Es gibt kaum eine Forderung, die sich so kontinuierlich in den Programmen der Alternative für Deutschland wiederfindet wie die nach einer Wiedereinsetzung der Wehrpflicht. Lange bevor eine Rückkehr zum verpflichtenden Dienst an der Waffe in anderen Parteien diskutiert wurde, war es die AfD, die immer wieder daran festhielt. Im Grundsatzprogramm von 2016 sowie in allen Programmen für die Bundestags- und Europawahlen seit 2017 verknüpfte sie die Forderung mit dem Argument, die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands müsse wiederhergestellt werden.

Seit zweieinhalb Jahren gibt es innerhalb der Partei, zu deren DNA eine Stärkung des Nationalen gehört, allerdings immer wieder Streit darüber. Nun steuert die Debatte, die hinter den Kulissen geführt wird, auf einen Höhepunkt zu. Dafür sorgt eine Intervention der Ost-Verbände, die einen entsprechenden Antrag der Bundestagsfraktion verhindern wollen.

Letztlich geht es um die Frage einer grundsätzlichen Ausrichtung: Will die AfD Soldaten- oder Friedenspartei sein? Lässt sich beides miteinander versöhnen? Und inwiefern können die ostdeutschen Spitzenfunktionäre ihren Einfluss in Berlin geltend machen?

„Keine Wehrpflicht für fremde Kriege“, heißt es im Statement der ostdeutschen AfD-Fraktionschefs vom vergangenen Sonntag. Deutschland handle „außenpolitisch nicht souverän“. Die Initiative kam nach Informationen der WELT AM SONNTAG vom Thüringer Landesverband um Björn Höcke. Parteichef Tino Chrupalla, der sich in der Vergangenheit mehrfach gegen eine Wehrpflicht während des laufenden Ukraine-Krieges ausgesprochen hatte, war demnach eingeweiht.

Zuvor hatte die Sitzung der Arbeitskreis-Leiter der AfD-Bundestagsfraktion den Antrag „Verteidigungsfähigkeit Deutschlands sichern – Wehrpflicht reaktivieren“ unverändert angenommen, wie ein Protokoll vom 9. September zeigt, das WELT AM SONNTAG vorliegt. Lediglich zwei Leiter stimmten dort gegen den Antrag. Daraufhin wurde der Antrag auf die Tagesordnung der Fraktionssitzung gesetzt.

Als dann am Sonntag die Stellungnahme der Ost-Fraktionschefs kam, wurde dies allerdings rückgängig gemacht. Der Antrag sei „lediglich wegen eines Missverständnisses bereits jetzt aufgesetzt“ und „zur weiteren Beratung zurückgestellt“ worden, heißt es in einer Mail eines Mitarbeiters von Sonntagabend an die Fraktion.

Vorwurf des „Eskalationswillens“ an die Regierung

Auf Initiative des Parlamentarischen Geschäftsführers Bernd Baumann kam es am Mittwoch zu einem internen Treffen im Bundestag. Verteidigungspolitiker und Vertreter aus Thüringen und Sachsen-Anhalt verhandelten über einen Kompromiss. Das Ergebnis: Im Begründungsteil des Antrags soll an erster Stelle der Satz „Der Einsatz von Wehrpflichtigen für fremde Kriege ist auszuschließen“ hinzugefügt werden.

Das reicht den Kritikern aber nicht. Sie unterstellen der Bundesregierung „Eskalationswillen“. Sie fürchten außerdem um das mühsam aufgebaute Friedensimage und argumentieren mit der anstehenden Landtagswahl im September 2026 in Sachsen-Anhalt. Tatsächlich gelang es der AfD, mit dem Friedenskurs gerade im Osten des Landes neue Wählergruppen zu erschließen.

In Westdeutschland wird das allerdings deutlich kritischer gesehen. Auch dort steht eine Landtagswahl an, und zwar schon deutlich früher – im März in Baden-Württemberg. Spitzenkandidat Markus Frohnmaier, ein enger Vertrauter der Bundesvorsitzenden Alice Weidel, gehört zu den stärksten Befürwortern der Wehrpflicht innerhalb der Fraktion und hat sich intern eindeutig positioniert. Die Mehrheit der Fraktion steht an seiner Seite.

Der Konflikt schwelt bereits seit Februar 2023. Damals hatte Bundestags-Fraktionschef Chrupalla dafür gesorgt, einen Wehrpflicht-Antrag seiner Kollegen, zu dem auf der Website des Bundestags bereits eine Debatte im Plenum angekündigt war, wieder in die interne Beratung zurückzuschicken. In der damaligen Fraktionssitzung argumentierte Chrupalla nach Informationen von WELT AM SONNTAG, er wolle nicht, dass seine Söhne für „Stellvertreterkriege“ oder „amerikanische und ausländische Interessen verheizt“ werden.

Mehrere Unterstützer aus Sachen schlossen sich an. Intern folgte Ärger um ein Fraktionsmagazin, für das ein fertiger Text des Arbeitskreises Verteidigungspolitik abgelehnt wurde, in dem eine „sofortige Reaktivierung der Wehrpflicht“ gefordert worden war.

Seitdem ist der Streit immer wieder hochgekocht. Im Oktober 2024 hat die Bundesprogrammkommission der AfD entschieden, die Forderung aus dem Wahlprogramm für die Bundestagswahl zu streichen – auch mit der Stimme von Chrupalla. Der mächtige Funktionär begründete seine Nein-Stimme im WELT-Interview im Dezember 2024 damit, dass in der aktuellen Diskussion der Eindruck entstehe, man wolle die Pflicht einführen, „um die jungen Leute an die Front des Ukraine-Kriegs zu schicken“.

Kurz darauf sprachen sich dagegen rund 71 Prozent der Teilnehmer einer nicht öffentlichen Mitgliederbefragung für die Forderung im Wahlprogramm aus. Der Bundesparteitag folgte dem Votum im Januar dieses Jahres. Nach einer Fraktionsklausur im Juli sah es so aus, als sei der Konflikt befriedet. Dort hatte man sich trotz einiger kritischer Stimmen mehrheitlich dafür entschieden, die Wehrpflicht in ein Positionspapier aufzunehmen. Chrupalla behauptete anschließend, ihn habe dafür „niemand überzeugen“ müssen. Daraufhin gab der Arbeitskreis Verteidigung einen entsprechenden Antrag in die fraktionsinterne Debatte.

Nun ist das Thema aufgrund der Ost-Intervention wieder offen. AfD-Chefin Weidel sagte am Montag auf Nachfrage der WELT AM SONNTAG, die Linie der Partei und Fraktion sei klar – für die Wehrpflicht. Diese sei aber „kein probates Mittel, dass deutsche Soldaten missbraucht werden, um in der Ukraine zu dienen“. Faktenwidrig behauptete sie außerdem: „Die Oberen in der SPD und auch in der CDU wollen, dass unsere Jugend und unsere Kinder in den Krieg geschickt werden.“ Auf einer der kommenden Sitzungen will die Fraktion eine Entscheidung treffen. Beide Seiten erwarten leidenschaftliche Diskussionen.

Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Zweiwöchentlich erscheint seine Kolumne „Gegenrede“. Im September erschien im Herder-Verlag sein Buch über den AfD-Politiker Björn Höcke. Einen Auszug können Sie hier lesen, das Vorwort von Robin Alexander hier.

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