Die Hamas greift Israel an, Israel schlägt zurück – und in Deutschland entbrennt als Folge eine eigene Art von Nahost-Konflikt. Bislang steht dabei vor allem Berlin im Fokus, aber die Auseinandersetzungen ziehen sich quer durch die Republik.

Für Mannheim und Heidelberg liegt dazu jetzt eine Zahl vor: Seit dem Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 gab es allein in den benachbarten baden-württembergischen Städten 228 Aufzüge mit Nahost-Bezug. Im Schnitt finden dort jede Woche zwei Kundgebungen statt, die mit Abstand meisten in Mannheim.

Aufgetan hat diese Information der Vorsitzende des örtlichen Verbandes der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) in der Rhein-Neckar-Region, Sven Mally. Er wandte sich an die Stadt Mannheim und an die Polizei. Von der Polizei, sagt er, habe er gegen eine Gebühr von 300 Euro eine vollständige Liste erhalten, die er WELT zur Verfügung stellte. Sie enthält zu jeder Veranstaltung auch Informationen zur Zahl der Teilnehmer, zu den Veranstaltern und „besonderen Vorkommnissen“. Zusätzlich vermerkt die Polizei in einer Spalte, ob die Kundgebung „proisraelisch“ oder „propalästinensisch“ ausgerichtet sei.

Die weitaus meisten Aufzüge sind in der Tabelle als „propalästinensisch“ gekennzeichnet, nämlich 155. Als „proisraelisch“ stuft die Polizei 49 Versammlungen an, für sechs Aufzüge sei „keine Zuordnung möglich“.

Heidelberg macht mit 83 Veranstaltungen den kleineren Teil aus. Dort fanden die meisten Veranstaltungen vor der Uni statt und waren annähernd durchgehend „propalästinensisch“, meist von einer Gruppe „Students for Palestine“ organisiert.

Auffallend ist, dass „besondere Vorkommnisse“ bis auf wenige Ausnahmen nur bei den „propalästinensischen“ Veranstaltungen vermerkt sind. In der Liste finden sich Verstöße gegen das Vermummungsverbot, Beleidigung, immer wieder Volksverhetzung, „Verstöße wegen verbotenen Symbolen/Parolen“, Billigung von Straftaten, Verwenden von „Kennzeichen verfassungswidriger oder terroristischer Organisationen“, Körperverletzung oder „Beteiligung an einer Schlägerei“ und in einem Fall ein „verbotener Drohnenüberflug“.

Unter den „propalästinensischen“ Veranstaltungen fallen zwei Organisatoren mit besonders vielen Vorfällen auf: die Gruppen Zaytouna und „Free Palestine Mannheim“. Beide kooperieren miteinander und teilen etwa auf Instagram auch Veröffentlichungen der jeweils anderen. Zaytouna ist nicht nur in Mannheim tätig, sondern bundesweit. Ihr Sprecher Mahmoud Abu-Odeh fungiert auch als deutscher Sprecher der „Freedom Flottilla“. Die hatte für Schlagzeilen gesorgt, als sie versuchte, ein Boot mit der Anti-Israel-Aktivistin Greta Thunberg an Bord Richtung Gazastreifen segeln zu lassen.

Dem Vernehmen nach ist eine solche Aktion erneut geplant, diesmal mit der Millionenerbin Marlene Engelhorn als Galionsfigur. In Mannheim gilt gegen Abu-Odeh ein Redeverbot, an das er sich nach Aussage der Deutsch-Israelischen Gesellschaft allerdings nicht hält. Er wird außerdem vom baden-württembergischen Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet.

Bei den „proisraelischen“ Veranstaltungen tauchen als besondere Vorkommnisse mehrmals „Diebstähle von Fahnen“ auf, wobei die Polizei auf WELT-Nachfrage nicht offenlegt, wer dabei Täter und wer Opfer war. Außerdem sind mehrere „Identitätsfeststellungen“ vermerkt. Auch dazu antwortet die Polizei nicht konkret, sondern nur verallgemeinernd: „Polizeiliche Identitätsfeststellungen beruhen auf unterschiedlichen Gesetzesgrundlagen. Dies hängt davon ab, ob sie eine präventive oder repressive Zielrichtung verfolgen.“

Gewalttätiger Übergriff beschäftigt Migrationsbeirat

Nachzeichnen lässt sich anhand der Liste auch, wie sich öffentliche Stimmung und öffentliche Kundgebungen seit dem Überfall auf Israel veränderten. Die ersten Aufzüge in Mannheim veranstaltete die Deutsch-Israelische Gesellschaft unter dem Eindruck der massenhaften Morde, Vergewaltigungen und Entführungen durch die Hamas am 7. Oktober 2023. Zwei Tage danach mobilisierte die Organisation 450 Teilnehmer und weitere zweite Tage später noch einmal dieselbe Zahl zu „proisraelischen“ Kundgebungen.

Die erste „propalästinensische“ Demonstration am 12. Oktober 2023 scheiterte dagegen. Aufgerufen dazu hat ausweislich der Polizei-Liste eine „Privatperson“. Erschienen seien ganze drei Menschen. Die Veranstaltung wird als „abgesagt“ markiert. Die nächsten beiden Aufzüge waren wieder „proisraelisch“ und fanden am 12. und 13. Oktober statt, organisiert von den Bündnissen „Weinheim bleibt bunt“ und „Bündnis für Demokratie und Vielfalt“.

Danach aber wandelt sich das Bild. Die „propalästinensischen“ Organisatoren mobilisieren zu mehr Veranstaltungen mit mehr Teilnehmern. In der Regel verzeichnet die Polizei Zahlen zwischen einigen Dutzend und einigen Hundert, gelegentlich aber auch mit mehreren Tausend Teilnehmern. Die meistbesuchte Veranstaltung fand am 6. Januar 2024 mit 5000 Teilnehmern auf dem Mannheimer Marktplatz statt.

Der Marktplatz ist einer der häufigsten Versammlungsorte. Genau dort hatte auch ein afghanischer Asylbewerber am 2. Juni 2024 den Polizeibeamten Rouven Laur mit Messerstichen getötet. Laur war eingeschritten, als der Täter auf den islamfeindlichen Aktivisten Michael Stürzenberger einstach, der dabei verletzt wurde. Drei Wochen später fand dort mit 300 Teilnehmern die nächste „propalästinensische“ Veranstaltung statt.

Die Liste endet mit einer „propalästinensischen“ Veranstaltung am 3. Juli 2025 auf dem Heidelberger Universitätsplatz. Nicht näher erläutern wollte die Polizei die verwendeten Einstufungen als „proisraelisch“ und „propalästinensisch“. In der Antwort an WELT heißt es: „Wie vorab bereits aufgeführt, erfolgt die Kategorisierung und Bewertung von Versammlungen auf Grundlage rechtlicher Rahmenbedingungen sowie polizeilicher Lagedarstellungen und dient ausschließlich der operativen Einschätzung im jeweiligen Kontext.“

Nicht enthalten in der Auflistung ist der Angriff auf den 69 Jahre alten ehemaligen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Mannheim, Benny Salz, Ende Juli, ebenfalls auf dem Mannheimer Marktplatz. Ein Teilnehmer einer Zaytouna-Demo hatte Salz zu Boden geworfen und verletzt.

Der Vorfall beschäftigt nach WELT-Informationen inzwischen den Migrationsbeirat der Stadt. Der hat sich demnach zu keiner Stellungnahme durchringen können, weil es unterschiedliche Zeugendarstellungen dazu gebe. Hinterfragen lässt sich die Haltung des Migrationsbeirats nicht, weil weder das Gremium noch die Stadt dazu Fragen beantworteten.

Christoph Lemmer berichtet für WELT als freier Mitarbeiter vor allem über die Politik in Bayern.

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