Es war ein bemerkenswerter Satz, den Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) am Sonntagabend bei Caren Miosga sagte. Gerade hatte die grüne Fraktionschefin Katharina Dröge der schwarz-roten Koalition vorgeworfen, es noch schlechter als die Ampel zu machen. Schon nach 120 Tagen Amtszeit erlebe man „Zerfallserscheinungen“, sagte Dröge mit Blick auf die wiederkehrenden Streitigkeiten in der Koalition. Da unterbrach Dobrindt sie.
Man habe doch in der Migrationspolitik, der Wirtschaftspolitik und Bundeswehr Dinge auf den Weg gebracht, an denen die Ampel gescheitert sei. „Und deswegen bitte nicht diese Vergleiche“, forderte Dobrindt. „Das verunsichert doch einfach nur.“
Dass man gegenüber einem Bundesminister Dinge nicht ansprechen soll, auch polemische, weil sie „verunsichern“ könnten, mag dem ein oder anderen befremdlich erscheinen. Am Sonntagabend ging Dröge aber nicht weiter darauf ein. Stattdessen stritt sie sich mit Dobrindt darüber, ob Schwarz-Rot „noch in Gang“ komme und die Kraft für anstehende Reformen habe. Neben Dobrindt und Dröge war auch der stellvertretende WELT-Chefredakteur Robin Alexander zu Gast.
Der Innenminister selbst sprach aus einer recht komfortablen Situation. Denn seine Migrationspolitik ist tatsächlich „in Gang“ gekommen – trotz aller Differenzen zwischen Union und SPD zum Start der Legislaturperiode. Noch kurz vor der Bundestagswahl hatten sich CDU, CSU und SPD in einer legendären Sitzungswoche im Januar nicht darauf einigen können, drei überschaubare migrationspolitische Maßnahmen direkt umzusetzen, darunter die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär geschützte Flüchtlinge.
Während der Koalitionsverhandlungen stritten Unions- und SPD-Politiker darüber, wie die Zurückweisungen von Asylbewerbern an der Grenze rechtssicher funktionieren können. Inzwischen hat Dobrindt sowohl die Aussetzung des Familiennachzugs eingeleitet als auch die Zurückweisungen an der Grenze angeordnet.
Beschleunigte Einbürgerungen sollen abgeschafft werden, das Wort „Begrenzung“ findet sich wieder im Aufenthaltsgesetz. Die SPD hält weitestgehend die Füße still, trotz zum Teil rechtlicher Bedenken. Auch der zunächst erwartete Widerstand der Nachbarländer gegen die Zurückweisungen blieb eher verhalten.
Die Asylzahlen sind inzwischen weiter gesunken und könnten, wenn der Trend hält, am Ende dieses Jahres erstmals seit Längerem unter der Marke von 150.000 Asylerstanträge bleiben. So wenige waren es zuletzt 2013, wenn man die Pandemiejahre ausnimmt.
Er lege „viel Wert“ darauf, dass er eine andere Migrationspolitik betreibe als die der vergangenen zehn Jahre, sagte Dobrindt am Sonntag. Von Angela Merkels legendären Satz „Wir schaffen das“, grenzte er sich ab. Merkel habe zwar an vielen Stellen in ihrer Regierungszeit „Großartiges“ geleistet. Im Migrationsbereich habe sie aber eine Politik eingeleitet, die für ihn nur sehr schwer zu vertreten sei, weswegen er nun Korrekturen anlege. Aus der Bevölkerung, so Dobrindt, erfahre er für diesen Politikwechsel eine „hohe“ Zustimmung.
Tatsächlich hält eine satte Mehrheit insbesondere die Zurückweisungen von Asylsuchenden für richtig, wie Umfragen zeigen. Nur zahlt das nicht auf das Ansehen der Regierung insgesamt ein. Während schwarz-rot an Zustimmung verliert, steigt die Beliebtheit insbesondere der AfD. Inzwischen liegt die Partei in Umfragen in der Nähe der Union.
Dröge zählt auf, was Merz nicht erreicht hat
In der Substanz habe die schwarz-rote Koalition geliefert, sagte Robin Alexander in der Sendung. Sie habe einen Haushalt auf die Beine gestellt, die Schuldenpakete verabschiedet, die Migrationswende eingeleitet, von der man gedacht habe, dass sie ganz strittig werde. In der B-Note, also der Ausführung, seien aber erstaunlich große Fehler gemacht worden, so Alexander. „Ich glaube, es gibt eine gewisse kulturelle Entfremdung auch innerhalb der politischen Mitte, die wir unterschätzen.“ Sowohl Union und SPD würden um ihre jeweilige Basis ringen. Es fehle beiden die Kraft „einander die Hand zu reichen“.
Was aus ihrer Sicht alles falsch gelaufen ist, zählte die grüne Fraktionschefin Katharina Dröge auf. Friedrich Merz habe eine ganze Reihe von Versprechen wieder zurücknehmen müssen, die er diesem Land gegeben habe, etwa die versprochene Senkung der Stromsteuer. Auch handwerklich mache die Koalition Fehler. Es sei noch nie passiert, dass eine Regierung etwas im Bundestag zur Abstimmung stellen wollte und dann daran gescheitert sei, sagte Dröge mit Blick auf die gescheiterte Verfassungsrichterwahl vor der Sommerpause.
Womöglich liefert die schwarz-rote Koalition auch noch nicht das, was große Teile der Bevölkerung wünschen und erwarten. So hat das Entlastungspaket noch nicht zu einer Belebung der Wirtschaft geführt. Auch Pläne für eine grundlegende Rentenreform stehen noch aus.
Auch die Migrationspolitik ist womöglich nur fürs Erste befriedet. „Die Leute erwarten noch ein bisschen mehr“, sagte Dobrindt selbst. Ohne die Korrektur der Migrationspolitik sei er sich sicher, dass die Polarisierung in der Gesellschaft noch weitergehe. „Das heißt, wir werden diese Art der Korrektur auch langfristig halten müssen und dafür sorgen müssen, dass wir bei der Migration in der Tat diese Wende auch vollenden und illegale Migrationszahlen am besten gegen Null entwickeln.“ Andernfalls profitiere die AfD. „Das Migrationsthema ist letztlich der Nährboden, auf dem die AfD ihre Existenz aufbaut.“
Der nächste Schritt laut Dobrindt: Die Umsetzung des gemeinsamen europäischen Asylsystems. Das sieht unter anderem vor, dass mehr Asylanträge an der EU-Außengrenze bearbeitet werden, mit dem Ziel, dass diese Asylbewerber gar nicht mehr in die Mitte Europas weiterwandern. Diese sogenannte Sekundärmigration in den Griff zu bekommen, sei aber nicht ganz trivial, so Dobrindt. „Dazu müssen am Schluss alle mitspielen.“
Politikredakteurin Ricarda Breyton schreibt seit vielen Jahren über Migrationspolitik.
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