Begeistert waren viele Abgeordnete von CDU und CSU im Bundestag über die Rekordschulden, die die Bundesregierung machen will und dem 500-Milliarden-Sondervermögen nie. Aber der Koalitionspartner SPD und der jahrelange Investitionsstau bei Straßen, Brücken und den Schienenwegen hatten dafür gesorgt, dass die Unionsfraktion der geplanten Mega-Verschuldung zustimmte. Dennoch wurde im Verlauf der Fraktionssitzung am Montag deutlicher Unmut über die geplante Verwendung der Milliarden laut – so laut, dass sich Bundeskanzler und CDU-Chef Friedrich Merz einschaltete und zu einer Klarstellung in der Infrastrukturpolitik veranlasst sah.
Aktueller Anlass der Verärgerung in der Union war ein vorangegangener Schlagabtausch zwischen Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) und Finanzminister Lars Klingbeil (SPD).
Schnieder hatte vor einigen Tagen über zu geringe Mittel für den Verkehrssektor geklagt – obwohl aus dem Sondervermögen eigentlich 300 Milliarden Euro für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur bereitstehen sollten. Bis zum Jahr 2029 würden dennoch knapp 15 Milliarden Euro für Fernstraßen fehlten und rund 2,5 Milliarden Euro für die Schiene, hatte der Verkehrsminister vorgerechnet. „Auf Basis der beschlossenen mittelfristigen Finanzplanung bis 2029 ist die Finanzierung der Bundesfernstraßen für die kommenden Jahre in vielen Bereichen nicht gesichert. Diese Unterfinanzierung führt zu erheblichen Konsequenzen in dieser Legislatur“, fasste das Verkehrsministerium die Lage zusammen.
Klingbeil reagierte kühl und schrieb dem Kabinettskollegen einen frostigen Brief, in dem er die Zahlen korrigierte und Schnieder unter anderem in Erinnerung rief, dass vorrangige Verkehrsprojekte zu identifizieren seien und es beim im Koalitionsvertrag vereinbarten.
„Wir haben da der Union viel, sehr viel abverlangt“
Der Grundsatz „Erhalt vor Neubau“ bleibe. Und das stößt den Unionsabgeordneten sauer auf. Denn die setzen durchaus auch auf Neubauprojekte. Das Verkehrsministerium hatte eine Liste mit zahlreichen Neubauvorhaben bei Autobahnen und Bundesstraßen vorgelegt, für die bereits bestandkräftiges Baurecht vorliegt, die aber „auf Basis der aktuellen Finanzplanung keine Baufreigabe erteilt werden“ könne, wie es in dem Papier heißt, das WELT vorliegt.
In der Union fragten nun einige Abgeordnete am Montag ungehalten, wie man Bevölkerung erklären wolle, dass man hunderte Milliarden Euro neuer Schulden aufnehme, aber dann fertig geplante Neubauprojekte nicht realisiert würden. Nach Teilnehmerkreisen soll sich Patrick Schnieder wie folgt zu Wort gemeldet haben: „Wenn es so bleibt, braucht man keinen Verkehrsminister mehr, dann kann man den Finanzminister entscheiden lassen.“
Nun kann der Kanzler nicht noch mehr schlechte Stimmung in der Fraktion brauchen. Einige in der Union haben ohnehin das latente Gefühl, in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD den schlechteren Schnitt gemacht zu haben. Ein Mitglied der SPD-Fraktionsspitze gab beim Fraktionstreffen jüngst in Würzburg zum Schuldenpaket unumwunden zu: „Wir haben da der Union viel, sehr viel abverlangt.“
Also schaltete sich der Kanzler am Montagnachmittag in der Fraktionssitzung ein. Zunächst launig und laut Teilnehmern nach WELT-Informationen mit folgendem Satz: „Wir haben das Oktoberfest nicht nur genutzt, um alkoholfreies Bier zu trinken. Sondern es gab im Vorfeld ein Gespräch der vier Parteichefs.“ Und dann ernster: Finanzminister und Vizekanzler Klingbeil habe zugesagt, dass aus den Mitteln des Sondervermögens auch der Neubau von Straßen und Schienenwegen finanziert werden soll. Es sei aufgrund des jahrelangen Vernachlässigens von Straßen und Schienen wichtig, die Substanz zu erhalten, so Merz. Richtig sei auch, dass der Grundsatz Erhalt vor Neubau gelter. „Aber“, so zitieren Teilnehmer den Kanzler: „Das heißt nicht, Erhalt statt Neubau.“
Die Frage stand sofort im Saal, wie das angesichts der Finanzplanung des für den Haushalt verantwortlichen Vizekanzlers und SPD-Chefs Klingbeil umgesetzt werden solle. Klar ist, dass die SPD viel weniger Bedarf an Straßenneubauten sieht, als die Union. Merz gab darauf die Antwort, dass möglichst alle baureifen Projekte verwirklicht werden sollen, und das durch drei Maßnahmen.
Zusätzlich zu den Mitteln aus dem Sondervermögen soll die Kreditfähigkeit der Autobahn-GmbH genutzt werden. Außerdem solle noch stärker als bislang privates Kapital gewonnen werden, zum Beispiel durch Gemeinschaftsprojekte von Staat und Wirtschaft, sogenannten ÖPP-Projekten. Und dann machte der Kanzler eine Milliarden-Ankündigung.
Ende Juli hatten 61 Firmen bei einem Treffen im Kanzleramt und der Gründung einer Initiative „Made for Germany“ bekanntgegeben, gemeinsam in den kommenden drei Jahren 631 Milliarden Euro am Standort Deutschland zu investieren. In der Fraktionssitzung erklärte der Kanzler nun, es stünden inzwischen 90 Investoren bereit, die Investitionszusagen in Höhe von 900 Milliarden Euro gemacht hätten. Danach war beim Verkehrsminister und den Fachpolitikern die Stimmung deutlich gelöster.
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