Inhalt des Artikels:

  • Worum geht es bei der umstrittenen Berechnung des Pflegebeitrages?
  • Rechnungspauschale bringt Pflegekasse 11 Millionen Euro Mehreinnahmen
  • Neurentner zahlen so doppelt in die Pflegekasse ein
  • Rentenexperten empfehlen Neurentnern Widerspruch einzulegen

Man mag es kaum glauben – im Jahr 2025 schafft es eine deutsche Behörde wie die Deutsche Rentenversicherung nicht, Renten korrekt zu berechnen. Die Berechnungspraxis infolge einer Beitragsnachzahlung für die Pflegeversicherung schlug in den letzten Tagen medial hohe Wellen. Die Bild-Zeitung titelte "Renten-Sauerei".

Etwas kleiner darf man das Problem schon nennen, geht es doch für einen "Eckrentner" (mit 45 Jahren Durchschnittsverdienst = 1.835,55 Euro Monatsrente) um einen einmaligen Verlust von 79 Cent. Dennoch – für Politik und Rentenversicherung ist das Verfahren peinlich.

Worum geht es bei der umstrittenen Berechnung des Pflegebeitrages?

Anfang des Jahres stieg der Beitrag für die gesetzliche Pflegeversicherung um 0,2%, von 3,4% auf 3,6%. Der Gesetzgeber beschloss diese Erhöhung erst im Dezember 2024 – zu kurzfristig für die Rentenversicherung, um diese Erhöhung sofort bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen. Sie bekam laut Verordnung das Recht, den höheren Pflegeversicherungsbeitrag erst sechs Monate später, am 1. Juli 2025, zu kassieren und den Fehlbetrag für die Monate Januar bis Juni einmalig einzuziehen.

So wurde am 1.7. die Rente mit einem Pflegeversicherungsbeitrag von 4,8% belastet, nämlich 3,6% als regulärer Satz plus 1,2% Nachzahlung (6 x 0,2%). Dabei ist den zuständigen Fachleuten offenbar nicht aufgefallen (oder doch?), dass jedes Jahr am 1. Juli die Renten erhöht werden, so auch 2025.

Rechnungspauschale bringt Pflegekasse 11 Millionen Euro Mehreinnahmen

Die Deutsche Rentenversicherung berechnete die Nachzahlung für den erhöhten Pflegeversicherungsbeitrag nicht auf Grundlage der von Januar bis Juni gezahlten niedrigeren Rente, sondern sie zog die 1,2% Nachzahlung von der ab 1. Juli gezahlten höheren Rente ab. Das macht bei 1.000 Euro Rente Brutto einmalig 47 Cent mehr als nötig, bei einem sogenannten Eckrentner (1835,55 Euro Monatsrente) 79 Cent. Die Deutsche Rentenversicherung macht für diese Differenz die Politik verantwortlich. Sie habe in der dafür erlassenen Verordnung der Rentenversicherung erlaubt, die Nachzahlung auf Grundlage der ab 1.7. höheren Rente zu berechnen.

Die Pflegeversicherung kassiert dadurch von 22 Millionen Rentnern rund 11 Millionen Euro zusätzlich. Für das System mit seinen ausufernden Milliardenkosten ein relativ überschaubarer Betrag. Dennoch, das Verfahren ist für Politik und Rentenversicherung peinlich. Warum bekommt die Deutsche Rentenversicherung es nicht hin, die Renten auf den Cent genau zu berechnen, so wie es für Banken, Versicherungen oder Finanzämter problemlos möglich ist?

Neurentner zahlen so doppelt in die Pflegekasse ein

Problematisch ist die Berechnungspraxis weniger für die 22 Millionen Bestandsrentner als vielmehr für jene rund 250.000 Neurentner, die erst seit Jahresbeginn Rente beziehen. Bei ihnen geht es um höhere Beträge. Hier lohnt es sich, über einen Widerspruch nachzudenken, so Rentenberater Christian Lindner aus Dresden-Langebrück. Er verweist auf das Beispiel einer Mandantin. Claudia F. bezieht seit dem 1. Juni Altersrente. Für den Monat Juli 2025 wurde ihr zur Pflegeversicherung ein Beitrag von 4,8 % abgezogen, darin enthalten die 1,2% Pflegeversicherungs-Nachzahlung für die Monate Januar bis Juni. Nur: Von Januar bis Mai war Claudia F. noch gar nicht Rentnerin. Warum sollte sie für diese Monate also einen Beitrag nachzahlen? Ganz abgesehen davon, dass Claudia F. zu diesem Zeitpunkt noch berufstätig war und mit ihrem Gehalt in die gesetzliche Pflegeversicherung einzahlte.  

Rentenberater Christian Lindner hält diese Berechnungspraxis der Rentenversicherung für "dreist". "Die Beitragserhebung zur Pflegeversicherung erfolgt auf der Grundlage der gezahlten Rente. Für Januar bis Mai 2025 hat Claudia F. aber noch gar keine Rente bezogen. Also sind für diesen Zeitraum keine Beiträge zur Pflegeversicherung zu zahlen. Wenn es aber keine Beitragszahlung gibt, erschließt sich schon gar nicht, warum Claudia F. für diesen Zeitraum den Erhöhungsanteil zahlen müsste. Auch die für Berechnung des Pflegebeitrags für Juli 2025 erlassene Rechtsverordnung gibt das nicht her. Aus dieser ergibt sich, dass durch die einmalige Erhöhung des Pflegebeitrags für Juli von 3,6 % auf 4,8 % die im ersten Halbjahr unterbliebene Beitragserhöhung für Rentnerinnen und Rentner abgegolten werden soll. Von Januar bis Mai 2025 war Claudia F. aber noch gar keine Rentnerin. Es gibt für diesen Zeitraum nichts, was abzugelten wäre", erklärt er.

Die Beitragserhebung zur Pflegeversicherung erfolgt auf der Grundlage der gezahlten Rente. Für Januar bis Mai 2025 hat Claudia F. aber noch gar keine Rente bezogen. Also sind für diesen Zeitraum dafür keine Beiträge zur Pflegeversicherung zu zahlen.

Christian Lindner, Rentenberater

Korrekt wäre für Claudia F. daher nur die Erhöhung ihres Juli-Beitrags zur Pflege um 0,2 % statt 1,2 %-Punkte, da sie im ersten Halbjahr nur für einen Monat Rente bezogen hat. Ausgehend von einer Bruttorente von 1.800 Euro hat die Rentenversicherung bei Claudia F. 18 Euro Pflegebeitrag zu viel einbehalten.

Rentenexperten empfehlen Neurentnern Widerspruch einzulegen

Rentenberater Lindner empfiehlt, gegen den Rentenbescheid Widerspruch einzulegen und zu verlangen, dass der erhöhte Pflegeversicherungsbeitrag nur ab dem Zeitpunkt des tatsächlichen Rentenbeginns, in diesem Fall also ab dem 1. Juni 2025, in Rechnung gestellt wird. Rentnerinnen und Rentner, deren Widerspruchsfrist schon abgelaufen ist, sollten einen Überprüfungsantrag stellen.

Auch der Bundesverband der Rentenberater empfiehlt betroffenen Neurentnern zum Widerspruch. Bereits am 2. Juni hatte der Verband mit einer Pressemitteilung auf die mit der Umsetzung der "Verordnung zur Anpassung des Beitragssatzes in der sozialen Pflegeversicherung 2025 (Pflege-Beitragssatz-Anpassungsverordnung 2025 - PBAV 2025)" verbundenen Probleme aufmerksam gemacht. In einer aktuellen Mail an die Staatssekretärin Kerstin Griese vom zuständigen BMAS, die dem MDR vorliegt, versucht Verbandspräsident Thomas Neumann die Politik erneut für das Problem zu sensibilisieren. Gerade Neurentnern "… den vollen Aufschlag von 1,2 % auf die Juli-Rente aufzubürden, obwohl der erhöhte PV-Beitrag schon in dem der Rente vorausgegangenen Arbeitsverhältnis bezahlt wurde, lässt sich meines Erachtens nicht rechtfertigen. Die Rententräger haben für meine Begriffe den aus der BMAS-Verordnung ableitbaren Handlungsspielraum zugunsten einer 'verwaltungsarmen Lösung' überzogen. Insofern ist die Kritik daran auch gerechtfertigt", erklärt er. "Wir leben (leider!) in Zeiten, wo große Teile der Bevölkerung in einer Wahrnehmungswelt leben, wonach sich 'die da oben' vieles erlauben und einen, wo sie können, schröpfen, während für alles Mögliche Milliarden zur Verfügung stehen. Und Populisten wissen so etwas (ebenfalls leider!) für sich zu nutzen. Angesichts dessen, hätte auch einer Behörde wie der Deutschen Rentenversicherung ein gewisses Fingerspitzengefühl gutgetan, um genau diesen Reflex nicht auch noch zu bedienen. Es gibt eben Dinge, die über die Frage von Verwaltungsaufwand und Herausforderungen für die IT hinausgehen", führt er weiter aus.

MDR (cbr)

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