Der Landwirt ist übermüdet, als er bei einem Filterkaffee zum Gespräch bittet. Bis spät in die Nacht hat Juan-Jacques Rosenleft gearbeitet. Hunderte Kartons mit Orangen wurden gestapelt, etikettiert, auf Lastwagen verladen. Es war der letzte Tag, an dem die Ware zu den aktuellen Zöllen auf den Weg in die USA geschickt werden konnte: 10 Prozent.
Ab dem 1. August werden 30 Prozent für die meisten südafrikanischen Produkte fällig, einer der höchsten Sätze für den US-Markt weltweit. Es ist der Stichtag, ab dem Citrusdal um die Zukunft kämpft.
Die Kleinstadt lebt vom Export. Ihre Farmen in einem abgeschiedenen Tal am Westkap produzieren mehrheitlich für Übersee – ein Drittel der Kisten geht nach Amerika, für das eigens gezüchtete Orangensorten angebaut werden. Die milden Winter, das klare Wasser aus den Bergen, die Erfahrung von Generationen: All das macht den Ort zu einem Zentrum der Zitruswirtschaft, in der Südafrika der weltweit zweitgrößte Produzent nach Spanien ist.
Und zu einem Ort, in dem nun ausgerechnet die Existenz der Volksgruppe auf dem Spiel steht, als deren Retter sich US-Präsident Donald Trump zuletzt aufspielte. Die der weißen Bauern, der Buren, denen er wegen diskriminierender Gesetze Asyl angeboten hat, und die er fälschlicherweise als Opfer eines Genozids bezeichnete.
Einige Dutzend der Nachfahren früher europäischer Siedler sind im April in die USA geflogen worden. Mehr als 67.000 haben Interesse an dem Programm bekundet. Auch fast alle Farmer in Citrusdal sind Buren, darunter Rosenleft, der Manager der Bergendal-Farm, mit rund 600 Angestellten einer der größten Arbeitgeber der Stadt.
„Wenn die Zölle bis ins nächste Jahr fortbestehen, rechnen wir mit einem Verlust von bis zu 800 Millionen Rand für unseren Ort“, sagt Rosenleft – rund 40 Millionen Euro, ein Viertel weniger Einnahmen. Anders ausgedrückt: eine Katastrophe. Es ist kein Ort mit vielen Alternativen. Fast 80 Prozent der Menschen leben von der Landwirtschaft.
„Wenn wir Kapazitäten abbauen müssen, leidet die ganze Region“, sagt Rosenleft. „Und irgendwann auch die Sicherheit.“ Denn: Die Wut der entlassenen Arbeiter werde sich nicht gegen die größte Regierungspartei, den African National Congress (ANC), richten oder gegen Trump: „Sie werden die Schuld bei dem Farmer suchen, der sie entlässt.“
Als Trump sein Asylprogramm verkündete, winkte Rosenleft ab. Er hat eine gesicherte Existenz in Citrusdal, auch seine Frau arbeitet als Buchhalterin in dem Betrieb. Aber auch er benutzt das Wort Genozid mit Bezug auf die hohen Kriminalitätsraten gegen weiße Landwirte. Und er verweist darauf, dass viele Farmen staatliche Leistungen übernehmen: Schulen, Kindergärten und Suppenküchen werden von ihnen mitfinanziert.
In Südafrika muss sich etwas ändern, soweit stimmt er mit Trump überein. Mit Schuldzuweisungen in Richtung ANC und seinen umstrittenen rassenbasierten Gesetzen ist er dennoch vorsichtig. Trump sei nun einmal unberechenbar, sagt er nur. Aber es sei schon Ironie, dass die US-Zölle jetzt für seine Volksgruppe besonders teuer würden.
„Am Ende des Tages trifft es die Farmer härter als große Unternehmen wie Mercedes, die hier für den US-Markt produzieren“, sagt Rosenleft, „die haben die Schichten auch heruntergefahren, aber sie haben viele Abläufe automatisiert.“
Jeder fünfte Job steht auf dem Spiel
In Citrusdal werde jeder fünfte Job verloren gehen, weil man mit niedriger besteuerten Konkurrenten aus Lateinamerika nicht mehr konkurrieren könne, sagt der Landwirt. Das betreffe aber auch andere Gesellschaftsschichten, andere Ethnien. Die meisten Arbeiter sind Schwarze, auch aus Lesotho kommen Saisonarbeiter für die Ernte. „Trump wird es als Erfolg ansehen, wenn er die südafrikanische Wirtschaft zerstört.“
Schon jetzt ist jeder dritte Südafrikaner arbeitslos – eine der höchsten Quoten der Welt. Rosenlefts Betrieb ist vergleichsweise breit aufgestellt, produziert auch für Europa und den südafrikanischen Markt. Doch andere Farmen in Citrusdal bauen ausschließlich Orangensorten an, die nur in den USA nachgefragt werden – ermutigt von dem Freihandelsabkommen AGOA, das bis Februar eine Zollbefreiung für die meisten afrikanischen Exporte in die USA garantierte und von Trump ausgesetzt wurde.
„Diese Farmer können nicht so einfach umsatteln“, sagt Rosenleft. China sei generell ein komplizierter Markt und zusätzliche Exporte nach Europa würden den Marktpreis kaputt machen. Es gebe nur eine Lösung: Südafrikas Regierung müsse alles tun, um den Zollsatz zu senken.
Und so sitzt einige Straßen weiter ein Politiker im Rathaus, der seit Tagen keine Nacht mehr durchgeschlafen hat. Azrial Scheepers, 36, wurde erst Mitte Juli ins Amt des Bürgermeisters gewählt, nur wenige Tage, nachdem Trump die hohen Zölle für Südafrika verkündet hatte. Seitdem steht sein Telefon nicht mehr still, die Landwirte drängen auf ein Treffen mit dem Handelsminister.
„Wir gehören beide zum ANC, deshalb haben sie große Hoffnung. Sie sprechen mich auf der Straße an, schicken WhatsApp-Nachrichten“, sagt Scheepers. Doch seine Drähte sind nicht so heiß wie erhofft: „Ich hake jeden Tag nach, heute habe ich um 6 Uhr morgens eine Nachricht an das Büro des Ministers geschickt. Aber bislang bestätigen sie nur, dass sie unseren Brief erhalten haben.“
Die Zölle würden nicht nur die weißen Farmer treffen, er fürchtet auch um die knappen Einnahmen der Gemeinde. „Ohne Job können die Menschen ihre Abgaben für Wasser oder die Müllabfuhr nicht mehr bezahlen.“ Auch seine eigene Nachbarschaft werde leiden – er wuchs auf einer der ersten Farmen auf, die einst im Rahmen einer Landreform an nicht weiße Bevölkerungsgruppen übergeben wurde.
Zur Politik seines ANC will sich der treue Parteisoldat nicht äußern, es wäre wohl das Ende der politischen Karriere des studierten Lehrers. „Dafür habe ich nicht das Mandat – und ich weiß ja nicht, was passiert ist.“ Seine Lösung: Subventionen. Die von Jahrzehnten der ANC-Korruption ausgehöhlten Staatskassen sollen also die enormen Einkommensverluste ausgleichen. Die ohnehin bedrohlich angestiegene Verschuldung des Landes würde weiter ansteigen.
Dass Südafrika bei den diplomatischen Verhandlungen mit den USA zu den umstrittenen rassenbasierten Gesetzen nicht einmal symbolische Zugeständnisse gemacht hat, sieht er nicht weiter kritisch. Man dürfe bei Tyrannen nun mal nicht nachgeben, sagt er. Bei den Gemeindewahlen im nächsten Jahr werde das Stimmen kosten. Auch er wiederholt Rosenlefts Worte: „Die Entlassenen werden die Schuld eher bei den Farmern suchen“, sagt er. Und lacht verlegen.
In Riverview, einem Township am Rand der Stadt, bereitet sich auch Maryke September auf schwere Zeiten vor. Die 41-Jährige leitet zwischen Blechhütten die Kindertagesstätte „Ubuntu“, in der 30 Kinder betreut werden – fast alle aus Familien von Saisonarbeitern. „Wenn die Eltern ihre Jobs verlieren, können sie auch uns nicht mehr bezahlen“, sagt sie. Schon jetzt sei es ein ständiger Kampf, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Einige Bauern spenden, auch das würde wohl wegfallen.
Ihr Mann arbeitet als Gabelstaplerfahrer in einem der Lagerhäuser, schob wegen des Stichtages für die US-Zölle Sonderschichten. „Nur wenige hier verstehen bislang genau, was das mit den Zöllen für sie bedeutet“, sagt September. „Aber sie spüren, dass etwas im Busch ist, es wird immer mehr darüber gesprochen“.
Wenn der US-Markt wegbreche, werde es eng – auch für Einrichtungen wie ihre. „Wir beten jeden Abend, dass wir die Türen offenhalten können.“ Eine andere Hoffnung hat sie nicht.
Christian Putsch ist Afrika-Korrespondent. Er hat im Auftrag von WELT seit dem Jahr 2009 aus über 30 Ländern dieses geopolitisch zunehmend bedeutenden Kontinents berichtet.
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