• Der Anteil der Befragten ist gestiegen, die eher ein geteiltes als ein gemeinsames Deutschland sehen.
  • Die klare Mehrheit findet, beide Landesteile wachsen derzeit nicht weiter zusammen oder driften sogar auseinander.
  • Die knappe Hälfte hält Ost-West-Debatten für nötig, fast ebenso viele empfinden sie als kontraproduktiv.

"Die Unterschiede zwischen Ost und West sind noch zu groß. Außerdem sind noch die Generationen präsent, die als Erwachsene die ehemalige DDR erlebt haben", schreibt Michael (62) aus dem Erzgebirgskreis. Auch Peer (35) aus dem Saale-Holzland-Kreis sieht 35 Jahre nach der Deutschen Einheit noch kein zusammengewachsenes Land und eher Rückschritte als Fortschritte: "Ich hätte es auch vor Jahren nicht gedacht, aber die Unterschiede werden gefühlt eher größer als kleiner. Man sieht das politisch und finanziell." Er verweist darauf, dass fast die komplette Erbschaftssteuer in den alten Bundesländern anfalle und schlussfolgert: "Damit ist alles gesagt und die Unzufriedenheit wächst." Im aktuellen Stimmungsbild von MDRfragt sehen 3 von 4 Befragten (74 Prozent) noch eine Teilung in Ost und West.

Katja (49) aus dem Jerichower Land und Erik (37) aus Dresden finden dagegen: Die Deutschen sind inzwischen wieder zusammengewachsen. Katja begründet das so: "Ost und West ist nur noch in den Köpfen der 'Älteren'. Der Unterschied ist wie Sachse und Hanseat." Aus Sicht von Erik gibt es zwar noch Unterschiede, aber: "Ich denke, im Großen und Ganzen sind wir ein Land. Nur in manchen Dingen gibt es noch Luft nach oben. Wie zum Beispiel beim Lohn." Ähnlich wie Katja und Erik geht aktuell jeder und jede vierte Befragte (24 Prozent) von einem Zusammenwachsen des Landes aus.

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Anteil der Befragten wächst, die von weiter spürbarer Teilung ausgehen

Schon seit fünf Jahren fragt das MDR-Meinungsbarometer immer zum Feiertag am 3. Oktober die Menschen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, wie sie auf die Deutsche Einheit blicken. Im Langzeitvergleich zeigt sich eine klare Tendenz: Der Anteil der Befragten, die finden, dass Ost und West mehr teilt als eint, ist gewachsen.

  • 2021 sahen 63 Prozent der Befragten kein Zusammenwachsen, im Jahre darauf waren es 67 Prozent.
  • 2023 teilten 73 Prozent und 2024 dann 71 Prozent der Teilnehmenden diesen Eindruck.
  • In diesem Jahr sind es 74 Prozent der Befragten, die nicht das Gefühl haben, Ost und West sind zusammengewachsen.

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Für die aktuelle Befragung hat das MDRfragt-Team zum ersten Mal mit dem Meinungsbarometer des Norddeutschen Rundfunks zusammengearbeitet. Beide Redaktionen wollten wissen, ob NDRfragt-Teilnehmer beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein oder Hamburg anders auf den Stand der Deutschen Einheit blicken als die MDRfragt-Gemeinschaft. Dafür haben wir einige Fragen in beiden Communitys gestellt – mit überraschenden Ergebnissen. Im Nordosten und -westen Deutschlands ist der Blick auf das Zusammenwachsen tatsächlich etwas anders und insgesamt positiver als in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

  • Bei NDRfragt findet nicht ganz die Hälfte der Befragten (45 Prozent): Die Deutschen sind bisher zu einer Nation zusammengewachsen.
  • Davon gehen bei MDRfragt nur 24 Prozent der Befragten und damit deutlich weniger Teilnehmende aus.
  • Etwas mehr als die Hälfte der NDRfragt-Teilnehmer (54 Prozent) sehen bisher noch kein Zusammenwachsen, bei MDRfragt sehen das 74 Prozent der Befragten so.

Die Ergebnisse der einzelnen Bundesländer im Norden und im Osten sind in der Grafik dargestellt. Die zeigt deutlich, dass die Befragten aus Mecklenburg-Vorpommern in der Tendenz ähnlich auf den Stand der Einheit blicken wie die MDRfragt-Gemeinschaft. Im Bundesland an der Ostsee gehen im Vergleich aber etwas mehr Befragte von einem Zusammenwachsen aus: 3 von 10 Befragten (32 Prozent).

Sehr große Mehrheit findet, mit Zusammenwachsen geht es gar nicht voran

"Weniger Trennung, mehr gemeinsam. Das sollte das Ziel sein", findet Sandra (46) aus dem Landkreis Börde. Doch aus Sicht einer deutlichen Mehrheit gehen Ost und West derzeit nicht weiter zusammen. Nur jede und jeder zehnte Befragte (10 Prozent) geht derzeit von einem Zusammenwachsen aus. 5 von 10 Teilnehmenden (51 Prozent) finden dagegen, im Einigungsprozess herrsche aktuell Stillstand. Für 4 von 10 Befragten (37 Prozent) driften Osten und Westen derzeit sogar eher auseinander.

Jana aus Halle/Saale setzt ihre Hoffnungen auf die kommende Generation: "Mit meinen 50 Jahren denke ich immer noch in Ost- und Westbegriffen, aber die folgende Generation hat schon fast alles abgelegt." Zu der von Jana angesprochenen "folgenden Generation" gehört Angelique (23) aus dem Landkreis Görlitz. Doch auch sie sieht beim Blick auf die aktuelle Lage ein Zusammenwachsen zumindest in etwas weiterer Ferne: "Erst wenn der erste Ostdeutsche ein westdeutsches Bundesland als Ministerpräsident anführt oder einen westdeutschen Konzern leitet, dann können wir vielleicht von deutscher Einheit sprechen.  Aber solange der westdeutsche Eliteklub in Wirtschaft, Politik, Kultur und Sport unter sich bleibt, ist die innere Einheit des Landes, das Deutschland heißt, nicht vollendet."

Mit meinen 50 Jahren denke ich immer noch in Ost- und Westbegriffen, aber die folgende Generation hat schon fast alles abgelegt.

MDRfragt-Teilnehmerin Jana (50) aus Halle/Saale

Im direkten Vergleich zieht die NDRfragt-Gemeinschaft aus dem Norden ein ähnliches Fazit zum aktuellen Stand des Zusammenwachsens:

  • Ähnlich wie bei MDRfragt geht nur jeder und jede Zehnte (10 Prozent) davon aus, dass sich Ost und West derzeit weiter annähern.
  • 4 von 10 Befragten (41 Prozent) haben dagegen den Eindruck, man entferne sich eher wieder voneinander.
  • Das sehen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen auch 4 von 10 Teilnehmenden (37 Prozent) so.

In der aktuellen Befragung gibt die MDRfragt-Gemeinschaft auch ganz konkrete Hinweise, was genau den Einheitsprozess voranbringen könnte. Dabei geht es den meisten offenbar nicht um ihre eigene wirtschaftliche Situation. Tatsächlich ist zwar der wirtschaftliche Rückstand des Ostens bis heute nicht ausgeglichen, sind Einkommen geringer und beim Erben und bei Schenkungen klafft die Schere deutlich auseinander. Aber mit ihrer persönlichen wirtschaftlichen Situation zeigen sich 7 von 10 Befragten (67 Prozent) zufrieden. Vielmehr stehen gesellschaftliche und strukturelle Ungleichheiten im Vordergrund: Viele MDRfragt-Teilnehmer sehen Politik und Wirtschaft noch zu stark von Westdeutschen bestimmt (91 Prozent), beobachten Nachteile der ostdeutschen Herkunft auf den beruflichen Werdegang (46 Prozent) und finden, dass Ostdeutsche an vielen Stellen als Bürger zweiter Klasse gesehen werden (81 Prozent).

Geteiltes Stimmungsbild zu Ost-West-Debatten: Vorurteils-Verstärker oder notwendig wegen Ungleichheiten?

Eine knappe Mehrheit der Befragten (51 Prozent) findet, es müsse weiter diskutiert werden: über alles, was Ost und West trennt oder zwischen den beiden Landesteilen einfach nicht gut läuft. 4 von 10 Teilnehmenden (43 Prozent) haben dagegen den Eindruck, Ost-West-Debatten behinderten das Zusammenwachsen eher. In der NDRfragt-Gemeinschaft ist das Stimmungsbild zu diesen Diskussionen auch geteilt: Allerdings hält von den Befragten aus dem Nordosten und -westen eine knappe Mehrheit (52 Prozent) Ost-West-Debatten für kontraproduktiv. Für notwendig halten sie 4 von 10 Teilnehmenden (43 Prozent) aus der NDRfragt-Community.

Mandy (44) aus Erfurt hat den Eindruck, Ost-West-Debatten verstärkten die Vorurteile über den jeweils anderen Landesteil nur. Wie zahlreiche andere Befragte wünscht sie sich, lieber Gemeinsamkeiten zu betonen als Trennendes zu benennen. "Es wäre mal eine deutsche Debatte gut. Über alles, was wir gemeinsam geschafft haben, was uns ausmacht und was wir alle gemeinsam haben. Etwa das Weihnachtsfest, gemeinsame Projekte, Erfindungen, das Helfen in der Not bei Naturkatastrophen. So wachsen die Menschen mit einem Wir-Gedanken auf und der fehlt in dieser Gesellschaft." In zahlreichen Kommentaren weisen Befragte darauf hin, dass es auch zwischen geografischen Regionen Unterschiede gebe. Die würden aber anders als bei der Ost-West-Debatte viel seltener problematisiert. Silvia (45) aus dem Landkreis Meißen meint: "Was für eine Diskussion… Mein Mann, Pfälzer – ich, Sächsin. Unsere Kinder sind mittlerweile über 20 Jahre alt. Was sind sie? Wossis?" Ulrike aus dem Landkreis Bautzen findet, bestehende Unterschiede sollten akzeptiert und nicht herausgestrichen werden: "Nach so vielen Jahren muss doch mal Schluss sein. Jede Region hat ihre eigene Besonderheit. Statt erfolgloser Gleichmacherei sollten wir genau diese Diversität langsam, aber sicher mal annehmen und darauf stolz sein."

Es wäre mal eine deutsche Debatte gut. Über alles, was wir gemeinsam geschafft haben, was uns ausmacht und was wir alle gemeinsam haben.

MDRfragt-Teilnehmerin Mandy (44) aus Erfurt

Solange wirtschaftliche Unterschiede zwischen Osten und Westen bestehen, müsse darüber auch geredet werden. Diese Sicht beschreiben in ihren Kommentaren viele der Befragten, aus deren Sicht Ost-West-Debatten weiter notwendig sind. Sabine (41) aus dem Landkreis Saalfeld-Rudolstadt schreibt: "Solange es einem Unternehmen erlaubt ist, systematisch den Mitarbeitern an der verlängerten Werkbank im Osten weniger Lohn/Gehalt zu zahlen, die Einnahmen von dort über innerbetriebliche Geschäfte zu Ausgaben an den Weststandort zu machen und damit höhere Gehälter an die West-Mitarbeiter zu finanzieren und auch die Steuern im Westen abführen anstatt dort, wo sie erwirtschaftet werden, so lange ist die Ost-West-Debatte dringend notwendig."

Jan (49) aus dem Landkreis Nordsachsen hält die Diskussionen weiterhin für angebracht. Die müssten aber möglicherweise anders geführt werden als bisher, um wirklich einen Nutzen zu haben: "Die Ost-West-Debatte ist längst keine Diskussion auf Augenhöhe mehr. Vielmehr erleben wir, wie ostdeutsche Erfahrungen systematisch entwertet und von Teilen der politischen und medialen Elite kleingeredet werden. Was als Dialog verkauft wird, ist oft ein Monolog der Besserwisser – mit moralischem Zeigefinger und pauschaler Schuldzuweisung." Anja (39) aus dem Landkreis Sömmerda schließlich findet: Wer nicht mehr miteinander diskutiert, entfernt sich voneinander. "Schauen wir weiter weg, werden die Gräben tiefer, der Frust vor allem im Osten größer und das hat massive Folgen, wie man zum Beispiel an den Wahlen sieht."

Über diese Befragung

Die Befragung: "Ost? West? Egal?" lief vom 24. bis 29. September 2025. Insgesamt haben 23.340 Menschen aus Sachsen (11.940), Sachsen-Anhalt (5.621) und Thüringen (5.779) mitgemacht. Parallel hat NDRfragt die eigene Gemeinschaft im Norden zum Tag der Einheit befragt. Bei einzelnen Fragen haben sich die zwei Reaktionen abgestimmt und diese Fragen beiden fragt-Gemeinschaften gleich gestellt. Mehr dazu und die Ergebnisse finden Sie bei den Kolleginnen und Kollegen von NDRfragt.

Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.

Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach bewährten wissenschaftlichen Kriterien und Methoden anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen.

Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland. MDRfragt wissenschaftlich beraten und begleitet. Dabei geht es um die Weiterentwicklung des Angebotes ebenso wie über die Überprüfung der Aussagekraft, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests.

Aufgrund von Rundungen kann es vorkommen, dass die Prozentwerte bei einzelnen Fragen zusammengerechnet nicht exakt 100 ergeben.

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