Haut ab!!“ steht auf dem selbstgeschriebenen Zettel, den eine junge Frau im Kapuzenpulli in Richtung einer Gruppe von Demonstrantinnen auf der anderen Straßenseite hochhält. Zuvor hatte sie ihnen den Mittelfinger gezeigt. Doch dann wies die Polizei darauf hin, dass dies eine Beleidigung und damit strafbar sei.
„Warum müssen die vor einer Klinik protestieren? Das ist unser Schutzraum. Sie wollen Trans-Menschen ausgrenzen“, empört sich die Frau im Hoodie, Patientin der Theodor-Wenzel-Klinik in Berlin-Zehlendorf. Eine Frau und ein Mann, die eine Regenbogenflagge hochhalten, neben ihr nicken.
Das sehen die Demonstrantinnen des Vereins „Frauenheldinnen“ jenseits der vierspurigen Straße anders. „Erwachsene können tun und lassen, wie sie wollen, das kann ihnen keiner verbieten. Aber es geht hier um Kinder, denen man einredet, sie wären im falschen Körper geboren“, sagt eine Teilnehmerin. Sie verstehe die feindselige Reaktion auf der anderen Straßenseite nicht: „Vielleicht verstehen viele Menschen nicht, worum es wirklich geht“, sagt die Frau. Damit meint sie: um medizinische Eingriffe, die körperliche Unversehrtheit von Kindern, eine Ideologie, die um sich greife.
Viele der etwa 15 Frauen halten Plakate hoch, darauf steht etwa: „Transmedizin macht krank. Ein Leben lang“. Und: „Kein Kind steckt im falschen Körper“. Lesben und Schwule würden durch die Trans-Ideologie „wegtransitioniert“, argumentieren die Frauenrechtlerinnen. Anstatt die eigene Sexualität und den Körper zu akzeptieren, würde pubertierenden Kindern eingeredet, dem falschen Geschlecht anzugehören. „Trans ist ein Trend, weil Aktivisten uns und unseren Kindern einreden wollen, dass es ganz normal ist, sich sein Geschlecht auszusuchen und mit Medikamenten nachzuhelfen“, heißt es in einer Rede der Pharmakologin Antje Jelinek, die von einer der Frauen verlesen wird. Der Protest wird von der Polizei begleitet, die auf jeder Straßenseite einen Wagen platziert hat.
Die Kritik der „Frauenheldinnen“ richtet sich gegen den Fachkongress, der in der Klinik abgehalten wird. In der psychiatrischen Einrichtung im Südwesten Berlins treffen sich am Mittwochnachmittag Ärzte, Psychiater und Fachkräfte. Es geht um die sogenannte Geschlechtsinkongruenz, die Unzufriedenheit mit dem eigenen Geschlecht – und die umstrittenen neuen Behandlungsleitlinien für Kinder und Jugendliche im deutschsprachigen Raum. Das Ziel des Symposiums des Theodor-Wenzel-Klinikums ist die Vermittlung einer „leitliniengerechten Behandlung“, heißt es in der Einladung. Das Interesse ist groß. Rund 100 Ärzte, Psychiater und Fachleute sitzen im Saal im ersten Stock des Hauptgebäudes. Etwa 400 Zuhörer schalteten sich dem Veranstalter zufolge virtuell zu, darunter Familien, die Rat für ihre Kinder suchten. Das Grußwort sprach die Grünen-Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther, ebenfalls virtuell.
Die Leitlinie für Kinder und Jugendliche ist erst im März 2025 in Kraft getreten, sie hatte vor Erscheinen für heftige Diskussionen gesorgt. Mediziner zogen sich aus der Arbeit der Fachgesellschaften zurück, kritisierten, dass sie die aktuelle Forschungslage zum Thema Geschlechtsverwirrung nicht berücksichtige. Das Papier folgt dem sogenannten affirmativen Ansatz, wonach Ärzte Kinder und Jugendliche in ihrem „Gefühl“ bestätigen und nicht hinterfragen sollen, ob sie tatsächlich ein Problem mit ihrem Geschlecht haben. Damit entfällt der übliche medizinische Schritt einer Indikation für Medikamente und Behandlung, da mögliche andere Ursachen nicht mehr in Betracht gezogen werden sollen. Daraus kann der Einsatz von Pubertätsblockern und Hormonen bis hin zu Operationen bei Volljährigkeit folgen.
Kritik an der Leitlinie für Minderjährige kommt von Fachleuten aus der Kinderpsychiatrie, die den Einsatz von Hormonen bei gesunden Kindern und Jugendlichen ablehnen. Sie verwiesen auf mangelnde Evidenz sowie aktuelle Studien wie den Cass-Report aus Großbritannien, der bei Minderjährigen zu Vorsicht bei Hormonbehandlungen rät. Tatsächlich werden alle Pubertätsblocker „Off Label“ verschrieben, das bedeutet, dass kein europäisches Medikament für die Anwendung als Hormontherapie zur Geschlechtsveränderung zugelassen ist.
Kinder sollen ihre Identität bestimmen
Doch bei dem Symposium geht es nicht um kontroverse Debatten, sondern um die Umsetzung der neuen Leitlinien. Bei der Abschlussdiskussion kommen die Psychiater, Psychologen und Professoren zu dem Schluss, dass die neue Behandlungsrichtlinie tatsächlich dabei helfe, Zweifel zu zerstreuen – sowohl bei den Krankenkassen, die Behandlungen bewilligen sollen, als auch bei Eltern, die unsicher seien, ob sie den Aussagen ihrer Kinder folgen sollten, die sich als trans bezeichnen. Es gehe schließlich vor allem um „Akzeptanz“; darum, dass man Kindern ihre „Transidentität“ nicht mehr ausreden dürfe, sagte der Berliner Psychiater Jakob Hein, der auch Kinder und Jugendliche behandelt. Die Leitlinie sei aber „keine Abkürzung zu Operationen“, betont Hein.
Gleichwohl beklagt Hein, dass die Krankenkassen in letzter Zeit geschlechtsverändernde Operationen bei Erwachsenen oder auch Brustamputationen bei Minderjährigen zunehmend kritisch hinterfragten und bei der Bewilligung vorsichtiger seien. Die Frage nach der Kostenübernahme für Hormone, Brustamputationen, Genitalveränderungen beschäftigte dann auch die Abschlussrunde. Müsste nicht die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) beim Gemeinsamen Bundesausschuss beantragen, dass die medizinischen Eingriffe von den Kassen finanziert werden, da eine solche Behandlung ja „leitliniengerecht“ sei, wollte ein Zuhörer wissen. Timo Nieder, Leiter der Gender-Ambulanz am Klinikum Hamburg-Eppendorf, erklärt, dies sei möglich, könne sich aber über Jahre hinziehen. Letztlich sei es eine politische Entscheidung des Gesetzgebers, ob die Krankenkassen die Operationen und Medikamente bezahlen sollten. Dieses Vorhaben hatte die frühere Ampel-Regierung im Koalitionsvertrag festgeschrieben, es war aber nicht zur Umsetzung gekommen.
Um das Thema Geld geht es auch beim Protest der Frauengruppe. Von geschlechtsdysphorischen Kindern und Jugendlichen profitierten ausnahmslos Ärzte und die Pharmaindustrie, argumentiert die Juristin Gunda Schumann, Vorständin beim Lesbischen Aktionszentrum (LAZ). Dies sei ein Widerspruch. Einerseits feiere die Medizin die Entpathologisierung einer Transidentität. Die frühere „Transsexualität“ sei keine psychiatrische Erkrankung mehr. Andererseits gehe es um Behandlung mit Medikamenten und um Operationen. Die Hürden würden gesenkt, dies leichter und somit auch profitabler anzubieten, und man habe sich eine neue Zielgruppe erschlossen: „Die Trans-Medizin ist dabei, das Geschäft mit Hormonen für Erwachsene auf Pubertätsblocker für Kinder und Jugendliche zu verlegen“, sagt Schumann.
Sie verwies auf steigende Absätze des Medikaments Triptorelin, das die Ausschüttung von Geschlechtshormonen aus der Hirnanhangsdrüse unterdrückt. Die Einnahme des Mittels ist eigentlich für die Behandlung von Prostata- und Brustkrebs vorgesehen ist. Gibt man es Kindern, verhindert es den Beginn der Pubertät und stoppt vorübergehend die körperliche Reifung. Dies, so argumentieren Befürworter der Theorie einer Transidentität, verschaffe man den Kindern Zeit, sich Klarheit zu verschaffen.
Viele Länder wie Finnland, Schweden, Norwegen oder Großbritannien sowie einige US-amerikanische Bundesstaaten haben diese Behandlung von Kindern jedoch kürzlich verboten oder reglementiert. Der Grund: Weder zeigten Hormone eine Wirksamkeit gegen das empfundene Leiden, noch sind die Langzeitfolgen und Nebenwirkungen ausreichend erforscht. Darauf verweisen auch die Demonstrantinnen. Die Bundesregierung solle es den Ländern wie Finnland und Großbritannien gleichtun und ebenfalls Verbote für die Verabreichung an Minderjährige erlassen, fordern die „Frauenheldinnen“.
Passanten interessieren sich für die Gruppen
Einige der wenigen Passanten an der viel befahrenen Ausfallstraße Richtung Brandenburg bleiben stehen, interessieren sich für die Flyer und Plakate. Es sei „unglaublich“, was die Medizin mit den Kindern mache, sagt ein Mann. Seine Tochter sei auch betroffen, werde psychiatrisch behandelt: „Es ist ein einziger Irrsinn, was hier geschieht. Gut, dass Sie darüber aufklären.“
Auch auf der anderen Straßenseite vor dem Klinik-Gebäude wollen Passanten von den drei Gegnern der Frauenorganisation wissen, was hier passiert. „Die da drüben“ wollten „alles verbieten“, erklärt eine der Frauen, sie seien dagegen, dass Trans-Menschen medizinisch versorgt werden. „Wie bitte? Wie kann denn so was sein?“, empört sich ein etwa 70-Jähriger und tippt sich an die Stirn.
Die Teilnehmer des Symposiums, die nach und nach das Gebäude verlassen, zeigen sich ebenfalls konsterniert. „Dass ausgerechnet lesbische Frauen andere ausgrenzen wollen, finde ich sehr irritierend“, sagt eine niedergelassene Psychologin. Sie habe das Symposium als „sehr bereichernd und berührend“ erlebt. Von Hormongaben für Minderjährige stehe doch gar nichts in den Leitlinien, sagt sie: „Ich habe mitgenommen, dass Ärzte den Wunsch der Kinder akzeptieren und sie einbeziehen sollen.“ Sie schaut verwundert auf die andere Seite der Straße, wo die Demonstrantinnen ihre Transparente einrollen und zusammenpacken. „Was kann man denn gegen Trans-Menschen haben?“.
Die Grüppchen stehen einander gegenüber, schauen sich provozierend und verständnislos an, die Entfernung ist zu groß, um ins Gespräch zu kommen. „Wir sind dann weg“, verabschiedet sich einer der Polizeibeamten. Die Demonstrantinnen packen ihre letzten Flyer ein.
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