Die Bahn ist so unpünktlich wie nie. Im Juli waren deutschlandweit nur knapp 60 Prozent der Fernzüge pünktlich am Ziel, stellenweise sogar noch weniger. Wie kann sich das ändern? Ein wissenschaftlicher Blick.

Es ist ein Daueraufregerthema: Die Bahn und ihre (Un-)Pünktlichkeit. Seit Jahren ist der Fernverkehr in Deutschland immer unzuverlässiger und gehört zu den unpünktlichsten in Europa. Nur knapp 60 Prozent der Fernzüge im Juli waren pünktlich. Stellenweise waren die Werte sogar noch schlechter, zum Beispiel in Mannheim. Weniger als die Hälfte der ICEs und ICs waren hier pünktlich.

Warum ist die Bahn so unpünktlich?

Die Bahninfrastruktur wurde über Jahre vernachlässigt. Sie gilt als marode und muss vielerorts generalsaniert werden. Vergangenes Jahr war deshalb die Riedbahn zwischen Mannheim und Karlsruhe sechs Monate gesperrt. Aktuell ist die Strecke Hamburg-Berlin für neun Monate gesperrt. Sowohl die marode Infrastruktur als auch die massiven Sperrungen führen zu Verspätungen.

Häufig gibt es technische Gründe für eine Verspätung. Das kann entweder ein Problem mit dem Antrieb sein, das den Zug an der Weiterfahrt hindert oder auch etwas vermeintlich Banales. Kaputte Toiletten, Klimaanlagen oder Türen können zu Verspätungen führen.

Die Türen können aber auch ein Problem sein, wenn sie funktionieren. Laut Markus Hecht, Leiter des Fachgebiets Schienenfahrzeuge am Institut für Land- und Seeverkehr an der TU Berlin, passen oft Bahnsteigkanten nicht zu den Fahrzeugen oder es ist kein ebenerdiger Einstieg möglich, was vor allem mit Rollstühlen schwierig ist.

Die Bahn nennt außerdem einen massiven Fachkräftemangel als Grund für Verspätungen. Nach Angaben des Unternehmens fehlen alleine 4.000 Lokführerinnen und Lokführer.

Was tut die Bahn?

Der damalige Bundesverkehrsminister Volker Wissing kündigte im Juni 2022 eine grundlegende Sanierung des Schienennetzes an. Ursprünglich bis 2035 geplant, sollen während des Großprojekts mehr als 4.000 Streckenkilometer auf knapp 40 Streckenabschnitten vollgesperrt und instandgesetzt werden. Die Bahn hat die Fertigstellung allerdings bereits um ein Jahr nach hinten geschoben, bis 2036.

Das sei auch nötig, sagt Markus Hecht, allerdings nur, um vergangene Versäumnisse zu bereinigen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht seien solche Vollsperrungen eine Katastrophe. Die genauen Auswirkungen würden nicht berechnet. In der Schweiz zum Beispiel werden sie aber so hoch eingeschätzt, dass sie der Volkswirtschaft nicht zumutbar seien. Streckensperrungen werden dort durch ständige Instandhaltung während des Betriebs vermieden.

Was tut die Bahn nicht?

Eigentlich sollte auf den betreffenden Strecken im Zuge der Generalsanierung das europäisch einheitliche Zugsicherungssystem ETCS eingebaut werden. Bisher ist das System in Deutschland erst auf einigen hundert Streckenkilometern verbaut.

Allerdings gibt es auf diesen Strecken immer wieder Probleme damit, zum Beispiel auf der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. Auf der im vergangenen Dezember fertig sanierten Riedbahn wurde das neue System zwar verbaut, ist aber wegen technischer Probleme noch nicht im Einsatz.

Auf der Strecke Hamburg-Berlin wird entgegen ursprünglicher Pläne vorerst doch kein ETCS verbaut. Das bedeutet aber, dass die Strecke mittelfristig wieder gesperrt werden muss, um die Technik zu installieren.

Wann kommt die Digitalisierung?

Im Rahmen des Projekts "Digitale Schiene Deutschland“ sollte eigentlich das gesamte Schienennetz bis 2035 digitalisiert werden. Das bedeutet einmal die Umrüstung auf ETCS, aber auch die Digitalisierung von Stellwerken.

Das Projekt scheint aber zugunsten der Generalsanierung heruntergefahren zu werden. Weniger ETCS-Ausbau und alte Stellwerke sollen durch alte Technik ersetzt werden, statt durch moderne digitale. Der Nutzen von teuren Pilotprojekten, wie zum Beispiel dem digitalen Knoten Stuttgart, bleibt ohne baldige Digitalisierung des restlichen Netzes fraglich.

Was könnte die Bahn tun?

Experten halten sowohl die Sanierung als auch die Digitalisierung für nötig. Beides würde aber frühestens ab Mitte der 2030er-Jahre Wirkung zeigen. Das Netz müsse dann aber auch laufend instandgehalten werden, sagt Markus Hecht von der TU Berlin: "Wir müssen auf eine längerfristig stabile Situation zuarbeiten und nicht alle fünf Jahre das Desaster hervorrufen.“

Aber auch schon vorher könnte die Bahn pünktlicher werden. Zuverlässigere Fahrzeuge zum Beispiel könnten unnötige Verspätungen vermeiden. Und es sei wichtig, genau solche sogenannten Primärverspätungen zu vermeiden, sagt Markus Hecht.

In Österreich und der Schweiz werden am Bahnsteig Fahrzeuge bereitgestellt, mit denen Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, ebenerdig einsteigen können. Auch so würden Verspätungen vermieden.

Jede verhinderte Primärverspätung vermeide auch Folgeverspätungen durch besetzte Gleise oder nicht rechtzeitig verfügbares Personal, sagt Markus Hecht. So kann durch relativ geringen Einsatz deutlich mehr erreicht werden.

Was kann die Politik tun?

Aber auch der Bund müsse seiner Funktion als Aufsichtsorgan besser nachkommen, sagt Kay Mitusch, Professor für Netzwerkökonomie am Karlsruher Institut für Technologie: "Der Bund hat gar keine Vorstellung davon, was etwas kosten soll. Das ist keine Art ein großes Unternehmen zu steuern.“

Er findet, die Bundesnetzagentur könne hier eine Informationsgrundlage für den Bund schaffen, dass Bund und Bahn gemeinsam das Budget sinnvoll und verantwortungsvoll einsetzen können.

Häufig wird beim Budget der Vergleich zur Schweiz aufgetan, wo deutlich mehr Geld pro Kopf in die Eisenbahn fließt. Das sei aber gar nicht nötig, sagt Markus Hecht. Dafür lohne sich der Blick nach Spanien und Italien, wo deutlich weniger Geld pro Kopf in die Eisenbahn fließt, aber trotzdem eine hohe Zuverlässigkeit erreicht wird.

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