Es wirkt wie ein Tauziehen, bei dem noch offen ist, wer am stärkeren Ende sitzt. Fest steht schon jetzt, dass der Streit um den deutsch-französischen Kampfjet FCAS (Future Combat Air System) die Beziehungen der beiden Länder stark belastet. Der französische Flugzeugbauer Dassault beansprucht eine neue Führungsrolle. Airbus beharrt aber auf gleichberechtigtem Zugang zu den Schlüsseltechnologien.

Inzwischen zeigen die Deutschen ihre Skepsis angesichts einer weiteren Zusammenarbeit mit den französischen Partnern von Dassault immer offener. Mit den Überlegungen des Airbus-Defense-Konzerns vertraute Personen machten vergangene Woche deutlich, dass man den FCAS auch ohne die Franzosen bauen könne. Sollte Dassault weiter auf einer Führungsrolle bestehen, werde man das Kampfflugzeug oder Teile davon, wie etwa die Drohnenkomponente oder das digitale Gefechtsfeldmanagement, ohne Dassault realisieren und dafür notfalls auch neue Partner suchen.

Um den ambitionierten Zeitplan des Projekts nicht zu gefährden, ist eine Entscheidung auf Regierungsebene bis Jahresende notwendig. Im Oktober werden sich die Verteidigungsminister Frankreichs, Deutschlands und Spaniens in Berlin treffen. Alle drei Länder sind am Projekt beteiligt. Womöglich entscheidet aber erst eine Verhandlung zwischen Kanzleramt und Élysée-Palast den Konflikt zwischen Airbus und Dassault.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron haben einen Neuanfang der deutsch-französischen Beziehungen beschworen. Vom Erfolg der Verhandlungen hängt ab, ob jene Reden letztendlich nur leere Worte waren. Denn im Augenblick wirkt es unwahrscheinlich, dass Berlin und Paris das Kriegsbeil begraben und einen Kompromiss finden können.

Käme es nach sieben Jahren zum Projekt-Aus, dann wäre nicht nur viel Zeit vertan und Geld verschleudert worden. Man würde auch ein fatales Signal nach außen senden, in Zeiten, die Europa dringend mehr Zusammenhalt abverlangen.

Ambitionierter Zeitrahmen

Doch beharrt nicht nur Dassault Aviation auf einer Führungsrolle, sondern auch der Élysée-Palast. „Wenn tatsächlich keine Einigung über eine Neuorganisation des Programms erzielt werden kann, ist Frankreich in der Lage, seine Kampfflugzeuge alleine zu bauen. Das bedeutet nicht, dass es ein rein französisches Projekt wird“, erklärte ein französischer Verantwortlicher anonym, den die Zeitung „La Tribune“ zitiert.

Dass Paris die 2018 gemeinsam festgelegten Spielregeln ändern will, hängt mit einem Audit zusammen. Danach wird der FCAS nicht rechtzeitig bis 2040 fertig und würde die französische Atomabschreckung gefährden. Französische Verantwortliche sprachen von „dringendem Bedarf“. Die Atommacht Frankreich wolle nicht riskieren, dass sich das Projekt weiter verzögere.

Links- wie Rechtspopulisten pochen in Frankreich ohnehin seit jeher auf französische Unabhängigkeit und haben das deutsch-französische Projekt mit Skepsis verfolgt. „Kein Industrieabkommen mit unseren Nachbarn hat jemals funktioniert. Unabhängigkeit und Souveränität in Verteidigungsfragen haben Priorität“, schrieb der französische Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon auf X.

In Deutschland hat die Suche nach möglichen Ersatzpartnern bereits begonnen. Einer möglichen Kooperation mit dem schwedischen Flugzeug- und Rüstungskonzern Saab erteilte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) Anfang vergangener Woche jedoch eine Absage. Und beim britisch-italienisch-japanischen Konkurrenzprodukt Global Combat Air Programme sind die Aufgaben schon fest verteilt, Airbus käme als Bittsteller an den Verhandlungstisch.

Aktuell erwägen weitere deutsche Programmpartner, das Projekt notfalls mit den übrigen französischen Partnern fortzusetzen, aber ohne Dassault. Am Donnerstag erklärte der Münchner Rüstungskonzern Hensoldt in Berlin, die Zusammenarbeit mit der französischen Thales und der spanischen Indra Systemas zur Entwicklung der FCAS-Elektronik verlaufe problemlos.

Die jüngsten Äußerungen von Dassault-Chef Éric Trappier, den Jet der nächsten Generation alleine bauen zu können, bezeichnete Oliver Doerre, der Geschäftsführer von Hensoldt, als „bizarr“. Als Bürger Europas fände er es „äußerst traurig“, wenn dieses Programm scheitern sollte, und sprach von einer „großen verpassten Chance für Europa“.

Vor einem Untersuchungsausschuss der französischen Nationalversammlung hatte Dassault-Chef Trappier vergangene Woche von „Schwierigkeiten aller Art“ gesprochen. Es sei nicht nur ein Konflikt zwischen Airbus und Dassault. Er nannte seine Stellungnahme einen „Wutausbruch“, den er damit begründete, dass er die Deutschen gut kenne.

In Deutschland habe allein der Bundestag das Sagen. Der wolle naturgemäß, dass die eigene Industrie mehr Aufträge bekomme als die französische. „Die Kompetenz und die Frage, ob das Flugzeug effizient sein wird, sind nicht das Thema“, so Trappier. „Die Deutschen können sich beschweren“, aber man wisse in Frankreich, wie man es richtig mache, sagte der Dassault-Chef siegesgewiss.

Ähnlich selbstbewusst wie der Franzose trat wenige Tage später Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CDU) auf, als das bayerische Start-up Helsing in Tussenhausen bei Augsburg ihren „CA-1“ vorstellte, einen unbemannten Kampfjet. Söder lobte das „echt geile Unternehmen“ und ergänzte mit Blick auf den FCAS: „Entweder geht es weiter mit unserem französischen Partner, oder man muss sich Alternativen suchen.“

Der deutsche Airbus-Defense-Vorläufer MBB hatte mit Dassault schon einmal an einem deutsch-französischen Kampfjet gearbeitet. Auch damals war die Zusammenarbeit gescheitert, als Frankreich 1985 beim gemeinsamen Projekt Eurofighter ausschied. Anschließend hatte Dassault die Rafale entwickelt, ein rein französisches Kampfflugzeug, dessen Name sich mit Windböe übersetzen lässt. Die Rafale basierte auf den Ergebnissen der gemeinsamen Forschungsarbeit mit MBB.

Lange Liste an Streitpunkten

Heute wie damals streiten Frankreich und Deutschland nicht nur um die Arbeitsteilung, sondern auch um grundsätzliche taktische Erwägungen. Frankreich will seine Kampfjets immer auch von den eigenen Flugzeugträgern starten können. Aus deutscher Sicht aber birgt das diverse Einschränkungen, denn die Jets müssen kleiner und leichter sein, um auf die Flugdecks und in die Aufzüge der Schiffe zu passen.

Gleichzeitig müssen Trägerflugzeuge robuster gebaut werden, da die Start- und Landebelastungen größer sind. Das macht sie schwerer und beschränkt die Nutzlast. Auch ist es schwieriger, interne Waffenschächte einzubauen, die wiederum wichtig für Tarnkappentechnologie sind. Unter diesen Voraussetzungen aber lässt sich ein getarnter Luftüberlegenheitsjäger mit hohen Leistungs- und Treibstoffreserven, wie von Deutschland gewünscht, nur schwer realisieren.

Beide Seiten pochen auf den Zeitplan. Bis spätestens 2040 soll der FCAS-Jet im Einsatz sein. Bereits jetzt ist dieser Zeitrahmen extrem ambitioniert. Das zeigt der Blick auf Jetprojekte der Vergangenheit. Müssten die Projektpartner nun auch noch ein grundlegend neues Triebwerk entwickeln, wäre der Zeitplan nicht zu halten. Auch deswegen will die französische Seite den Jet in Gewicht und Größe auf 15 Tonnen begrenzen, wie „Politico“ aus Gesprächen mit französischen Offiziellen berichtete.

Wegen neuer Erfahrungen aus dem Ukrainekonflikt hat sich die Gewichtung des Projekts bereits verschoben. FCAS beinhaltet nicht mehr nur den reinen Jet, sondern auch unbemannte Begleitdrohnen und die Einbindung in ein digitales Gefechtsmanagementsystem. Bemannte Jets sollen mit Drohnen konstant Daten austauschen, diese mit KI auswerten und dadurch teilautonom agieren können.

Die Drohnenentwicklung soll Airbus Defense übernehmen, zur Einbindung der Flieger in ein digitales Gesamtsystem und die Erarbeitung eines elektronischen Gefechtsmanagementsystems sehen sich beide Seiten fähig. Auch, weil künftig genau in diesen innovativen Bereichen ein Großteil der Wertschöpfung und Weiterentwicklung liegen könnte.

Martina Meister berichtet im Auftrag von WELT seit 2015 als freie Korrespondentin in Paris über die französische Politik.

Benedikt Fuest ist Wirtschaftskorrespondent für Innovation, Netzwelt, IT und Rüstungstechnologie.

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