Seit einigen Jahren ist der Begriff Drohnenalarm der breiten Öffentlichkeit geläufig. Dass unbemannte Flugobjekte nahe kritischer Infrastruktur, Militäranlagen oder gar Flughäfen auftauchen, ist mittlerweile keine Seltenheit mehr. In den vergangenen Wochen häufen sich jedoch die Vorfälle. WELT beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was unterscheidet die jüngsten Vorfälle von bisherigen?

Nicht selten lösen private Drohnen an Flughäfen Alarm aus. Im Jahr 2023 zählte die deutsche Flugsicherung 151 Zwischenfälle, im vergangenen Jahr waren es 161. Diese führten aber bislang, wenn überhaupt, nur zu Verzögerungen im Flugbetrieb von wenigen Minuten. Zu nennenswerten Ausfällen kam es laut Behördenangaben nie.

Davon unterscheiden sich die Vorfälle der vergangenen Tage in Dänemark fundamental. Am Montag sorgten mehrere größere Drohnen am Flughafen von Kopenhagen für eine Unterbrechung des Flugverkehrs von rund vier Stunden. Zahlreiche Flüge mussten gestrichen oder umgeleitet werden.

In der Nacht zu Donnerstag wurden dann erneut Drohnen über dänischem Staatsgebiet gesichtet. Betroffen waren die Flughäfen Aalborg, Esbjerg und Billund. Auch dort musste der Flugbetrieb für mehrere Stunden pausieren. Über dem Luftwaffenstützpunkt Skrydstrup, wo moderne F-35-Kampfjets der dänischen Luftwaffe stationiert sind, wurden ebenfalls Drohnen gesichtet.

Anders als vereinzelte Sichtungen kleinerer Drohnen mutmaßlicher Hobby-Piloten, handelt es sich in Dänemark um eine „systematische Bedrohung“, wie die Regierung in Kopenhagen mitteilte. Alles deute darauf hin, dass ein professioneller Akteur dahinterstecke, sagte Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen.

Die Häufung der Drohnenflüge innerhalb weniger Tage lasse darauf schließen, dass es sich um eine koordinierte Aktion handele, so die dänischen Behörden. Die Drohnenaktivität in der Nacht zu Donnerstag in Aalborg ähnele in etwa derjenigen in Kopenhagen, sagte Bundespolizeichef Thorkild Fogde in einer nächtlichen Pressekonferenz. Man sehe ein ähnliches Muster, die Drohnen seien gut sichtbar und mit eingeschaltetem Licht unterwegs. Die Folgen der massiven Beeinträchtigung des Flugverkehrs, die einen großen wirtschaftlichen Schaden verursacht, unterscheidet sich ebenfalls von bisherigen Zwischenfällen.

Was bedeutet das für die Nato?

Als Vorstufe zur gegenseitigen Beistandspflicht nach Artikel 5 des Nato-Vertrags regelt der Artikel 4, dass jedes Nato-Mitglied, das seine Sicherheit bedroht sieht, seinen Fall vor den Nato-Rat bringen kann. Wörtlich heißt es: „Die Parteien werden einander konsultieren, wenn nach Auffassung einer von ihnen die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist.“

Polen hatte den Artikel 4 vor wenigen Wochen in Anspruch genommen, als mehr als zwei Dutzend Drohnen, die eindeutig aus Russland kamen, in das Staatsgebiet eingedrungen waren. Estland hatte vergangene Woche Beratungen nach Artikel 4 beantragt – dort waren keine Drohnen, sondern russische Kampfflugzeuge in den Luftraum eingedrungen. Ob der Nato-Rat damit beschäftigt wird, hängt also jeweils vom Mitglied selbst ab.

Warum werden die Drohnen nicht abgeschossen?

Sowohl im Fall Aalborg als auch im Fall der anderen westdänischen Flughäfen hatten die zuständigen Polizeidienststellen in der Nacht erklärt, dass man die Drohnen möglicherweise vom Himmel holen werde, wenn dies sicherheitsmäßig vertretbar sei. Am Ende wurde jedoch keine abgeschossen, wie der Einsatzleiter in Aalborg, Jesper Bøjgaard Madsen, erklärte.

Drohnen, die bei sogenannten hybriden Angriffen verwendeten werden, haben sich in der Vergangenheit als teils unempfindlich gegen elektronische Störmaßnahmen erwiesen, sodass nur der Abschuss bleibt.

Dabei stehen die Sicherheitsbehörden und das Militär vor einer schwierigen Abwägung: Welche Gefahr ist größer, die des Waffeneinsatzes gegen die Drohne oder die Bedrohung durch die Drohne selbst? Schließlich könnte der Flugkörper über besiedeltem Gebiet abstürzen und Schäden verursachen oder gar Menschenleben fordern.

Die Gefahren wurden kürzlich in Polen deutlich, wo die Nato als Reaktion auf einen Schwarm russischer Militärdrohnen Kampfflugzeuge aufsteigen ließ, die Lenkflugkörper abfeuerten und einige Drohnen abschossen. Ein Haus wurde nach Regierungsangaben dabei höchstwahrscheinlich von der Rakete eines westlichen Kampfjets getroffen.

Zudem ist es eine Kosten-Nutzen-Abwägung: Sollten Kampfjets teure Lenkflugkörper auf im Vergleich billige Drohnen feuern? Am aufwendigen und teuren Vorgehen in Polen hatte es öffentlich Zweifel und Kritik gegeben.

Das Problem: Das Thema Drohnenabwehr wurde lange verschlafen oder falsch eingeschätzt, sodass die nötige Waffentechnik, die schon entwickelt ist, bisher kaum in der Fläche vorhanden ist.

In der Bundeswehr will der Generalinspekteur Carsten Breuer schnell neue Waffensysteme zur Abwehr von Drohnen zum Einsatz bringen. „Eines ist für mich klar: Am Ende wird es vermutlich darauf hinauslaufen müssen, dass wir Drohnen gegen Drohnen einsetzen“, sagte Deutschlands ranghöchster Soldat der Deutschen Presse-Agentur.

Polen setzt nach dem Drohnenalarm auf das Know-how der von Russland angegriffenen Ukraine – vergangene Woche vereinbarten die Verteidigungsminister, dass die polnische Armee vom Nachbarland bei der Bekämpfung von Flugobjekten ausgebildet werden soll. Die ukrainische Armee wehrt russische Drohnen hauptsächlich mit Maschinengewehrfeuer ab. Dazu werden mobile Trupps mit Geländewagen, Hubschrauber und auch die unter anderem von Deutschland gelieferten Gepard- und Skynex-Systeme eingesetzt.

Was ist ein hybrider Krieg?

Die Regierung in Kopenhagen spricht von einem „hybriden Angriff“. Eine allgemein anerkannte Definition für Krieg gibt es im Völkerrecht nicht, aber in der Regel wird darunter ein mit militärischen Mitteln geführter Konflikt zwischen Staaten oder – im Falle eines Bürgerkriegs – zwischen organisierten großen Gruppen in einem Staat verstanden. Spätestens mit dem Aufkommen des modernen Terrorismus um 1970 zeigte sich aber, dass es auch andere Formen gewaltsamer Konflikte gibt.

Mit den islamistischen Anschlägen auf New York und Washington D.C. am 11. September 2001 setzte sich diese Einsicht auch in der Öffentlichkeit durch. Als geeignete Bezeichnung bot sich hybrider Krieg an, in dem Staaten die Angriffsziele nicht-staatlicher Gewalttäter sind und Waffen im klassischen Sinne durch moderne Technologie ergänzt werden können.

Im knappen Vierteljahrhundert seither ist dieser Begriff ausgeweitet worden auf (staatlich gesteuerte oder nicht-staatliche) Attacken mit digitalen oder sonstigen nicht direkt militärischen Waffen außerhalb formal erklärter oder faktisch geführter Kriege. Seit 2014 wird dieser Begriff für das Vorgehen Russlands gegen die Ukraine verwendet, den der Kreml im Februar 2022 zum klassischen Angriffskrieg ausweitete. 

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