Frankreichs Premierminister François Bayrou will im Parlament die Vertrauensfrage und damit seine Gegner vor die Wahl stellen: Entweder sie bringen ihn am 8. September über die Frage, wie Frankreichs Staatsverschuldung gesenkt werden kann, zu Fall – oder sie geben nach. Sollte Bayrou fallen, würde das die Krise verschärfen, mit der Präsident Emmanuel Macron ohnehin ringt. Und die Zeichen stehen nicht gut für die Regierung.

Konkret geht es um den Plan für das Haushaltsjahr 2026, der Einsparungen von 43,8 Milliarden Euro vorsieht. Allerdings verfügt Bayrous Mitte-rechts-Regierung über keine eigene Mehrheit unter den Abgeordneten.

Die Linkspartei La France Insoumise kündigte umgehend an, die Regierung zu Fall bringen zu wollen. Sie fordert schon lange Bayrous Kopf. Gleiches gilt für die Sozialisten, die mit dem altgedienten Mitte-Politiker keine Geduld mehr haben. Selbst Marine Le Pens rechtspopulistische Partei Rassemblement National, die bis zu den Drohungen auf Absetzung erst einmal die Haushaltsverhandlungen abwarten wollte, setzt nun entschlossen das Messer an.

Bayrous Lager zeigte sich von der Entscheidung der Rechtsaußen-Partei überrascht. Ein Vertrauter des Premierministers, der anonym bleiben will, sagte der WELT-Partnerpublikation „Politico“, man sei davon ausgegangen, dass Le Pen ihnen „die Drecksarbeit“ überlassen wolle – sprich: die Staatsfinanzen ins Lot zu bringen.

Seit seiner Ernennung vor weniger als einem Jahr hat Bayrou schon mehrere Misstrauensanträge überstanden – dank Enthaltungen des Rassemblement National oder der Sozialisten. Aber diesmal ist von keiner Seite mehr eine helfende Hand zu erwarten. Bayrous Überlebenschancen sind so gut wie dahin – es sei denn, er zwingt seine Gegner auf wundersame Weise dazu, umzudenken. Sollte die Regierung Bayrou stürzen, liegt der nächste Schritt bei Präsident Macron.

Hier sind seine Optionen – und wie wahrscheinlich sie jeweils sind:

1. Ein neuer Premier wird ernannt

Wahrscheinlichkeit 8/10

Schnittmengen sind im französischen Unterhaus seit den vorgezogenen Neuwahlen im Sommer vergangenen Jahres rar. Seither ist das Parlament in drei annähernd gleich starke Blöcke zersplittert: ein linkes Bündnis, eine Zweckgemeinschaft aus konservativ-bürgerlichen Kräften sowie das Lager der extremen Rechten. Sollte Bayrou stürzen, wäre er bereits der zweite Premierminister, der seit der Wahl über umstrittene Sparpläne stolpert. Schon sein Vorgänger Michel Barnier war nach nur drei Monaten im Amt durch ein Misstrauensvotum zu Fall gebracht worden.

So würde die Ernennung eines dritten Premierministers aus dem bürgerlichen oder bürgerlich-konservativen Lager anmuten wie die Einstein zugeschriebene Definition von Wahnsinn: immer wieder das Gleiche zu tun und dabei ein anderes Ergebnis zu erwarten. Doch vielleicht hat Macron gar keine Wahl, wenn er sein politisches Vermächtnis retten will, bevor die Franzosen 2027 zur Präsidentschaftswahl schreiten.

Als häufig genannter Kandidat gilt Verteidigungsminister Sébastien Lecornu. Der 39-Jährige ist ein enger Vertrauter Macrons und früheres Mitglied der konservativen Les Républicains – jener Partei, die bereits für Bayrou wie zuvor für Barnier ein zentraler Koalitionspartner war. Zugleich gilt Lecornu als wendiger Taktiker, dem man durchaus zutraut, auch mit der extremen Rechten zu paktieren.

Macron könnte aber auch auf Vertreter des Mitte-linken Spektrums zugehen, um die Sozialisten für eine Koalition zu gewinnen. Der Name des ehemaligen sozialistischen Premierministers Bernard Cazeneuve wurde bei früheren Regierungswechseln immer wieder ins Spiel gebracht. Allerdings würden die Sozialisten wohl weitreichende politische Zugeständnisse fordern – etwa höhere Steuern, die Macron seit seinem Amtsantritt 2017 vehement ablehnt, oder eine Neuauflage der Debatte über die Rentenreform.

Hinzu kommt: Tiefe Gräben innerhalb der Mitte-links-Fraktion lassen ernsthaft zweifeln, ob die Abgeordneten eine Koalition mit ihren einstigen Rivalen überhaupt geschlossen mittragen würden – zumal der Ausgang der Präsidentschaftswahlen derzeit völlig offen ist.

2. Es gibt Neuwahlen

Wahrscheinlichkeit 5/10

Als geübter politischer Spieler könnte Macron versuchen, mit einer weiteren Neuwahl die politische Blockade im Parlament zu beenden. Doch wäre dies ein Würfelspiel mit ungewissem Ausgang.

Das Problem ist allerdings, dass Frankreich gerade durch die Parlamentsauflösung in diese verfahrene Lage geraten ist. Seit den Neuwahlen des vergangenen Sommers hat sich die politische Landschaft kaum verändert. Eine erneute Abstimmung könnte also abermals ein Parlament ohne klare Mehrheiten hervorbringen. Somit bliebe alles beim Alten.

Bis zum Montag galt es noch als unwahrscheinlich, dass Macron die Wähler noch einmal an die Urnen rufen würde. Er hatte wiederholt betont, zuletzt noch in der vergangenen Woche, dass er Bayrou im Amt halten und die politischen Kräfte zu gemeinsamer Zusammenarbeit bewegen wolle.

Doch der Chor der Kritiker, der Macron zur Parlamentsauflösung drängt, tönt immer lauter. Viele wittern ihre Chance. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass eine der politischen Kräfte diesmal tatsächlich die absolute Mehrheit erringen könnte.

Das sozialistische Schwergewicht Boris Vallaud erklärte, seine Partei bereite sich auf Neuwahlen vor. Le Pen wiederum schrieb auf X, „nur vorgezogene Wahlen ermöglichen es den Franzosen, ihr Schicksal selbst zu bestimmen – mit dem Rassemblement National.“ Dass die Frontfrau der extremen Rechten solche Äußerungen machte, überraschte: Denn Le Pen darf derzeit nicht kandidieren, aufgrund einer Verurteilung wegen Veruntreuung, die sie bestreitet und gegen die sie Berufung eingelegt hat.

3. Macron tritt zurück

Wahrscheinlichkeit 2/10

Das aktuelle Chaos befeuert neue Rücktrittsforderungen der politischen Ränder – wie schon nach den vorgezogenen Neuwahlen im vergangenen Sommer. Jean-Luc Mélenchon, Chef der linken La France Insoumise, kündigte an, seine Partei werde einen Antrag im Parlament einbringen, um Macron abzusetzen – ein Manöver, das von vornherein zum Scheitern verurteilt scheint. Doch selbst altgediente Politbeobachter greifen das Thema inzwischen auf. Und in Talkshows werden Politiker offen gefragt, ob sie Macrons Abgang befürworten würden.

Macron selbst hat kategorisch ausgeschlossen, einen vorzeitigen Rücktritt in Erwägung zu ziehen. Doch Frankreichs Zukunft hängt auch davon ab, ob die Regierung in der Lage ist, für 2026 einen entschlackten Haushalt vorzulegen, der das Defizit eindämmt und die Ausgaben effektiv kürzt.

Eines aber ist schon jetzt klar: Das politische Chaos und der bedrohliche Zustand der Staatsfinanzen könnten sich für den Präsidenten zu einem hochexplosiven Cocktail vermischen.

Dieser Text erschien zuerst bei der WELT-Partnerpublikation „Politico“. Übersetzt und redaktionell bearbeitet von Julius Fitzke.

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