Bei Lieferando häufen sich die Arbeitskämpfe. In vielen Städten demonstrieren die Beschäftigten gegen Massenentlassungen und für bessere Arbeitsbedingungen. Was sind die Probleme beim Lieferdienst?
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) hat die Beschäftigten des größten deutschen Lieferdienstes Lieferando zum Streik aufgerufen. 72 Stunden sollen sie am Standort in Dortmund in den Ausstand treten - so lange wie noch nie. Zum Auftakt des Streiks fand eine große Demonstration der Gewerkschaften und Arbeitnehmer statt.
Wo wird überall gestreikt?
Neben dem Streik in Dortmund sollen laut der NGG heute auch die Beschäftigten in Bielefeld, Osnabrück und Münster ihre Arbeit niederlegen. Zuletzt hatte es bereits Arbeitskämpfe in Hamburg und in Frankfurt am Main gegeben. Auch in den kommenden Monaten sei bundesweit mit Warnstreiks zu rechnen.
Warum hat die NGG zum Streik aufgerufen?
Die Gewerkschaft begründet den Warnstreik damit, dass sich Lieferandos Mutterkonzern Just Eat Takeaway nach wie vor weigert, mit der NGG in Verhandlungen über einen Tarifvertrag einzutreten. "Seit über zwei Jahren stellt sich Lieferando taub. Gerade nach der hohen Inflation der letzten Jahre ist ein Tarifvertrag mehr als überfällig", sagt Samir Boudih, NGG-Gewerkschaftssekretär aus der Region Dortmund.
Von einem Tarifvertrag könnten rund 9.000 Beschäftigte von Lieferando profitieren. Konkret fordert die Gewerkschaft beispielsweise 15 Euro Mindestlohn, Versicherungsschutz und Nacht- und Kilometerzuschläge.
Gibt es weitere Forderungen?
Neben den Forderungen nach einem Tarifvertrag soll mit dem Streik auch gegen die zum Jahresende geplante Entlassung von 2.000 Mitarbeitern protestiert werden. Hintergrund dieser Kündigungen ist laut dem Unternehmen eine Umstrukturierung, nach der künftig bei der Auslieferung stärker mit lokalen Drittfirmen zusammengearbeitet werden soll. Dabei sei eine Reduzierung der eigenen Flotte um rund 20 Prozent geplant. Die von Entlassungen betroffenen Fahrer würden "mit einem Sozialplan unterstützt", hieß es weiter.
Die NGG fordert angesichts der angekündigten Entlassungen einen Sozialtarifvertrag, um einen Interessenausgleich zwischen dem Arbeitgeber und Betriebsrat für die betroffenen Beschäftigten zu verhandeln. An nur wenigen der insgesamt 34 betroffenen Lieferando-Standorte gibt es bislang einen Betriebsrat, und nur dort können Sozialplanverhandlungen nach den gesetzlichen Vorgaben geführt werden. In der Mehrzahl der Städte fehlen jedoch entsprechende Gremien und damit auch die Möglichkeit, betriebsinterne Regelungen zum Umgang mit den Entlassungen zu verhandeln.
Die NGG fordert deshalb einen flächendeckenden Sozialtarifvertrag, um sicherzustellen, dass alle betroffenen Beschäftigten sozial abgesichert werden - unabhängig vom Vorhandensein eines Betriebsrats. "Mit einem Sozialtarifvertrag wollen wir verhindern, dass die Beschäftigten zum Opfer dubioser Schattenflotten und Vermittler werden", so Mark Baumeister, NGG-Referatsleiter Gastgewerbe.
Was ist die sogenannte Schattenflotte?
Die Gewerkschaft NGG kritisiert seit längerem, dass das Kuriergeschäft von Lieferando zunehmend an Subunternehmer ausgelagert wird. Diese Zusammenarbeit mit Subunternehmern soll mit der geplanten Entlassung von 2.000 Mitarbeitern weiter vorangetrieben werden.
Die Kritik der NGG daran ist, dass festangestellte Mitarbeiter des Lieferdienstes gekündigt und dann von Subunternehmern zu schlechteren Konditionen wieder angestellt werden. Die Gewerkschaft fordert deshalb von Lieferando, die Vergabe von Kurierdienstleistungen zu stoppen.
Lieferando selbst bezeichnete die Darstellung der NGG gegenüber dem hr als "irreführend". Spezialisierte Logistikdienstleister seien in Deutschland zulässig und in der Branche längst Standard.
Wie sind die Arbeitsbedingungen bei Lieferdiensten?
Immer wieder gab es in der Vergangenheit Berichte über schlechte Arbeitsbedingungen bei Lieferdiensten wie Lieferando, etwa wegen durchgehender Überwachung oder fragwürdiger Bonussysteme.
Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt außerdem: Lieferservice-Jobs dauern selten länger als ein Jahr, wobei die Mehrheit der Beschäftigten selbst kündigt. In der repräsentativen Umfrage des IAB gaben 60 Prozent der Menschen, die ihren Job kündigten, an, dass dieser sei sowieso nur als vorübergehende Tätigkeit geplant gewesen. 44 Prozent nannten auch die geringe Bezahlung, 41 Prozent "unangenehme" Arbeitsbedingungen als Grund.
Aber auch Kündigungen durch den Arbeitgeber kommen häufiger vor als bei Hilfsarbeitskräften allgemein. So werden Lieferdienst-Mitarbeiter nach eigenen Angaben vergleichsweise häufig wegen krankheitsbedingten Fehlzeiten entlassen, oder weil der Arbeitgeber mit der Arbeit unzufrieden ist. Das ist nach Ansicht der Studienautoren ein Anzeichen für den hohen Leistungsdruck in der Branche.
Mit Informationen von Lilli-Marie Hiltscher, ARD-Finanzredaktion.
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