Seit Jahren gibt es Streit um den geplanten Bau eines Flüchtlingsheims in zwei Innenhöfen einer Wohnanlage in Berlin-Pankow. Nun könnte das Vorhaben doch noch überraschend scheitern.
Verschiedene Naturschutzverbände legten gegen das Bauvorhaben der kommunalen Wohnungsgesellschaft Gesobau, das im Oktober starten sollte, Widerspruch ein. Der Grund: Die mehrstöckigen Gebäude in den begrünten Innenhöfen verstießen gegen das Bundesnaturschutzgesetz, da dafür Dutzende Bäume gefällt werden müssen. Diese böten Vögeln und anderen Tieren Schutz.
Die Grünflächen in den beiden Innenhöfen sind nun verlassen und ungepflegt, sie befinden sich wenige Meter entfernt von den 1950er-Jahre-Bauten. Direkt vor den Fenstern der Bewohner wollen Senat und Gesobau ein Flüchtlingsheim für 422 Menschen errichten – zum Ärger der rund 600 Mieter und Familien, die um ihre Grünflächen fürchten. Dies geschah auch entgegen den Einwänden des Bezirks Pankow, der auf fehlende Kita- und Schulplätze verwies, sich letztlich aber dem Senat beugte. Rund 30 Millionen Euro soll das Projekt kosten.
Streit um artenschutzrechtliche Ausnahmeregelung
Anwohner protestierten bereits 2023, es gründete sich eine Initiative zum Erhalt der Bäume, Umweltschützer verhinderten mit Verweis auf den Artenschutz, dass die Bagger rollten. Doch die Gesobau sorgte für Nistkästen, stellte Ersatzflächen vor.
Der Bezirk Pankow hatte mit Blick auf den Artenschutz eine Ausnahmegenehmigung erteilt – denn die Planer hatten Ausweichquartiere für die Tiere vorgestellt. Doch die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz (BLN), „Naturfreunde Berlin“ sowie der Bund für Umwelt und Naturschutz Berlin (BUND) wollen diese nun kippen. Sie halten ihr Vorhaben für aussichtsreich.
Sie verweisen auf fehlerhafte Daten. Der Bezirk habe nicht die aktuelle Vogel- und Fledermauspopulation berücksichtigt, vor allem aber habe er keine realistischen Alternativen genannt, wo sich die Tiere niederlassen könnten. Die Flächen, die genannt worden seien, würden schon von anderen Vögeln besetzt und seien somit nicht nutzbar. Generell dürfe eine artenschutzrechtliche Ausnahmeregelung nur dann erteilt werden, wenn es keine zumutbare Alternative zu den Bauplänen gebe. Diese aber existiere, argumentieren die Naturschützer. Und zwar in Form eines Plans, der kleinere Wohneinheiten vorsieht. Dieser liegt schon seit Jahren in der Schublade, wird aber von Senat und Gesobau abgelehnt.
Für die Bürgerinitiative „Grüner Kiez Pankow“ ist das Vorgehen symptomatisch für die verfehlte Baupolitik der Bundeshauptstadt. „Es werde immer weitere Flächen versiegelt und in Beton gegossen“, empört sich Britta Krehl, die auch Mitglied des „Berliner Bündnis Nachhaltige Stadtentwicklung“ ist. Während andere Städte wie Paris oder Kopenhagen längst dazu übergegangen sind, Böden zu entsiegeln und Platz für Grünflächen zu schaffen, halte Berlin an einer ständigen Verdichtung fest.
Wohnungsgesellschaft nutzt Sonderbaurecht
Doch in Pankow ist nun wieder alles offen. Wird hier tatsächlich gebaut? Es sieht bislang nicht danach aus. Die Baugenehmigung wurde schon im Februar 2023 erteilt, gilt aber nur für zwei Jahre, ist inzwischen also erloschen. Auch die Fällgenehmigung der Bäume müsste neu erstellt werden. Die Naturschützer merken an, dass die Begründung des Landes fehle, warum ausgerechnet in den Höfen ein Flüchtlingsheim gebaut werden soll. Denn der Regierende Bürgermeister selbst habe angemerkt, dass in Berlin derzeit 6000 Plätze für Flüchtlinge und Migranten – ein gegenläufiger Trend sei vorerst nicht zu erwarten.
Das Argument der Dringlichkeit ist ohnehin wackelig. Denn die Gesobau plante schon länger, die Höfe zu bebauen. Doch das Vorhaben, neue Miet- und Eigentumswohnungen zu errichten, stieß auf baurechtliche Grenzen. Dabei gilt in Ost-Berlin ohnehin schon eine Ausnahmeregelung. Während in großen Teilen West-Berlins höhere Hürden gelten, darf in den östlichen Bezirken unbürokratisch „nachverdichtet“ werden. Doch selbst nach diesen laxeren Vorgaben war der Gebäudekomplex zu groß.
Darum zog die Gesobau die „Flüchtlingskarte“ und machte aus ihren Plänen für reguläre Wohneinheiten offiziell eine Unterkunft. Möglich macht dies das Sonderbaurecht des Bundes, mit dem Flüchtlingsunterkünfte auch in dicht besiedelten Gebieten oder an Stellen errichtet werden dürfen, an denen normalerweise nicht gebaut werden kann.
Das Areal verwahrlost zunehmend. Schiefe Bauzäune begrenzen die mit Unkraut überwucherten Flächen, zwischen denen noch vereinzelte Spielgeräte im Sommerlicht verwittern. Die Hütten mit den Monitoren, in denen Security-Mitarbeiter noch vor einem Jahr rund um die Uhr die Areale überwachten, sind inzwischen verschwunden. Doch noch immer überwacht die Gesobau das Gelände mit Videokameras, denn das Betreten der früheren Wiesen und Spielgelegenheiten zwischen den Bäumen ist streng verboten. Gelbe Kreuze an den Bäumen, die gefällt werden sollen, und Flyer und Informationsmaterial auf einer Bank erinnern an den Streit, der hier seit Jahren schwelt.
Die Anwohnerinitiative „Grüner Kiez Pankow“ hat genug von der Videoüberwachung der Mülltonnen und Gehwege. Sie hat nun den Landesrechnungshof wegen Steuergeldverschwendung eingeschaltet. Seit Oktober 2023 würden die beiden Höfe und der frühere öffentliche Spielplatz überwacht, ein Jahr zusätzlich von Security-Personal. Dafür würde die landeseigene Gesobau geschätzt eine Million Euro ausgeben, finanziert vom Steuerzahler. Der Rechnungshof möge „Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit“ prüfen, heißt es in dem Brief, der WELT vorliegt.
Bezirk macht sich plötzlich für die Anwohner stark
Auch der Bezirk Pankow, seit 2023 von den Grünen regiert, zeigte jüngst die Zähne und forderte Senat und Gesobau öffentlich zur Umplanung auf. Sperrzäune und Kameras sollten abgebaut, der Spielplatz wiedereröffnet werden. Bezirksbürgermeisterin Cordelia Koch (Grüne) kritisierte das Eingriffsrecht des Senats gegenüber den Bezirken. Das massive Nachverdichtungsvorhaben hätte unter normalen Umständen in den Höfen gar nicht genehmigt werden dürfen, sagte Koch im Juni bei einer Besichtigung. Der Senat verschaffe dem Bauvorhaben die Genehmigung „durch die Hintertür des Sonderbaurechts“.
Der Kompromiss, ein sogenannter Klima-B-Plan, mit dem nur 72 statt 99 Wohnungen hätten gebaut werden können, liegt seit vier Jahren in der Schublade. Einer dieser Kompromissvorschläge sieht den Bau von etwa 70 Wohnungen vor, für die nur 14 Bäume gefällt werden müssten. Laut dem derzeitigen Plan sollen nach Anwohner-Rechnung etwa 60 Bäume in der Wohnanlage gefällt werden – die Gesobau spricht von 39, von denen 23 stark geschädigt seien.
Doch der Wohnungsbaugesellschaft steht nicht der Sinn nach Verhandlungen. Die Gesobau will den Maximalplan umsetzen, besteht auf dem Ursprungsargument: „Aufgrund der weiterhin äußerst angespannten Situation bei der Unterbringung von Geflüchteten in Berlin ist die Unterbringung in Wohnungen statt Sammelunterkünften eine gesamtstädtische Aufgabe mit herausragendem Stellenwert“, teilte die Gesobau mit.
Stand heute leben 37.883 Menschen in Unterkünften des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), davon lebt der Großteil von 27.111 Personen in Gemeinschaftsunterkünften, teilte die Behörde WELT mit. Demnach sind von 126 Unterkünfte in Berlin 36 als Neubauten errichtet worden, die später als Miet- oder Eigentumswohnungen umfunktioniert werden können. Die anderen bestehen aus temporären Containern, Hotelgebäuden oder ehemaligen Büros und Schulen.
Bauverwaltung weiß nicht, wie viele Unterkünfte entstehen
Das Land Berlin baut trotz rückläufiger Zahlen weiter. Wie viele Unterkünfte im Land im Bau oder in der Planung sind, weiß der Bauverwaltung des Senats allerdings selbst nicht genau, auch die Kosten konnte die Pressestelle nicht beziffern. „Die Zahlen können wir nicht zur Verfügung stellen, weil Baugenehmigungen in Berlin generell von den Bezirken erteilt werden und eine statistische Auswertung aller Baugenehmigungen von der Senatsverwaltung und den Bezirken technisch nicht vorgesehen ist“, teilte eine Mitarbeiterin der Pressestelle mit. Sie verwies auf eine Kleine Anfrage im Abgeordnetenhaus der Grünen vom März 2024, in der die Bezirke ihre jeweiligen Pläne mitteilten.
40 neue Flüchtlingsunterkünfte befanden sich demnach vor anderthalb Jahren in Planung oder bereits im Bau. Rund 33 Bauten sind bislang mit Sonderbaurecht gebaut worden. Neben der Unterkunft in Pankow sollen 14 weitere entstehen oder werden derzeit gebaut. Wie weit diese Pläne fortgeschritten sind und ob der Bausenat an diesen angesichts sinkender Flüchtlingszahlen festhalten wird, ist unklar.
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