Die neunte öffentliche Anhörung der Geheimdienst-Chefs vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) des Bundestages eröffnete dessen Vorsitzender Marc Henrichmann (CDU) mit der Bemerkung, seit der letzten Anhörung sei „eine Menge passiert“. Das setzte den Ton – die Lage ist ernst, Weiter-so keine Option, auch nicht bei den Nachrichtendiensten. „Die Zahl der Krisen und Kriege unter Beteiligung staatlicher Akteure hat sich seit 2010 verdoppelt“, so nahm der neue BND-Präsident Martin Jäger den Ball auf. Russland führe Krieg gegen die Ukraine, ohne ihr jemals völkerrechtlich wirksam den Krieg erklärt zu haben – dies sei die Art der Aggression, mit der auch Deutschland und Europa zu rechnen hätten.

„In Europa herrscht bestenfalls ein eisiger Friede, der jederzeit in heiße Konfrontationen umschlagen kann.“ Russlands Handeln ziele darauf, Europa in eine Angststarre zu treiben, um „das wirtschaftlich vielfach überlegene Europa in russische Abhängigkeit zu bringen“. Seine erste Auslandsreise habe ihn darum nach Litauen geführt, zur deutschen Panzerbrigade 45, die dort bis 2027 aufgebaut und dauerhaft stationiert wird.

Er zählte die russischen Werkzeuge auf, von Auftragsmorden über Sabotageakte, Drohnenüberflüge bis zu Luftraumverletzungen. „Das alles ist nicht neu, tritt aber in seiner Häufung in einer neuen Qualität auf.“ Und: „Toleranz, Zurückhaltung und Nachgiebigkeit werden uns von Gegnern wie Russland als Schwäche ausgelegt.“ Auch für den BND gelte daher: „Wir müssen unsere Gegner konfrontieren, wo immer dies nötig ist. Dazu werden wir kontrolliert und konsequent höhere Risiken eingehen.“

Was tun? „Wir brauchen ein verlässliches nationales Lagebild.“ Und nicht nur für die Ostflanke der Nato, auch für Regionen wie Nahost und den Balkan, denn Entwicklungen dort beträfen auch Deutschlands Sicherheit. Ein solches „aussagekräftiges Lagebild“ werde „unter der Ägide des Nationalen Sicherheitsrats“ entstehen.

Zwei Dinge nannte Jäger, die er ändern will: „noch stärker modernste Technologien einsetzen“ und „höhere Risiken eingehen“. Der BND müsse „anschlussfähig sein“ für die befreundeten Nachrichtendienste. „Eigene Stärke und internationale Kopperation bedingen sich. Das eine gibt es nicht ohne das andere.“ Man dürfe sich nicht zurücklehnen in der Annahme, ein russischer Angriff komme erst 2029, eine Jahreszahl, die oft durch diese Debatten geistert. Jäger: „Wir stehen im Feuer.“

Nachsteuerungsbedarf sieht der neue BND-Präsident auch bei der Kontrolle der Nachrichtendienste. Gemeinsam mit der Politik müsse man das BND-Gesetz „an den Realitäten der neuen Zeit ausrichten“. Der BND begrüße die Kontrolle seiner Arbeit, weil sie ihm Rechtssicherheit gebe. Er wünsche sich aber, so Jäger, „eine einheitliche Kontrolle“ statt der bestehenden weitgefächerten Kontroll-Landschaft, die viele Ressourcen binde, die für die operative Arbeit gebraucht würden.

Der Vertreter der Grünen und Vize-Vorsitzende des PKGr, Konstantin von Notz, griff das auf und bot seine Mitwirkung an der Straffung der „vielfältigen Kontroll-Landschaft“ an, bei Wahrung einer „scharfen“ parlamentarischen Kontrolle.

Jäger, der zuletzt Botschafter in Kiew war, zitierte aus einem Gespräch mit einem ukrainischen Frontoffizier: „Der Krieg wird nicht auf dem Terrain gewonnen, sondern in den Köpfen.“ Das bedeute, Deutschland müsse sich „auf Handlungsfähigkeit auch unter extremen Bedingungen einstellen“.

Der Bundeskanzler habe ihm gesagt, so schloss Jäger sein Statement, der BND müsse auf allerhöchstem Niveau, quasi in der Champions League, spielen. „Diese Herausforderung nehme ich an.“

Die Präsidentin des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst, Martina Rosenberg, ergänzte: „In einer Zeit, geprägt von hybriden Bedrohungen durch autoritäre Staaten, in der Konflikte nicht mehr nur mit Panzern, sondern mit Drohnen, Cyberangriffen und Desinformation ausgetragen werden, bewegen wir uns in einem bedrohlichen Spannungsfeld, in dem Nachrichtendienste als erster Schutzwall fungieren.“

Auch der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Sinan Selen, betonte die Eskalation russischer Bedrohungen gegen Deutschland und die liberalen Demokratien, wies aber auch auf andere Gefahren hin. „Das letzte Jahr hat unsere Warnungen bestätigt: Der islamistische Terrorismus ist ungebrochen eine große Gefahr für die Sicherheit unserer Bürger.“ Schwere Gewalttaten benötigten oft keine komplexen Planungen. Radikalisierte Einzeltäter, oft sehr jung, griffen zu relativ simplen Tatmitteln wie Messer und folgten dem Auftrag dschihadistischer Gruppen, damit „Ungläubige“ zu töten.

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