Der Spitzname von Patrick Schnieder lautet „Eifelturm“. Das hat nichts mit dem berühmten Stahlbauwerk in Paris zu tun: Der über zwei Meter große CDU-Politiker stammt aus dem Mittelgebirge in Rheinland-Pfalz. Den dortigen Landesverband dominiert Julia Klöckner, die jedoch Bundestagspräsidentin wurde und deshalb nicht ins Kabinett einzog. So avancierte Schnieder zum Verkehrsminister – überraschend. Bekannter als Patrick Schnieder ist sein Bruder Gordon, der in Mainz als Oppositionsführer agiert.

Mutig suchte Schnieder gleich Streit. Und zwar ausgerechnet mit dem sozialdemokratischen Schwergewicht im Kabinett, Finanzminister Lars Klingbeil, der auch Vizekanzler ist. 15 Milliarden Euro solle Klingbeil herausrücken, forderte Schnieder im Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Diese Summe werde bis zum Jahr 2029 gebraucht, um „baureife“ Autobahnen und Bundesfernstraßen fertigzustellen.

Die Öffentlichkeit staunte. Gerade erst war der Verkehrsetat um zehn Milliarden Euro gekürzt worden, Protest von Schnieder hatte niemand vernommen. Schwarz-Rot hatte sich ein mit 500 Milliarden Euro gefülltes „Sondervermögen“ für Infrastruktur genehmigt. Und nun soll kein Geld für Straßenbau vorhanden sein? Die „Autobahn GmbH des Bundes“, die Schnieders Ministerium zugeordnet ist, hatte eine Liste mit Projekten erstellt und sie unter den Abgeordneten von CDU und CSU kursieren lassen. Schnieder wollte seinen Kollegen nicht erklären, warum die Umgehungsstraße im jeweiligen Wahlkreis nicht gebaut wird, und zeigte stattdessen auf den Finanzminister.

Das war keine gute Idee. Der erfahrene Sozialdemokrat konfrontierte den christdemokratischen Anfänger direkt. In einem Brief, den Klingbeils Leute öffentlich werden ließen, knöpfte sich der Finanzminister den „sehr geehrten Kollegen“ vor: „Informieren Sie mich über den aktuellen Stand des Mittelabflusses für Straßenprojekte“, schrieb Klingbeil. Und weiter: „Ich bitte Sie, mich zum Verfahrensstand hinsichtlich des dringend erforderlichen Infrastrukturbeschleunigungsgesetzes zu informieren.“ Auf Deutsch: Mach erst einmal deine Arbeit, bevor du meckerst.

In der folgenden Fraktionssitzung der Union stellte sich Kanzler Friedrich Merz nicht etwa hinter seinen CDU-Parteifreund, sondern wünschte sich, man solle künftig auf Angriffe gegen Klingbeil verzichten, dieser reagiere „sensibel“. Jens Spahn, Vorsitzender der Unionsfraktion, sagte in einer Bundestagsdebatte gar: „Wir können den Leuten nicht erzählen, wir investieren so viel wie noch nie – und dann gibt es eine tagelange Debatte darüber, ob wichtige Baumaßnahmen liegen bleiben.“ Mit anderen Worten: Der Streit hätte nie begonnen werden dürfen.

Bei der Kabinettsklausur in der Villa Borsig in der vorigen Woche brach Schnieder zusammen und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Es geht ihm dem Vernehmen nach wieder besser, aber zum Koalitionsausschuss, der in der Nacht zum Donnerstag stattfand, konnte er noch nicht hinzugezogen werden.

So sah er aus der Ferne, wie Klingbeil seine 15-Milliarden-Forderung kleinhäckselte. Punkt für Punkt hatten sich dessen Mitarbeiter die Liste von Schnieder angeschaut. Sie stellten fest: Von den dort verzeichneten 74 Autobahnprojekten waren tatsächlich nur fünf wirklich „bestandrechtlich baureif“. Bei den Bundesfernstraßen blieben von Schnieders 99 Projekten nur 21 übrig.

Eine zusätzliche Milliarde wollte Klingbeil dafür hergeben. Die müsse noch anderswo von einem Unionsministerium eingespart werden. Zur Gesichtswahrung verhandelte die Union ihn auf drei Milliarden Euro hoch. Diese darf Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) nun nicht wie geplant zur Förderung der „Mikroelektronik“ ausgeben. Den ersten „Straßenkampf“ von Schwarz-Rot hat Lars Klingbeil gewonnen.

Robin Alexander ist stellvertretender Chefredakteur. Kürzlich ist sein neues Buch „Letzte Chance – der neue Kanzler und der Kampf um die Demokratie: Ein Report aus dem Innern der Macht“ erschienen. Einen Auszug können Sie hier lesen.

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