Am Anfang einer ihrer erfolgreichsten Fahndungen fühlten sich die Ermittler eingeseift. Sie hatten am 18. April 2023 einen Tipp ihrer kolumbianischen Kollegen erhalten. Die Mitarbeiter der dortigen Anti-Drogen-Behörde Diran hielten zwei Container für verdächtig, die an die Firma Fortuga Commercial Company UG in Mannheim verschickt wurden.
Das Kokain- und Bananen-Exportland Kolumbien war bisher nicht als Handelspartner für Reinigungsprodukte in Erscheinung getreten, der Verdacht lag nahe, dass hier jemand eine Tarnladung angegeben hatte. Im Hamburger Hafen fischten Zöllner die beiden Kisten aus dem Verkehr und durchsuchten sie – und stießen auf tonnenweise Kernseife.
Trotzdem schien am Geschäft etwas nicht zu stimmen. Die Polizisten nahmen sich die Mannheimer Empfänger-Firma vor und merkten schnell, dass es sich beim Firmensitz um eine Scheinadresse handelte. Geschäftsführer und zugleich Gesellschafter der Firma war bis zum 26. Juni 2023 der Angeschuldigte Martin F., ein 42-jähriger Geschäftsmann aus dem Rhein-Sieg-Kreis.
Martin F. hatte nicht nur ein virtuelles Büro: Insgesamt 78 Gesellschaften liefen auf seinen Namen, und mit dem von ihm gegründeten Berliner Unternehmen „Gründerbaum“ bot er jungen Unternehmen „fertig“ gegründete Firmenhüllen oder Vorratsgesellschaften zum Kauf an, samt Handelsregistereintrag, Internetadresse sowie Steuer- und Zollidentitätsnummer.
Das ist soweit legal. Doch die Firmen, die F. selbst steuerte, hatten sich auf die Einfuhr von Waren aus Ländern spezialisiert, die als Kokain-Exporteure gelten. Ein Zollverbindungsbeamter aus Den Haag teilte mit, dass in den Niederlanden ein neuer Modus Operandi bekannt sei, wonach Rauschgiftbanden undurchsichtige Firmen gründen und nach Durchführung mehrerer Testlieferungen große Mengen Rauschgift nach Europa einschmuggeln.
Die Seife war nur ein Test.
Kurz darauf kam es zu Kokain-Funden in weiteren Seecontainern, die ebenfalls für von dem Angeschuldigten Martin F. gegründete Firmen bestimmt waren. In zehn Lieferungen schmuggelten sie etwa 40 Tonnen hochreines Kokainhydrochlorid nach Deutschland. Es ist das von der Menge her größte Drogenverfahren in Deutschland.
Nur 17 Seiten lang ist die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Köln im Verfahren gegen die sieben Männer, die mit ihren Anwälten am Donnerstag im Saal 210 des Kölner Landgerichts sitzen. Der mutmaßliche Boss, Ümit D., ist einschlägig vorbestraft. Im Zuschauerbereich sitzen Männer, die ihm zunicken; sie tragen alle den gleichen Bart und die gleiche Frisur.
Mit monotoner Stimme trägt die Staatsanwältin die Fälle vor. Im April kamen sechs Kühl-Container aus Ecuador am Hamburger Hafen an – sechs von täglich bis zu 17.000 tausend Stahlboxen, die die Kräne von den Frachtern laden. Sie hatten das südamerikanische Land am 20. März für die Reise über den Atlantik verlassen. Ihr Inhalt: Bananen, ihr Empfänger: Die Firma Portwisea GmbH aus Mannheim.
Merkwürdigerweise schien sich aber niemand um die verderbliche Ware zu kümmern, die unverzollten Container standen 16 Tage lang im Hafen herum. Da die Behälter aus einem „rauschgiftsensiblen“ Land stammten, wie es der Zoll ausdrückt, kontrollierten die Fahnder die Ladung – und fanden im Container mit der Nummer MNBU 1022857 zwischen Bananen genau 1151 Pakete, die Kokain mit einem Gesamtgewicht von 1358 Kilogramm enthielten. Für diese schien sich zumindest jemand auf der anderen Seite des Ozeans zu interessieren: Eines der Kokain-Pakete war mit einem Apple Airtag versehen, das auf eine im ecuadorianischen Guayaquil gemeldete Person registriert war.
Die Ermittler steckten die Pakete mit dem weißen Pulver in die Asservatenkammer und legten sich auf die Lauer. Irgendjemand würde die Ladung doch abholen wollen – im Großhandel kostet das Kilogramm Kokain etwa 30.000 Euro, der Wert der Pakete betrug also um die 30 Millionen Euro.
Kurz darauf meldete sich die Speditionsfirma Efe Container Logistik GmbH und holte den Koks-Container am 28. April 2023 ab. Doch das Geschäft lief weiter. Allein in Hamburg kamen zwischen April und September 2023 sieben Lieferungen an. Die kleinsten hatten demnach ein Volumen von etwas mehr als 200 Kilogramm, in der größten steckten 12,5 Tonnen, getarnt als Sesam aus Paraguay. Ein Koks-Container wurde gelöscht, bevor die Ermittler zugreifen konnten.
„Üblicherweise halten Dealer die Klappe“, sagt ein Anwalt
Die sieben Bandenmitglieder aus Deutschland, der Türkei, Bulgarien und Marokko wirken nicht unbedingt wie ganz harte Jungs eines mitteleuropäischen Drogenkartells. Das Gesetz des Schweigens, die „Omerta“, scheint für sie nicht zu gelten. Sechs Angeklagte kündigten am ersten Verhandlungstag an, sich umfassend zur Sache einzulassen, teilweise auch zu gestehen. Firmengründer F. betonte schon in seiner Vernehmung, dass er nicht gewusst habe, für wen er Unternehmen gründete, und gab an, dass Ümit D. ihn getäuscht habe.
Sollten sich die früheren Gefährten nun in den kommenden Wochen wechselseitig belasten, könnte es vor Gericht noch turbulent werden. „So etwas habe ich bei Drogen-Prozessen noch nie gesehen“, sagt ein Anwalt am Rande des Verfahrens zu WELT. „Üblicherweise halten die Dealer die Klappe.“
Dabei gäbe es durchaus noch einiges zu erzählen. So berichteten einzelne Beschuldigte in Vernehmungen von einem geheimnisvollen Mann „aus dem warmen Land“, wie die Männer ihn nannten. Er soll wohl in Dubai gelebt und Ümit D. Aufträge erteilt haben. Doch der ganz große Unbekannte soll ein Mann namens Kamil S. sein, der die ganze Unternehmung aus der Türkei gesteuert haben soll. Wer hinter der aufgeflogenen Bande steckte, könnte also noch publik werden.
Der große Fahndungserfolg hatte allerdings keine Auswirkungen auf den Drogenmarkt. Der Straßenverkaufswert für Kokain blieb das ganze Jahr 2023 über stabil, egal, wie viele Tonnen die Ermittler abgriffen.
Chefreporter Per Hinrichs schreibt über Kriminalität, Justiz und weitere Gesellschaftsthemen.
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