Nach Informationen von WELT hat Deutschland der New-York-Erklärung über eine Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israelis und Palästinensern zugestimmt. Aus dem Auswärtigen Amt ist zu hören, dass die Zustimmung am Samstag vergangener Woche mitgeteilt worden sei. Am Freitag dieser Woche soll eine Resolution zur Abstimmung in der UN-Generalversammlung gelangen, mit der die New-York-Erklärung übernommen wird. Es ist anzunehmen, dass Deutschland ihr zustimmt.
Die New-York-Erklärung, die Ende Juli bei einer internationalen Konferenz unter Vorsitz Frankreichs und Saudi-Arabiens verabschiedet wurde, verurteilt den Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 mit mehr als 1000 zumeist zivilen Opfern und fordert die Terrormiliz zur Niederlegung ihrer Waffen auf. Sie bekräftigt jedoch auch die Forderung nach einem palästinensischen Staat und ein Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge. So heißt es in Artikel 39 der Erklärung, im Kontext der Errichtung eines souveränen palästinensischen Staates solle unter anderem die Flüchtlingsfrage gelöst werden, und wörtlich am Ende eines langen Satzes: „zugleich erklären wir erneut das Rückkehrrecht“.
Insbesondere der Punkt des Rückkehrrechts wird in Israel als Bedrohung gesehen. In der Resolution 194 (III) der UN-Generalversammlung von 1948 wird ein solches Recht für palästinensische Flüchtlinge erwähnt, sofern sie „in Frieden mit ihren Nachbarn leben wollen“, und fordert dieses Recht „so bald wie möglich“ umzusetzen. Nach Interpretation palästinensischer Vertreter bedeutet dies, dass nicht nur alle während des arabisch-israelischen Krieges in jenem Jahr vertriebenen, sondern auch alle später unter Zwang oder aus eigenem Antrieb geflohenen Palästinenser und ihre Nachkommen ein Recht auf Rückkehr in die damaligen Wohngebiete hätten. Damit stiege die Zahl der zur Rückkehr Berechtigten von etwa 700.000 Menschen im Jahr 1948 auf heute etwa sechs Millionen Menschen.
Palästinensische Interpretation des Rückkehrrechts ist nicht unumstritten
Ein Zuzug von Palästinensern in dieser Größenordnung, so argumentieren israelische Regierungen und Politiker verschiedener Lager seit Jahrzehnten, würde den jüdischen Charakter Israels und damit den jüdischen Staat Israel als solchen zunichtemachen. Derzeit leben etwa sieben Millionen Juden und etwa drei Millionen zumeist arabisch-stämmige Christen und Muslime in Israel. Mit dem Zuzug von sechs Millionen Palästinensern würden die Juden also zu einer Minderheit im Staat.
Allerdings ist die palästinensische Interpretation des Rückkehrrechts nicht unumstritten. Die betreffende Stelle der Resolution von 1948 wird von den meisten Völkerrechtlern nicht als rechtsverbindlich, sondern als Empfehlung angesehen. Andere argumentieren hingegen, durch eine Wiederholung dieser Empfehlung sei ein Gewohnheitsrecht entstanden. Bei Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern in der Vergangenheit wurde mitunter eine teilweise oder symbolische Rückkehr von palästinensischen Flüchtlingen diskutiert.
Sicher ist andererseits: In der Praxis der Vereinten Nationen erhalten auch Nachkommen von geflohenen Palästinensern den Flüchtlingsstatus und die Berechtigung zu Leistungen durch das UN-Hilfswerk für Palästinenser UNRWA. Derzeit betreut UNRWA etwa 5,9 Millionen als palästinensische Flüchtlinge anerkannte Menschen. Deshalb fürchten israelische Politiker, dass die Anerkennung eines nicht näher bestimmten Rückkehrrechts für diese denkbar weit gefasst Personengruppe gelten würde.
Aus dem Auswärtigen Amt ist zu hören, die Position Deutschlands zur Frage eines Rückkehrrechts sei unverändert. Aus Sicht der Bundesregierung müsse diese Frage in direkten Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien gelöst werden. In der Vergangenheit habe Israel die Flüchtlingsfrage als Thema für „Endstatus-Verhandlungen“ prinzipiell akzeptiert, also für Gespräche über eine endgültige Lösung des Konflikts, wie sie die Oslo-Friedensverträge in den 90er-Jahren für die letzte Phase eines Friedensprozesses vorsahen. Mit der Indossierung der New-York-Erklärung mache sich die Bundesregierung keine völkerrechtlichen Einschätzungen zu eigen, die von dieser bekannten Linie der Bundesregierung abweichen, so heißt es aus dem AA.
Zudem, so betont man, enthalte die Erklärung eine klare Verurteilung der Hamas und des Terrors vom 7. Oktober sowie das Bekenntnis, dass Hamas in Gaza nicht mehr regieren solle. Dies sei dadurch nun endlich internationaler Konsens, der auch von allen Mitgliedern der Arabischen Liga mitgetragen werde.
Die Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) hat wie ihre Vorgänger wiederholt die Hoffnung auf eine Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israelis und Palästinensern ausgedrückt. Mit dem Beitritt zur Erklärung schließe sich die Bundesregierung einer breiten internationalen und regionalen Koalition zur Unterstützung einer friedlichen, verhandelten, gerechten und dauerhaften Zwei-Staaten-Lösung an, so heißt es im Auswärtigen Amt. Schließlich entspreche die Erklärung den Grundsätzen der deutschen Nahostpolitik. Deutschland bleibe verlässlicher Partner Israels und dessen Sicherheit verpflichtet. Zugleich trete Deutschland jedoch wie in der Vergangenheit konsequent für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenserinnen und Palästinenser ein.
In Israel könnte Deutschlands Plazet für die Erklärung allerdings als Affront aufgefasst werden. Denn dort ging man bis zuletzt davon aus, dass Deutschland kein allgemeines und vererbbares Recht auf Rückkehr annimmt – auch weil die Umsetzung eines solchen Rechts das Ende des jüdischen Staates bedeuten könnte, dessen Fortbestand erklärtermaßen zur deutschen Staatsräson gehört.
Daniel-Dylan Böhmer, Senior Editor im Ressort Außenpolitik, bereist die Länder des Nahen Ostens seit Jahrzehnten. Er befasst sich vor allem mit regionalen und globalen Sicherheitsthemen und wird regelmäßig als Experte in nahöstlichen TV- und Radiosendern befragt.
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