entstehen“. Audretsch fordert: „Wer profitiert hat, muss sich auch an den Folgekosten beteiligen – das nennt sich Verursacherprinzip. Ein marktwirtschaftliches Prinzip, das für mehr Fairness sorgt.“
Fast wortgleich argumentiert sein Parteichef Banaszak: „Öl- und Gaskonzerne mit fossilen Geschäftsmodellen und immensen Gewinnen“ müssten zur „Verantwortung gezogen werden“ – das nenne sich „Verursacherprinzip, ein marktwirtschaftliches Instrument“.
Woher diese Rhetorik rühren könnte, darauf gibt Stefan Bach Hinweise, Ökonom am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW. Er forscht und berät seit Jahrzehnten zu Vermögensverteilung und Vermögensteuern. Er erkennt in der letzten Zeit „neue Narrative“ in der Vermögensbesteuerungsdebatte, dazu zählt auch die Vorstellung einer „historischen Erblast aus 200 Jahren fossiler Wirtschaft“.
Bach verweist dazu auf ein Greenpeace-Papier aus dem Jahr 2024. Es klingt ähnlich wie die zitierten Grünen-Sätze. Die „heute vorhandenen Vermögen“, steht dort, „wurden zu einem ganz erheblichen Teil in Zeiten aufgebaut, in denen ökologische Schäden, etwa durch kohlenstoffintensive Wirtschaftsweisen, nicht berücksichtigt wurden“. Die Vermögen enthielten also „gewissermaßen hohe ‚implizite Klimaschulden‘“. Ergo: „Das Verursacherprinzip – ein zentrales Prinzip der Steuergerechtigkeit – wird somit derzeit nicht auf Vermögen angewendet.“
Dass Vermögen auf Kosten der Umwelt angehäuft worden sind, wird niemand bestreiten. Nur ob sich daraus sinnvolle Politik ableiten lässt, ist fraglich.
Der hallische Ökonom Gropp sagt: „Bei Ansätzen, in denen man ‚böse‘ Emittenten zusätzlich bestrafen will, verkennt man, dass gerade Großverbrauchern durch CO₂-Bepreisung starke Anreize zur Innovation und CO₂-Vermeidung gesetzt werden können.“ Wenn einer viel Geld damit verdiene, dass er viel CO₂ ausstößt, so Gropp, beteilige man ihn an den Kosten für Transformation und Präventionsmaßnahmen – das meint etwa Klima-Anpassung – „am besten durch die CO₂-Steuer. Das ist viel effizienter, als komplizierte, bürokratielastige ‚Übergewinnsteuern‘ oder Zusatzabgaben zu konzipieren.“
„Kalte Enteignung“ nur „in absoluten Notsituationen“
Was aber wäre mit einer einmaligen Vermögensabgabe? Der grüne Abgeordnete Anton Hofreiter aus dem linken Parteiflügel schlägt eine solche Abgabe auch vor, um die „die Folgen von Putins Krieg“ wie gestiegene Energiepreise zu bewältigen oder um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und „massiv in eine unabhängige Energieversorgung zu investieren“. Sein Vorbild: der frühere Unions-Bundeskanzler Konrad Adenauer und dessen „Lastenausgleich“ genannte Vermögensabgabe, „um Geflüchteten und Kriegsopfern den Neuanfang zu ermöglichen“.
Das Instrument birgt aber massive Legitimations-Probleme, auf die DIW-Ökonom Bach verweist: Eine solche „kalte Enteignung“ ließe sich nur „in absoluten Notsituationen rechtfertigen – sowohl verfassungsrechtlich als auch politisch. Es gibt nur breite Akzeptanz dafür, wenn das Elend groß ist.“ Dies sei, „glücklicherweise“, nicht der Fall, so Bach.
Weit in der grünen Partei verbreitet ist indes die Grundüberzeugung, es müsse schon aus Gerechtigkeitsgründen mit einem Instrumentenmix gegen die ungleiche Vermögensverteilung vorgegangen werden. So ist man sich etwa von der Realo-Parteichefin Brantner bis zum links stehenden Bundestags-Fraktionsvize Audretsch einig, dass bei der Besteuerung von Erbschaften Verbesserungsbedarf bestehe.„Deutschland entwickelt sich zunehmend zu einer Erbengesellschaft. Entscheidend ist dann nicht mehr, wer sich anstrengt, sondern wie reich die Familie ist, aus der man stammt“, so Audretsch.
Und teils gibt es auch große Bereitschaft für weitgehende Vorstöße jenseits der Erbschaftsteuer von ungewohnter Seite, wenn es um das Motiv der „Gerechtigkeit“ geht. So zeigt sich etwa ein Realo wie der Bundestagshaushälter Sebastian Schäfer aus dem Realo-Stammland Baden-Württemberg nun offen für eine Vermögensbesteuerung.
Die Klammer bei Schäfer ist die „Generationengerechtigkeit“, wegen derer er Haushaltspolitiker bei den Grünen sei. „Die soziale Aufwärtsmobilität ist in diesem Land erheblich eingeschränkt. Wir müssen über echte Chancen für alle reden und deshalb auch über Umverteilung diskutieren“, so Schäfer. Die Vermögensverteilung in Deutschland sei eine Quelle der vielfach empfundenen Ungerechtigkeit. Die Besteuerung von Vermögen könne hier „eine Option“ sein.
„Gleichzeitig“, so Schäfer, „können wir Kapitalbildung für alle fördern und so auch die Transformation voranbringen, wenn das Geld klug investiert wird.“ Generationengerechtigkeit heiße andererseits aber auch, „über echte Reformen der Sozialversicherungssysteme nachzudenken“. Bei letzterem, wenn das etwa ein späteres Renteneintrittsalter bedeuten sollte, wird sich die Parteilinke noch bewegen müssen.
Wobei auch eine Vermögensbesteuerung bislang dem Vernehmen nach im Realo-Lager keineswegs auf allgemeine Zustimmung trifft – wegen der bekannten Gegenargumente. „Eine neue Vermögensteuer wird insbesondere die größeren Mittelständler treffen“, sagt DIW-Ökonom Bach. „Das würde die geplante Unternehmensteuersenkung ins Gegenteil verkehren und diese Unternehmen per Saldo noch stärker belasten. Internationale Unternehmen, die hier investieren, wären von einer privaten Vermögensteuer dagegen gar nicht betroffen.“
Jan Alexander Casper berichtet für WELT über die Grünen und gesellschaftspolitische Themen.
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