Es ist Robert Habecks erster TV-Auftritt nach seinem Abgang aus dem Bundestag. Bei „Markus Lanz“ wirkt die Runde um ihn in ihrer Besetzung so, als solle Habeck nicht allzu unfreundlich ins Ex-Politiker-Dasein entlassen werden: Neben Lanz selbst sitzen dort Melanie Amann, stellvertretende Chefredakteurin des nicht als Anti-Habeck-Blatt geltenden „Spiegels“, außerdem der Militärexperte Carlo Masala, der Habeck loben könnte für dessen frühe Erkenntnis, dass die Ukraine deutsche Waffen benötigt.
Aber dann nehmen in den ersten 30 Minuten vor allem Lanz und Amann den Ex-Minister Habeck doch ordentlich die Zange, schlüpfen dazu in die Rolle enttäuschter Anhänger, die seinen Abgang nicht akzeptieren wollen. Über 450.000 davon hatten ihn in einer Petition aufgefordert, in der Politik zu bleiben, trotz gescheitertem Kanzlerwahlkampf und 11,6 Prozent für die Grünen. Das ist zwar deren zweitbestes Ergebnis in einer Bundestagswahl bislang überhaupt, aber Habeck wollte „Bündniskanzler“ werden, Europa aus Deutschland „dienend führen“ hin zu einer souveränen Macht zwischen den USA und China. Sein „politisches Angebot“, das seine „politische Identität ausgemacht“ habe, sei aber „in eine Sackgasse geraten“, sagt er nun in Lanz Sendung.
So ähnlich hatte er seinen Abtritt auch schon in einem Interview mit der „taz“ erklärt, bei Lanz geht Habeck nun aber weiter.
Dabei seufzt er viel und stockt und überlegt, erweckt den Eindruck: Einiges von dem, was er heute sagt, wollte er eigentlich für sich behalten. Zu solchen Aussagen drängt ihn aber das Dauer-Lamenti von Amann: „Sie sind ja einer, der sozusagen noch Peak altersmäßig ist und der noch ordentlich was beitragen kann zu dem, was Ihre Partei erreichen will“, wirft sie ihm vor, oder fordert, dass Habeck jetzt doch mithelfen könne, eine „neue grüne Sozialpolitik oder eine neue grüne Finanzpolitik“ zu entwickeln.
Habeck scheint ernsthaft politikverdrossen
Aber Habeck scheint ernsthaft politikverdrossen, beziehungsweise eines Parteiensystems müde, das bis weit in die Regierungsbank hinein wirkt. Zunächst erwidert er auf Amanns Vorschlag, wie er jetzt weitermachen könnte: „Mit großem Respekt, Frau Amann, das genau, was Sie beschreiben, ist eben das Problem. Die Erwartung an die Politik ist im Kern: Macht doch weiter wie bisher, nur ein bisschen anders, damit wir was zu beschreiben haben.“ Das ist eindeutig eine Medienkritik. Die Presse kritisiert er noch öfter an diesem Abend, aber Kern seiner Überlegung ist etwas anderes.
Habeck geht von der Prämisse aus, das politische System der Bundesrepublik sei strukturell nicht in der Lage, Probleme zu lösen. Einerseits würden, das sagte er bereits im „taz“-Interview, Politiker von diesen echten Problemen – Deutschlands Wirtschaftsschwäche durch den demografischen Wandel, die Geopolitik – durch Kulturkampfdebatten ablenken. Daher seine Kritik am „fetischhaften Wurstgefresse“ des bayerischen CSU-Ministerpräsidenten Markus Söder. Bei Lanz verteidigt er den Satz grinsend: „Das ist doch noch eine neutrale Beschreibung.“ Auch die Wärmepumpe, um die es ansonsten nicht geht, subsumiert Habeck unter Kulturkampf und Nebelgranaten.
Andererseits aber seien Regierungspolitiker auch gar nicht mehr in der Lage, große Probleme anzugehen, weil sie der eigenen Partei und deren Linie viel mehr verpflichtet seien als dem Land und der Suche nach lagerübergreifenden Lösungen. Dass die Kritik auch an seine eigene Partei adressiert ist, wird spätestens dann klar, als Habeck gegen Ende der Sendung folgendes Szenario entwirft: „Also, stellen Sie sich vor, man geht auf irgendeinen Parteitag, nehmen wir den Grünen-Parteitag, und will für eine Liste kandidieren und hält folgende Rede: ‚Liebe Leute, Deutschland ist in schwierigen Zeiten, ich trete an, um von der FDP zu lernen, was gute Steuerpolitik sein kann, und unsere Gedanken mit der FDP zu versöhnen. Bitte wählt mich dafür‘.“
Und dann, so geht es weiter in Habecks Szenario, komme der nächste – er wechselt in einen rüden Stammtischton – und sage: „Jetzt ist Bundestagswahl. Es gibt eine Partei in Deutschland, die weiß, was das Richtige ist, die für Gerechtigkeit kämpft und gegen den neoliberalen Was-auch-immer“. Habeck macht einen undefinierten Laut. „Wer gewinnt?“, fragt er dann rhetorisch.
Diese Logik des Unversöhnlichen pflanze sich schließlich bis in die Regierungsarbeit fort, klagt Habeck weiter. Die Gewaltenteilung in Deutschland, sagt der Ex-Vizekanzler, sei mittlerweile „tangiert“, er meint wohl: geschleift dadurch, dass Minister auch Teil der Bundestagsfraktionen sind. Somit gehören sie sowohl der Exekutive als auch der Legislative an. Das Problem dabei, so Habeck: Anstatt dass Minister über ihre Doppelrolle ihre Fraktion „in die Regierungsverantwortung mit hineinführen“ würden sie dort „eingenordet auf die Denkschulen der jeweiligen Parteien und Fraktionen.“ In der Ampel sei das der Fall gewesen, und Habeck vermutet, dass das auch in Friedrich Merz‘ (CDU) schwarz-roter Koalition so ist.
Teil dieses Systems will Habeck nicht mehr sein, das macht er deutlich. Er stellt dann sogar in den Raum, was wäre, wenn die Kabinettsmitglieder „abschwören“ würden, „wiedergewählt werden zu wollen? Stellen Sie sich vor, alle wüssten, es ist das letzte Amt.“ Von hier geht es dann nahtlos in die Medienkritik über, die immer mitschwingt bei Habeck an diesem Abend: Denn in seinem Szenario wären dann auch „diese ganzen Umfragen, die es gibt – wer ist der beliebteste Politiker?“ irrelevant. Beziehungsweise könnte Lanz dann nicht mehr folgende „Hitparade“ abspielen, wie Habeck es abfällig nennt: „Herr XY, Sie haben nach Ihrem Vorstoß drei Prozentpunkte verloren – sind Sie noch der Richtige für das Land?“
Lanz sagt: „Ich frag‘ sowas nie“
Lanz erwidert: „Ich frag‘ sowas nie“, aber Habeck übergeht das, er ist in Fahrt, und gipfelt dann in folgenden Sätzen: „Wenn dadurch“ – er meint das Zusammenspiel von parteipolitischer Färbung und den Dauer-Umfragen – „eine Verzerrung der politischen Möglichkeiten entsteht, dann muss man an irgendeiner Stelle mal sagen: Halt, Stopp.“ Das habe er selbst „lange nicht getan. Ich bin gelaufen, gelaufen, gelaufen, gelaufen und jetzt sage ich für mich: Halt, stopp!“
Melanie Amann hat Habeck über diese Aussagen hinweg verloren. Die „Spiegel“-Journalistin hatte sich eingangs der Sendung noch zitieren lassen mit der Einschätzung, dass Habecks Kanzlerkandidatur „vor allem an der Union gescheitert sei, genauer an der Traumabewältigung der Ära Merkel.“ Nachdem sie Habeck eine knappe halbe Stunde lang zugehört hat, sagt sie nun: „Natürlich ist der Wahlkampf von Robert Habeck an Robert Habeck gescheitert und an den Grünen gescheitert.“
Und etwas später dann fordert sie, nachdem Habeck das Scheitern der deutschen Mitte-Parteien und der Ampel im Besonderen eher politikwissenschaftlich-abstrakt beschrieben hatte: „Ich wünsche mir eigentlich eine Rechtfertigung dafür, dass das nicht geklappt hat. Sie waren doch der Vizekanzler dieser Koalition“, so Amann. Daran schließt sie die These an, dass die Hinwendung der Bürger zur AfD auch auf die durch die Ampel erzeugte „Stimmung“ zurückgehe – da könne ein Rückzug wie der von Habeck doch keine Lösung sein.
Da lässt der Ex-Minister den wohl längsten und tiefsten Seufzer der Sendung fahren. „Das ist ja nur die Beschreibung“, erwidert er; es sei „ja unbestritten, dass die Ampel eine unbeliebte Regierung war“, mit viel Streit, unter der alle gelitten hätten „wie unter der Pest“. Nur um dann wieder zu seiner grundsätzlichen Klage zurückzukommen, dass „eigentlich niemand im politischen Raum sich trauen kann, halbfertige Gedanken irgendwo zu äußern, weil dann sofort einer zum Spiegel oder zur Bild oder wem auch immer rennt“.
Dann geht es noch um die Wehrpflicht mit 40
Einen solchen halbfertigen Gedanken präsentiert Habeck selbst am Ende der Sendung: Es geht um die Wehrpflicht, deutsche Soldaten in der Ukraine und wie Habeck, Vater vierer Söhne, dazu steht. Er persönlich würde lieber selbst in einen Krieg ziehen, als seine Söhne ziehen zu lassen, so Habeck. Er frage sich als 55-Jähriger auch, „ob diese Debatte richtig und gerecht geführt wird. Lauter 55-Jährige und ältere Männer“ forderten leichtfertig von viel Jüngeren: „Ihr müsst Deutschland lieben und im Zweifelsfall dafür sterben.“ Habeck fragt weiter: „Wie verteilen wir diese Bereitschaft des Opfers gerechter und auch generationengerechter?“ In der Ukraine liege das Armee-Durchschnittsalter bei circa 40 Jahren, habe er gelesen.
Ob es eine Wehrpflicht für Ältere geben könnte, darum geht nun also subtil, und solchen schwierigen Fragen kann Habeck sich bald unter anderem am Dänischen Institut für Internationale Studien in Kopenhagen widmen oder in Berkeley. Er wird, das macht er relativ klar, sein Nachdenken nicht für sich behalten wollen. Habecks vorerst letztes TV-Interview markiert der Lanz-Auftritt sicherlich nicht.
Jan Alexander Casper berichtet für WELT über die Grünen und gesellschaftspolitische Themen.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.