Es ist ein Abkommen, das Hoffnung weckt und Wunden reißt. Zwei Jahre nach Beginn des Gaza-Kriegs haben Israel und die Hamas einer von den USA vermittelten Vereinbarung zugestimmt. Waffenruhe und Austausch der Geiseln in Gaza gegen Häftlinge aus israelischen Gefängnissen. Donald Trump sprach auf Truth Social von einem „starken, dauerhaften und ewigen Frieden“.
Israels Premier Benjamin Netanjahu nannte die Einigung „einen diplomatischen Erfolg sowie einen nationalen und moralischen Sieg“. Aber hinter den durchaus angemessenen großen Worten steht ein Kompromiss, der Israel politisch, sicherheitspolitisch und moralisch grenzwertig viel abverlangt.
In der ersten Phase sollen alle noch lebenden israelischen Geiseln binnen 72 Stunden freikommen. Parallel zieht sich die Armee auf eine vereinbarte Linie im Gazastreifen zurück. Erst danach beginnen Gespräche über die Entwaffnung der Hamas, die Übergangsverwaltung und internationale Präsenz.
Möglich wurde das Abkommen durch eine Diplomatie, die wiederum auf militärisch geschaffenen Fakten aufsetzen konnte. Die Zerschlagung zentraler Hamas-Strukturen und der Vormarsch in Gaza-Stadt, weitgehende Schwächung der Hisbollah, Beendigung der Assad-Regierung in Syrien. Unter diesem Druck – und auf Drängen selbst unter Druck geratener arabischer Vermittler – gab die Hamas nach.
Dennoch: Es ist ein Frieden zu einem hohen Preis. Israels UN-Botschafter Danny Danon benennt das Dilemma in einem Interview auf Sky News: „Wir haben zwei schlechte Optionen – die Geiseln zurücklassen oder Mörder freilassen.“ Die israelische Regierung entschied sich für Letzteres.
So entlässt Israel im Austausch gegen 20 noch lebende israelische Geiseln in Gaza rund 250 palästinensische Terroristen und 1700 weitere palästinensische Gefangene, die nach dem 7. Oktober inhaftiert wurden. Sie kommen frei im Austausch gegen unschuldige Zivilisten, im besten Falle lebende, aber noch nicht einmal das ist in allen Fällen eindeutig geklärt.
Unter den Freigelassenen sind Männer, die für furchtbare Anschläge verantwortlich sind, wie Imad Muhammad Ahmad Siraj (Beerscheba-Doppelsuizidanschlag, 16 Tote) und Bahar Muhammad Mahmoud Badr (mitverantwortlich für mindestens neun Tote). Auch Beteiligte am Ramallah-Lynchmord im Jahr 2000 sollen freikommen. „Sein Mörder kommt frei, während mein Schmerz und meine Tränen niemals enden“, sagt der Bruder des damals ermordeten Vadim Nurzhitz.
In Gaza ist derweil noch kein Frieden eingekehrt. Während Israel Straftäter entlässt, vollstreckt die Hamas weiterhin Hinrichtungen mutmaßlicher Kollaborateure. Es lässt sich keineswegs ausschließen, dass sie die Waffenruhe nutzen wird, um sich politisch wie militärisch neu zu formieren.
Der palästinensisch-amerikanische Aktivist Ahmed Fouad Alkhatib ist vorsichtig optimistisch: „Jede Atempause von den Schrecken des Krieges ist zu begrüßen. Hoffentlich hat dieser Frieden Bestand.“ Aber die großen Herausforderungen stünden noch an, so Alkhatib in einer Einschätzung im US-Medium „The Free Press“: „Die entscheidenden Verhandlungen über Entwaffnung, internationale Truppen und Übergangsstrukturen stehen erst bevor.“
Die meisten von Israel nun Freigelassenen gehören der Hamas oder Fatah an; einige sind Mitglieder des Islamischen Dschihad, der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) sowie vereinzelte Anhänger des Islamischen Staats. Viele Taten fallen in die Zeit der Zweiten Intifada, einige aus den 2010er- und 2020er-Jahren.
Die Bandbreite reicht von Selbstmordanschlägen über die Erschießung von Zivilisten bis zu Messerattacken und Entführungen. Schon der Schalit-Deal von 2011, als Hamas-Chef Jaja Sinwar und 1000 weitere palästinensische Gefangene im Austausch gegen den israelischen Soldaten Gilad Schalit freikamen, zeigte, dass ein Teil der damals Freigelassenen später wieder in Terroraktivitäten involviert war.
Wenn also der Plan den Krieg beendet, den Konflikt wird er zeitnah nicht beenden können. Die Hamas erkennt Israels Existenzrecht nicht an, Garantien für eine dauerhafte Entwaffnung fehlen. Israels Teilrückzug bleibt ein kalkuliertes Risiko.
Michael Oren, Ex-Botschafter Israels in Washington, sagt: „Es mag nicht das Ende des Krieges sein – die Hamas hat offenbar noch Waffen und Strukturen –, aber es verspricht ein Ende des unsäglichen Leidens der Geiseln und eröffnet einen diplomatischen Horizont.“
Nun beginnt eine neue, fragile Phase. Zentral wird die Frage der künftigen Ordnung im Gaza-Streifen sein. Länder wie Ägypten und Katar und möglicherweise die Vereinten Nationen sollen den Wiederaufbau begleiten und eine Übergangsverwaltung stützen.
Bislang fehlt es aber sowohl an einem konkreten Konzept als auch an einer infrage kommenden palästinensischen Führungsstruktur. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) ist politisch geschwächt und obendrein organisatorisch kaum in der Lage, kurzfristig Verantwortung zu übernehmen.
Für Ägypten, Katar und andere arabische Staaten ist die Vereinbarung ein Test: Können sie nicht nur vermitteln, sondern auch eine Nachkriegsordnung garantieren? Sie müssten beim Wiederaufbau helfen und Druck auf die Hamas ausüben, um deren militärische Strukturen abzubauen.
Ob das Abkommen mehr ist als eine Atempause, hängt also letztlich davon ab, ob internationale und arabische Akteure die Entmachtung und Entwaffnung der Hamas tatsächlich durchsetzen – und ob auf palästinensischer Seite Strukturen entstehen, die Gewalt nicht belohnen, sondern überwinden. Für Israel bedeutet der Deal vor allem eines: einen hohen Preis für eine Hoffnung auf Frieden, der erst noch gesichert werden muss.
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