Der Syrer Issa Al H. hatte sich vorbereitet, bevor er im August 2024 drei Menschen auf einem Festival in Solingen mit einem Messer erstach. Über den Messengerdienst Telegram hatte er mit IS-Anhängern über seine Pläne gechattet, sich von ihnen beraten lassen und Bekennervideos übermittelt. Wären Ermittler den Chats rechtzeitig auf die Spur gekommen, hätte sich der Anschlag womöglich verhindern lassen. Aber hätte Issa Al H. auch dafür bestraft werden können, dass er die Tötung mehrerer Menschen plante?
Bislang sind reine Gedankenspiele zu möglichen Straftaten in der Regel nicht strafbar. Etwas anderes ist es, etwa wenn jemand eine schwere staatsgefährdende Gewalttat tatsächlich vorbereitet. Allerdings sind die Hürden hoch. Die Behörden müssen in der Regel nachweisen, dass sich jemand zum Beispiel Schusswaffen gekauft oder Sprengstoff hergestellt hat. Issa Al H., der für seinen Anschlag ein gewöhnliches Messer nutzen wollte, hätte im Vorfeld der Tat womöglich strafrechtlich gar nicht belangt werden konnte. Ein Zustand, der vielen nicht mehr zeitgemäß erscheint – und den Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) nun ändern möchte.
Am Mittwoch soll das Bundeskabinett nach WELT-Informationen einen Gesetzentwurf aus ihrem Haus beschließen, mit dem das Strafgesetzbuch angepasst werden soll. Die bereits jetzt strafbare Vorbereitung terroristischer Straftaten soll auf moderne Anschlagsplanungen ausgeweitet werden. Künftig sollen demnach auch Fälle erfasst werden, in denen ein Anschlag mit einem gefährlichen Werkzeug, etwa einem Fahrzeug oder einem Messer, vorbereitet wird. Dies geschehe „vor dem Hintergrund, dass bei den Anschlägen in jüngerer Zeit vermehrt Fahrzeuge oder Messer genutzt wurden“, heißt es in dem Gesetzentwurf. Er liegt WELT vor.
„Extremisten, Terrornetzwerke und autoritäre Staaten arbeiten ganz gezielt gegen uns – und unsere freie Gesellschaft“, sagte Hubig WELT. „Hierauf geben wir eine klare Antwort, indem wir unser Strafrecht klar gegen Bedrohungen durch Terrorismus und ausländische Spionage nachjustieren. Unsere Strafverfolgungsbehörden können so wirksamer schon gegen die Vorbereitung von Anschlägen und hybrider Kriegsführung vorgehen. Das gilt insbesondere auch für die Vorbereitung von Anschlägen mit Alltagsgegenständen wie Autos oder Messern, die die Sicherheit der Menschen hier in Deutschland besonders bedrohen.“
Aus Sicht des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) sind die Pläne wichtig, um den aktuellen Gefährdungslagen besser begegnen zu können. „Insbesondere die Einbeziehung von sogenannten ‚gefährlichen Werkzeugen‘ wie Fahrzeugen oder Messern trägt dazu bei, eine bislang bestehende Lücke zu schließen“, sagte der Bundesvorsitzende Dirk Peglow WELT. „Täter, die zur Vorbereitung auf Alltagsgegenstände zurückgreifen, können künftig bereits früher erfasst und verfolgt werden.“
Mit der Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie werde „endlich“ eine Sicherheitslücke geschlossen. „Wer mit einem Messer oder einem Auto einen Terroranschlag vorbereitet, darf nicht länger strafrechtlich unbehelligt bleiben“, so Peglow. „Entscheidend und zugleich nicht ganz triviale Aufgabe der Ermittlungsführung ist es jedoch, dass die Strafbarkeit klar an eine terroristische Absicht gebunden wird. Nur so lässt sich verhindern, dass der normale Alltagsgebrauch kriminalisiert wird.“
In der Praxis müssen Ermittler abwägen. Im Netz veröffentlichen viele Menschen abstrakte Gewaltfantasien, ohne diese je in die Tat umzusetzen. Die meisten dieser Menschen werden ein Auto oder ein Messer zu Hause haben. Bevor die Polizei Haft beantragt, müssen Anschlagsplanungen konkret sein. Auch weiterhin werden die Beamten potenzielle Täter beobachten müssen.
„Für Ermittlungsbehörden und Gerichte bedeutet die Neuregelung eine komplexe Beweisführung und erheblichen zusätzlichen Aufwand“, sagt Peglow. „Ein Gesetz allein verhindert keinen Anschlag – ohne Personal und Technik verpufft jede Reform.“ Notwendig seien mehr Ressourcen, damit Polizei und Justiz die neuen Möglichkeiten auch tatsächlich nutzen könnten. So müsse etwa beim Generalbundesanwalt eine „substanzielle Aufstockung“ von Stellen erfolgen, damit die Verfahren im Bereich der Terrorismusbekämpfung zügig und rechtssicher bearbeitet werden könnten.
Der Gesetzentwurf von Hubig sieht noch weitere Änderungen vor. So sollen künftig auch Einreisen nach Deutschland strafbar sein, wenn sie das Ziel haben, eine terroristische Straftat zu begehen. „Ein Anwendungsfall ist hier die Einreise sogenannter ‚Hit-Teams‘, insbesondere einer paramilitärisch ausgebildeten Gruppe von Kämpfern einer terroristischen Vereinigung, die gezielt in ein Land einreist, um dort einen terroristischen Anschlag zu verüben“, heißt es im Gesetzentwurf. „Dabei kann zwischen dem Zeitpunkt der Einreise und dem späteren Anschlag eine durchaus größere Zeitspanne liegen.“
Die illegale Schleusung von Mitgliedern einer ausländischen terroristischen Vereinigung sei zwar bereits im Strafrecht erfasst. Davon betroffen seien aber „keine terroristisch motivierten Einreisen von Personen, die nicht an eine terroristische Vereinigung angebunden sind.“
Politikredakteurin Ricarda Breyton schreibt seit vielen Jahren über Migrationspolitik.
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